Bedrohte Freiräume in Ljubljana. Künstler wehren sich gegen die Räumung eines besetzten Zentrums

Bloß kein Rädchen im Getriebe

Mitten in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana befindet sich das Kultur­zentrum Rog. Vor zehn Jahren wurde das einstige Fabrik­gelände von politisch engagierten Künstlern und Studierenden besetzt. Nun möchte die Stadt Teile des Komplexes abreißen und ihn in ein kommerzielles Kunst- und Kulturzentrum umwandeln. Die Besetzerinnen und Besetzer wehren sich dagegen.

Von der Decke hängen Tücher und ein Trapez, auf einer großen Kugel balanciert eine Artistin langsam durch den Raum, Keulen fliegen durch die Luft, dazu erklingt ein Klavier in Begleitung eines Kontrabasses. Der Zirkus »Cirkusarna« ist ein offener Ort für Akrobatik-Shows, Workshops und Menschen, die Lust an Improvisation haben. Er ist eines von zahlreichen Projekten im besetzten Kunst- und Kulturzentrum Rog in Ljubljana. In jeder Ecke des dreistöckigen Hauptgebäudes und der kleineren Nebengebäude finden sich Skulpturen und Wandmalereien. Aus den oberen Stockwerken blickt man aus mit allen möglichen Materialien notdürftig geflickten Fenstern auf den weiten Hof mit dem »Socialni Center Rog« (Sozialzentrum Rog) und einem kleinen Gärtchen mit Bänken und Stühlen zum Ausruhen. Vom Dach des ehemaligen Fabrikgebäudes aus hat man eine weite Sicht auf die Hauptstadt Sloweniens mit der Burg und der schick sanierten Altstadt, auf Plattenbauten und Berge in der Ferne. Der Fluss Ljubljanica schlängelt sich direkt am 7 000 Quadratmeter großen Gelände des Rog vorbei.
Die Idylle ist trügerisch, bereits im Juni sollen die ersten Gebäude abgerissen werden. Über 15 verschiedene Kollektive versuchen derzeit, dies gemeinsam zu verhindern, und stellen ein abwechslungsreiches Kulturprogramm auf die Beine. Sie suchen den Dialog und wollen den Entscheidungsträgern klarmachen, welch enormen Verlust der Abriss des besetzten Fabrikkomplexes für die Stadt bedeuten würde.
Von Leder zu Rad zu Kunst
Das Gelände, das vor zehn Jahren besetzt wurde, blickt auf eine lange Geschichte zurück. 1871 erwarb Ivan Janesh das Grundstück und errichtete dort eine Gerberei, die 1900 in die Hände von Karel Pollak überging, der sie modernisierte und die Produktionsstätte fortlaufend vergrößerte. Die Fabrik produzierte vor allem Lederwaren für Armee und Marine, die in viele europäische Länder verkauft wurden. 1937 ging die Firma bankrott und wurde von der Gerberei Indus aufgekauft. Indus betrieb den Handel während des Zweiten Weltkriegs weiter, bis die Lederfabrik 1945 enteignet und verstaatlicht wurde. In den fünfziger Jahren wurde das Gelände zu einer Produktionsstätte für Fahrräder der Marke Rog (zu Deutsch »Horn«) umgebaut. Das erfolgreiche Unternehmen produzierte Mitte der achtziger Jahre rund 350 000 Fahrräder jährlich, die nicht nur in Jugoslawien verkauft wurden, sondern auch bis in die USA und nach China gingen. 1991 wurde die Produktion im Herzen von Ljubljana aufgrund hoher logistischer Kosten eingestellt und alle Produktionstätigkeiten ins Industriegebiet an den Stadtrand verlegt.
Daraufhin stand die Fabrik 15 Jahre lang leer. Zunächst sollte der Grund neu eingeteilt werden mit dem Ziel weiterer industrieller Nutzung, der Prozess der Reprivatisierung begann. Auch alternative Nutzungsformen wurden diskutiert. 1998 wurde das Rog als Industriekulturerbe unter Schutz gestellt. Bei einem Forschungsprojekt für kulturelle Standorte, durchgeführt vom Friedensinstitut Ljubljana, wurde das Rog im Jahr 2000 als Standort für bildende Kunst, Tanz, Musik und Theater vorgeschlagen und daraufhin für das 4. Internationale Festival junger Künstlerinnen und Künstler und die 17. Biennale für Industriedesign genutzt. Mit dem Verkauf des Geländes 2001 an die LB-Hypo-Bank wurde der Prozess der Reprivatisierung abgeschlossen. Nach der Erstellung eines neuen Flächenplans entstand eine Initiative zur Revitalisierung der Gegend rund um das Rog, woraufhin die Stadt Ljubljana die Fabrik 2002 durch einen Leasingvertrag zurückkaufte. Erste Überlegungen zur Renovierung wurden jedoch aufgrund finanzieller Engpässe verschoben.
