Streik in der petrochemischen Industrie in Frankreich

Der Treibstoff der Proteste

In Frankreich nehmen die Sozialproteste mit dem Streik in der petrochemischen Industrie Fahrt auf. Der Staat geht gegen Protestierende teils äußerst repressiv vor.

Streikunterstützung heißt Volltanken. Dieser Auffassung ist jedenfalls eine wachsende Zahl von Unterstützerinnen und Unterstützern der französischen Sozialproteste. Ökologisch motivierte Bedenken gegen den motorisierten Individualverkehr hin oder her: Jetzt muss ein Auto her, das man volltankt, und wenn es geht auch noch ein paar Kanister dazu. Denn der Streik, der Ende voriger Woche in den französischen Raffinerien begonnen hat, soll möglichst schnell Wirkung zeigen. Der Arbeitskampf in der petrochemischen Industrie, der sich ebenfalls gegen die Arbeitsmarktreform richtet, ermöglicht es den Gewerkschaften und der Protestbewegung, aus dem Dilemma herauszukommen, zwischen folgenlosen Latschdemonstrationen und militanten Kleingruppenaktionen wählen zu müssen, wie noch im März und April.
Die engen Grenzen dieser beiden Optionen haben sich längst gezeigt. Auf Demonstrationen reagiert die Regierung von Premierminister Manuel Valls offensichtlich nicht und die parlamentarische Opposition hat sie unter Rückgriff auf einen Verfassungstrick und durch das Stellen der Vertrauensfrage ausgeschaltet. Die Militanz der Aktionen kleiner Gruppen ist zudem kaum steigerbar, sowohl aufgrund der brachialen Antworten des Staatsapparats als auch wegen der Notwendigkeit, Gewalt gegen Personen zu vermeiden. Am Mittwoch voriger Woche zündeten einige Personen am Rande einer Spontandemonstration in Paris einen Streifenwagen an, der daraufhin ausbrannte. Eine Polizistin und ein Polizist befanden sich zu dem Zeitpunkt jedoch noch im Fahrzeug. Der Polizist zückte zunächst seine Waffe, beherrschte sich jedoch und steckte sie wieder ein, obwohl er Schläge abbekam. Am Freitag vergangener Woche wurde er, vor laufenden Kameras zu Tränen gerührt, mit einer Auszeichnung versehen. Es dürfte unschwer zu erkennen sein, wer aus dieser mehr als fragwürdigen Aktion einiger Personen als politischer und moralischer Sieger hervorgegangen ist.
Doch spart der Staatsapparat nicht mit Repression. Gegen die Studentin Manon Chelmy, ein Mitglied der ansonsten nicht übermäßig radikalen Jugendorganisation der französischen KP, forderte die Staatsanwaltschaft jüngst eine fünfjährige Haftstrafe ohne Bewährung. Bei der Räumung eines besetzten Saals in Amiens hatte sie mitansehen müssen, wie einer ihrer Freunde von Polizisten gewalttätig behandelt wurde, und spontan ein Saalmikrophon durch den Raum geworfen. Dieses fiel zu Boden, niemand wurde verletzt. Die extrem hohe Strafforderung der Staatsanwaltschaft führte zu Petitionen und Protestbriefen.
In mehreren Fällen wurden auch Gewerkschaftsräume polizeilich durchsucht, um nach Demonstrationen Teilnehmer zu ergreifen, so im April ein Lokal der anarchosyndikalistischen CNT in Lille und im Mai eines der Studierendengewerkschaft SUD Etudiants in der Bretagne. Bislang hatte die Polizei noch die Unverletzlichkeit von Gewerkschaftsräumen respektiert.
Die Mehrwertproduktion zu stören, indem Transportmittel oder die Treibstoffversorgung beeinträchtigt werden, erweist sich als geeigneter Weg, um den Konflikt zuzuspitzen. Der Arbeitskampf in der petrochemischen Industrie, zu dem die CGT und mancherorts die Basisgewerkschaft SUD Chimie aufgerufen haben, scheint dabei am wirkungsvollsten zu sein. Am Dienstagmorgen verkündete die CGT, alle acht französischen Großraffinerien würden inzwischen bestreikt. Aufgrund der strategischen Bedeutung der Petrochemie könnte der Staat jedoch dort Beschäftigte zur Arbeit verpflichten – wer sich dem entzieht, riskiert Haftstrafen. Deswegen werden die Raffinerien, aber auch gefüllte Treibstoffdepots, vielerorts von externen Unterstützern blockiert, in Le Havre etwa von Hafenarbeitern und in mehreren Städten von Mitgliedern der Platzbesetzungsbewegung. Am Dienstag löste die Polizei im Morgengrauen die Blockade im südfranzösischen Fos-sur-Mer auf. Gleichzeitig entschieden 95 Prozent des Personals des Ölterminals am Hafen von Le Havre, über den 40 Prozent des französischen Rohölimports laufen, ebenfalls in den Streik zu treten. Premierminister Valls ruft dazu auf, nicht in Panik zu verfallen und keine Hamsterkäufe zu tätigen. Regierungsgegner fordern hingegen in mehreren kursierenden Aufrufen, genau dies zu tun.