Proteste gegen die Regierung in Kasachstan

Der Acker bleibt kasachisch

In Kasachstan demonstrierten in den vergangenen Wochen Tausende Menschen gegen ein geplantes Gesetz, das es Ausländern erleichtern soll, Land zu pachten. So große Proteste hat es in dem autoritär regierten zentralasiatischen Staat seit Jahren nicht gegeben.

Ein bisschen Entgegenkommen und mehr Repression sind die beiden widersprüchlichen Reaktionen der kasachischen Regierung auf die seit Ende April im ganzen Land anhaltenden Bürgerproteste. Vor allem in den westlichen Provinzstädten Atyrau, Aktau und Qysylorda gingen Tausende Kasachinnen und Kasachen gegen ein geplantes Gesetz auf die Straße, das es ausländischen Einzelpersonen und Unternehmen erlauben soll, Land für bis zu 25 Jahre zu pachten. Bisher ist dies höchstens für zehn Jahre möglich. Wie das Zentralasienportal Novastan.org berichtete, forderten Protestierende in der 200 000 Einwohner zählenden Stadt Qysylorda die Behörden am 1. Mai dazu auf, den Verkauf und die Vermietung von kasachischen Grundstücken an Bürger anderer Staaten gesetzlich zu verbieten.
Die Regierung unter Präsident Nursultan Nasarbajew reagierte auf diese Forderungen zunächst mit überraschender Kulanz. Am 5. Mai erklärte der 75jährige, der das Land seit der Unabhängigkeit von 1991 autoritär regiert, dass die Implementierung des geplanten Gesetzes bis zum kommenden Jahr ausgesetzt werde. Einen Tag später verschickten die im Land operierenden Mobilfunkunternehmen diese Information per SMS an alle Handybesitzer. Ministerpräsident Kärim Mässimow entschuldigte sich gar öffentlich bei der Bevölkerung für die Art und Weise, wie der Gesetzentwurf Ende März an die Öffentlichkeit gelangt war. Er kündigte an, eine Kommission einzurichten, bei der Oppositionspolitiker von der Sozialdemokratischen Partei sowie Bürgeraktivisten die Landprivatisierungen diskutieren können. Darüber hinaus feuerte Nasarbajew seinen Wirtschaftsminister, der die umstrittenen Pläne verkündet hatte. Der Landwirtschaftsminister trat zurück, nachdem der Präsident ihn öffentlich gerügt hatte, berichtete Radio Free Europe/Radio Liberty.
Obwohl die Demonstrierenden ihr Ziel scheinbar erreicht hatten, wurde auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken für den 21. Mai zu weiteren landesweiten Protesten aufgerufen. Hier schritten Polizei und Politik präventiv ein, Versammlungen wurden von allen lokalen Behörden untersagt. In Almaty, der größten Stadt des Landes, wurden vor allem Journalisten, die über die Märsche berichten wollten, festgenommen. Zu Massenfestsetzungen kam es auch in der Hauptstadt Astana, wo Eurasianet zufolge ganze Busladungen von Menschen abgeführt wurden, die an dem Protest teilnehmen wollten. Zudem hatten die Ordnungskräfte schon zuvor mehrere Personen inhaftiert, die die Märsche organisiert haben sollen. In Atyrau wurde etwa Max Bokajew am 17. Mai in einem Schnellverfahren zu 15 Tagen Gefängnis verurteilt. »Es ist weniger Einschüchterung als subtiler Druck, der ausgeübt wird«, hatte Bokajew einige Tage vor seiner Festnahme dem Nachrichtenportal Eurasianet gesagt. »Es gibt Dokumente, die man unterzeichnen und sich damit verpflichten soll, nicht an den Protesten teilzunehmen. Ich glaube, dass das die Leute nur noch mehr verärgern wird«, so Bokajew.
Öffentliche Unmutsbekundungen gegen die Regierung sind in dieser Form ein Novum in Kasachstan. In den vergangenen Jahren gab es vereinzelte Proteste gegen die Inhaftierung von Oppositionellen und Menschenrechtlern. Zudem schlugen Ordnungskräfte 2011 einen Arbeiteraufstand in der Stadt Schangaösen blutig nieder, mindestens 14 Menschen starben dabei. Seitdem gelang es der Regierung Nasarbajew, jeglichen Widerstand in Zaum zu halten. »Die Proteste sind sehr friedlich und über die sozialen Netzwerken wohlorganisiert«, sagt Beate Eschment, die Herausgeberin der Schriftenreihe Zentralasien-Analysen. »Bei der Größe Kasachstans ist es überraschend, dass landesweit so viele Menschen daran teilnehmen.« Die ehemalige Sowjetrepublik ist der neuntgrößte Staat der Welt, mit nur knapp 17 Millionen Einwohnern aber dünn besiedelt.
Eschment zufolge sind die Proteste ein Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Um den Verlust kasachischen Territoriums gehe es nur vordergründig. Dies zeige sich nicht nur daran, dass ein in den neunziger Jahren geplantes Gesetz, das die Verpachtung an Nichtkasachen für bis zu 99 Jahre erlauben sollte, damals keine große Empörung hervorrief. Bezeichnend sei es, dass die Proteste nicht im fruchtbaren Norden, sondern im kargen Westteil des Landes begannen, der für Ackerbau ungeeignet ist und dessen Böden kaum etwas wert sind. Die Empörung darüber, dass Ausländer über Land verfügen können, sei vor allem Ausdruck von Ressentiments gegen China. Dies zeigte sich in antichinesischen Parolen, die bei einigen der Versammlungen skandiert wurden. Die Volksrepublik ist neben Russland der wichtigste Handelspartner Kasachstans und hat ihre Investitionen in dem Nachbarland in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert.
Der Zorn der Demonstrierenden dürfte sich aber vor allem aus der schlechten ökonomischen Lage speisen. Die von Öl- und Gasexporten abhängige Wirtschaft befindet sich seit dem globalen Fall der Rohstoffpreise in einer Krise. Die Landeswährung Tenge hat seit Mitte vergangenen Jahres stark an Wert verloren. Deshalb stiegen die Preise für Konsumgüter, die Realeinkommen sinken. Wegen des für die Region relativ hohen Wohlstands und der politischen Stabilität wird das Regime Nasarbajews noch von einem großen Teil der Bevölkerung gestützt. »Der Regierung ist es bislang gelungen, das Horrorszenario Kirgisien heraufzubeschwören«, so Eschment. Das kleine und weit ärmere Nachbarland Kirgisien hat nach der Unabhängigkeit im Gegensatz zu den anderen zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken einen demokratischen Weg eingeschlagen. 2010 jagten die Kirgisen in der sogenannten Tulpenrevolution den damaligen Präsidenten aus dem Amt, im selben Jahr ereigneten sich jedoch auch tödliche Zusammenstöße mit der usbekischen Minderheit. Von diesen unsicheren Verhältnissen wähnte man sich in Kasachstan weit entfernt. Möglicherweise ändert sich das nun. Bei manchen der Proteste wurden, Videoaufnahmen nach zu urteilen, Sprechchöre angestimmt, die sich direkt gegen Präsident Nasarbajew richteten.