Im März 2006 besetzten politisch engagierte Studierende, Künstler und andere das Gelände, um ein unabhängiges Kulturzentrum zu schaffen, das im Gegensatz zum bestehenden Metelkova (Jungle World 38/2011) nicht nur noch mehr Clubs und Bars bringen, sondern dem politischen und kulturellen Austausch dienen sollte. Im Jahr der Besetzung wurde Zoran Janković zum Bürgermeister gewählt, der erste Verhandlungen mit den Besetzerinnen und Besetzern für seine Wahlkampagne nutzte und ihnen zunächst einen offiziellen Vertrag über die temporäre Nutzung im Rahmen einer von der Stadt anerkannten Sozial- und Kulturarbeit versprach. Der Vertrag wurde von der Stadt jedoch nie unterzeichnet. Seit 2012 amtiert Janković erneut als Bürgermeister.
Erste Striche
Andrej Kurnik, Dozent für Politikwissenschaft an der Fakultät für Sozialwissenschaften, war von Anfang an beim autonomen Zentrum dabei. Kurz nach der Besetzung sei die erste »Skupščina« (Generalversammlung) einberufen worden, an der rund 150 Menschen teilnahmen und in der diversen Gruppen und und Einzelpersonen angeboten wurde, die Fläche für Kultur- und Kunstprojekte zu nutzen, erzählt er. Eine Initiative gründete das »Socialni Center Rog« und widmete sich der historischen Aufarbeitung der Geschichte der »Izbrisani« (Ausgelöschten), die 1991, nach dem Austritt Sloweniens aus der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, ihren legalen Status verloren hatten. Des Weiteren wurde das Sozialzentrum ein wichtiger Ort und Treffpunkt für die Integration bosnischer Flüchtlinge.
Nach und nach füllte sich auch der große dreistöckige Fabrikkomplex im Zentrum des Rog, wo einst die Fahrräder produziert wurden. Da die Stadt nach relativ kurzer Zeit den Strom abgestellt hatte, bauten die Künstlerinnen und Künstler improvisierte Wände, um sich kleine Ateliers einzurichten, die man mit Öfen beheizen konnte, und brachten Generatoren, Autobatterien und Solarzellen zur Stromerzeugung mit. Nur die Wasserversorgung blieb über die Jahre erhalten, wenn auch die Instandhaltung der sanitären Anlagen bis heute eine große Herausforderung darstellt. Zeitweilig gab es Konflikte mit Leuten, die das Gebäude als Wohnraum oder als Drogenumschlagplatz missbrauchten. Doch die Generalversammlung hatte bereits zu Beginn Prinzipien aufgestellt, die die Benutzung der Räumlichkeiten zu wirtschaftlichen und privaten Zwecken ausschlossen. Es gab regelmäßig Versammlungen, um gemeinsame Projekte umzusetzen und Konflikte zu lösen.
Eine Gruppe junger Künstler gründete 2006 das Künstlerkollektiv »Artgroup RGB«, 2007 wurde das interdisziplinäre Kunstkollektiv »Cirkulacija« gegründet. Andere wichtige Initiativen, die das Rog belebten, waren unter anderem das Café Trotzky, das Radical Education Collective und das feministische Festival »Rdeče Zore« (Rote Zora).
Raum für Bewegung
Heutzutage haben etwa 25 Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Stilrichtungen ihre Ateliers im Rog, hinzu kommen die drei Galerien »Kljub Vsemu«, »Boris« und »Zelenica«. Letztere wurde im Oktober 2015 von Danilo Milovanović eröffnet. Der 23jährige hatte seit 2012 in Rog gearbeitet und einen Raum für seine Diplomausstellung entdeckt, der drei bis vier Jahre nicht mehr in Benutzung gewesen war. Er renovierte ihn, installierte einen Heizofen und machte daraus eine Galerie, in der seitdem monatlich Ausstellungen sowie Performances und Lesungen stattfinden.
Tatiana Kocmur studiert an der Kunsthochschule und gründete 2012 das »Atelier 10«. »Der dritte Stock war damals noch nicht ganz so belebt«, sagt die Künstlerin, die in Argentinien aufgewachsen ist. 2014 zogen auch die Künstler Francisco Tomsich (Uruguay), Damian Vega (Spanien) und Otto Urpelainen (Finnland) ins »Atelier 10«. Im Rog gibt es durch die vielen Gäste aus dem Ausland und Erasmusstudierende einen regen internationalen Austausch. Viele der Künstlerinnen und Künstler nutzen insbesondere jene Materialien, die in dieser industriellen Umgebung zu finden sind. Oft recyclen sie in ihren Installationen Dinge wie alte Fahrradreifen, Pappkartons, Holzreste und Ersatzteile.
Aus dem hinteren Teil des Fabrikkomplexes dringt lautes Schleifen und Klacken, hier befindet sich der bis heute größte Indoor-Skatepark Europas. Skater aus ganz Europa kommen nach Ljubljana, internationale Skatertreffen und Jams finden hier statt. Im zweiten und dritten Stock des Hauptgebäudes haben sich zwei Breakdance-Crews eingerichtet, die dort seit acht Jahren trainieren und inzwischen einen Verein namens Gor gegründet haben. Vor kurzem bekamen sie von der Stadt Räumlichkeiten außerhalb des Fabrikgeländes zur Verfügung gestellt, um Jugendlichen Breakdance-Workshops zu erteilen. Sarah Brizani hat im oberen Teil den »Sisters Place« eingerichtet. Damit möchte sie vor allem Frauen aus der Breakdance-Szene fördern. Austoben kann man sich außerdem auf dem Indoorfußballplatz im zweiten Stock des Hauptgebäudes. Dort wird auch Kung Fu und Tai Chi Chuan trainiert.
Die »Koncertna Dvorana« (Konzerthalle), in der seit 2008 regelmäßig Konzerte stattfinden, zieht viele junge Menschen an. Jasmin Pervanič gehört seit neun Jahren zum Organisations-Team: »Als ich in die Konzerthalle kam, arbeiteten die Leute sehr hart daran, einen minimalen Kulturbetrieb an einem verlassenen Ort aufzubauen. Das Wichtigste ist jedoch das Konzept, ein Angebot für jeden zu bieten, so dass man nicht dazu gezwungen ist, Eintrittspreise von den Leuten zu nehmen, und das rundum unabhängig funktioniert, mit allen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen. Man muss hart dafür arbeiten, wenn man einen hohen Standard erreichen möchte.« Mit einem kleinen Team von zehn Leuten betreibt er ein internationales Internetportal, über das sich weltweit Bands für Konzerte bewerben können. »Wöchentlich nehmen wir bis zu 40 Anfragen von Bands und Projekten entgegen«, so Pervanič.
Das Rog im Wandel
In den vergangenen zwei Jahren entstanden drei neue kulturelle Initiativen, »Živko Skvotec«, »Modri Kot« und der Zirkus »Cirkusarna«, die zu einem Generationenwechsel sowie zur Wiederbelebung öffentlicher und kultureller Veranstaltungen wie Lesungen, Filmvorführungen und politischen Diskussionen führten. Izidor Barsi war 2013 mit einer Gruppe von 60 Menschen, Studierende der Philosophie und anderer Geisteswissenschaften sowie Mitarbeiter von Radio Študent, auf der Suche nach einem Ort für unabhängige Leseseminare. Der Plan, ein leerstehendes Gebäude zu besetzen, scheiterte am Desinteresse der Stadt. Über persönliche Kontakte erhielten sie schließlich das Angebot, Räumlichkeiten im Rog zu nutzen. »Und so besetzen wir eine besetzte Fabrik«, sagt Barsi schmunzelnd. Daraufhin veranstalteten sie über ein Jahr lang wöchentlich philosophische Leseseminare.
Eine Gruppe von Fotografen erneuerte hinten im Hof bei einem Gebäude das Dach und renovierte einige Räume. Sie schufen eine Bar und eine Art Wohnzimmer für Lesungen und Musikveranstaltungen, das »Modri Kot« (Blaues Eck). Es bietet ein experimentelles Musik- und Literaturprogramm. Der Zirkus entstand kurz danach.
Nach der Eskalation an der Grenze zu Kroatien vergangenes Jahr unterstützt das Sozialzentrum nun auch Asylsuchende in ganz Slowenien. Seit November finden monatlich kulturelle Veranstaltungen statt. Freiwillige der im August 2015 gegründeten Gruppe »Fronta brez meja« (Front ohne Grenzen) organisieren Demonstrationen, internationale Tagungen und Sprachkurse in englischer und slowenischer Sprache. Safiullah Ebadi aus Afghanistan gibt Unterricht in Farsi, um die wechselseitige Verständigung zu erleichtern. Außerdem finden wöchentlich ein Kunstworkshop und das »Café International« statt, bei dem sich Einheimische und Migranten begegnen können. Ehrenamtliche unterstützen Asylsuchende bei ihren Asylanträgen.
Abriss mit Folgen
Während die Aktivitäten im Rog immer mehr werden, zeigt jedoch auch die Stadt wieder Interesse am Gelände. Bereits im Juni will sie das erste Künstleratelier, das »Samorog« (Einhorn), abreißen, da am 14. Juni die Baugenehmigung ausläuft. Die Räumungsklage liegt bereits auf dem Tisch. Nach und nach sollen drei Gebäude dem Erdboden gleich gemacht werden und 2017 wird das dreistöckige Hauptgebäude renoviert werden. Was mit den jetzigen Nutzerinnen und Nutzern geschehen wird, verrät die Stadt nicht. Das Gelände soll im Rahmen einer staatlich-privaten Partnerschaft ins »Rog Contemporary Arts Center« umgewandelt werden, mit 1 900 Quadratmetern Ausstellungsfläche, 3 400 Quadratmetern Produktionsfläche, Ateliers und Künstlerresidenzen, Kunstgeschäften, Räumlichkeiten für Seminare, einer Mediathek sowie kommerziellen Flächen wie Parkplätzen, Apartments, Geschäften, Bars, Restaurants und Hotels. Der Schwerpunkt liegt auf der privaten kommerziellen Nutzung.
Im Jahr 2008 gewann das Architekturbüro MX-SI aus Barcelona eine öffentliche Ausschreibung der Stadtverwaltung von Ljubljana für die Modernisierung, doch scheint die Stadt noch keine Investoren gefunden zu haben. 2010 nahm Ljubljana am zentraleuropäischen Projekt »Second Chance« teil, bei dem die ehemalige Fabrik Rog als Fallstudie diente. Das Projekt hat zum Ziel, Strategien und Konzepte zu entwickeln, um die Anlage zu einem zentralen kulturellen Anziehungspunkt der Stadt aufzuwerten.
Die Frage ist nur, ob das notwendig ist. Seit Slowenien der Europäischen Union beigetreten ist, kommen immer mehr Touristen nach Ljubljana, die Innenstadt glänzt wie kaum ein anderes Zentrum in Osteuropa, während das kulturelle Leben an den Stadtrand gedrängt wird. Denn leisten kann sich das Leben im Zentrum kaum jemand, der Mindestlohn liegt bei 3,90 Euro pro Stunde. Bürgermeister Janković hat bereits in mehreren Fällen gezeigt, dass man das viele neue Geld der EU in Bauvorhaben zur Förderung der Vetternwirtschaft verprassen kann.
Doch der Widerstand der Rog-Besetzer und ihrer Unterstützer ist groß, seit im Februar die konkreten Pläne der Stadt bekannt gegeben wurden. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Besetzung des Rog veranstalteten sie im März ein dreiwöchiges Kulturprogramm. Das Motto hieß »Rog, Ihr bester Nachbar – mit Ihnen schon seit zehn Jahren«, womit sich die Besetzer auf einen Werbespruch der Supermarktkette Mercator bezogen, deren Chef Zoran Janković einst war.
Rastko Pečar studiert Architektur an der Universität Ljubljana und ist seit 2008 im Rog aktiv, zunächst beim Sozialzentrum und später bei »Živko Skvotec« und »Modri Kot«. Sein Diplomthema ist die Vernachlässigung sozialer Aspekte in der Architektur. Mit zahlreichen Initiativen wie Führungen durch das Rog für die Nachbarschaft, einer Umfrage unter Anwohnern und einem Symposium im April dieses Jahres auf dem Dach des Hauptgebäudes, zu der auch Vertreter der Stadt geladen waren, versucht er, mit Unterstützung der Skupščina, einen Dialog zu initiieren, um Kritikern zu zeigen, was innerhalb der Mauern von Rog überhaupt passiert und welchen Verlust der Abriss für das kreative Leben in der Stadt bedeuten würde. Durch eine enge Zusammenarbeit mit Radio Študent und Journalisten anderer Medien soll die Bevölkerung zudem auf den Mangel an unabhängigen kulturellen Institutionen aufmerksam gemacht werden.
Für den 25. Mai, den »Tag der Jugend« und ehemaligen jugoslawischen Nationalfeiertag anlässlich des Geburtstags von Josip Broz Tito, ist eine Großdemonstration gegen die Abrisspläne vorgesehen. Und auch sonst lassen sich die Besetzerinnen und Besetzer nicht entmutigen und planen zahlreiche Renovierungsarbeiten, etwa den Ausbau der sanitären Anlagen. Im Juli will das Rog dann seine Türen für das Straßentheaterfestival »Ana Desetnica« öffnen.
Weitere Informationen: tovarna.org