Der Kongress der tunesischen islamistischen Partei al-Nahda

Die große Anpassung

Die tunesische Partei al-Nahda hat auf ihrem zehnten Kongress die Trennung von Politik und Religion beschlossen. Zumindest offiziell.

»Historisch« sollte er werden, der zehnte Kongress der tunesischen Bewegung al-Nahda, zu dem sich am Wochenende 1 200 Delegierte einfanden. Die Trennung von Politik und religiösem Predigen hatten die Führer der Islamisten angekündigt, und zum Ausgang des Kongresses stimmten mehr als 80 Prozent für eine »Spezialisierung« der Partei auf die Politik zulasten religiöser Aktivitäten. Diese sollen zukünftig der »Zivilgesellschaft« vorbehalten sein, de facto dem großen Netz an Vereinigungen für Wohltätigkeit und Predigt, die rund um die Partei schwirren. Diese Trennung erlaubt es al-Nahda, sich von nun an als eine »zivile«, »demokratische« und »nationale« Partei zu präsentieren, die zum Erbe der Muslimbruderschaft, aus der sie stammt, Distanz schafft. Der Bezug zur Religion verschwindet nicht, wird aber als einfache »islamische Referenz« dargestellt.
Doch in Tunesien überwiegt der Zweifel an einer grundlegenden Veränderung von al-Nahda. Bereits vor dem Kongress äußerte sich Alaya Allani, ein Forscher an der Universität La Manouba und Spezialist für den politischen Islam, über Rachid Ghannouchi, den mit 75 Prozent der Stimmen gerade bestätigten Parteivorsitzenden von al-Nahda. »In seinem letzten Buch, das vor fünf Monaten erschien, sagte er: Es kommt nicht in Frage, die Politik von der Religion zu trennen«, so Allani. »Er sagte, dass der Prophet Mohammed der Chef der Muslime war, der Imam der Moschee, der Armeechef und gleichermaßen die Person, die die Staatsgeschäfte führte.«
Der tunesische Politologe Riadh Sidaoui, der Direktor des Centre arabe de recherches et d’analyses politiques et sociales in Genf, führte im Interview mit der französischen Tageszeitung Nouvel Obs außen- wie innenpolitische Gründe für al-Nahdas neuen Kurs an. Nach dem Sturz der Islamisten, die in Ägypten an der Macht waren, und nachdem die Vereinigten Arabischen Emirate die Organisationen der Muslimbruderschaft auf die Liste der terroristischen Organisationen gesetzt haben, »muss al-Nahda sich distanzieren, um zu überleben, und wird immer lauter skandieren: ›Wir sind keine Muslimbrüder.‹ Aber sie bleibt eine islamistische Partei«, sagte er. In der Zeit, als die Islamisten die Regierung dominierten, hätten sie versucht, eine Islamisierung Tunesiens durchzusetzen, aber die Gesellschaft und insbesondere die Frauen hätten sich dem erfolgreich widersetzt. »Sie passen sich somit zugleich an den internationalen und den lokalen Kontext an, um ihr Überleben zu sichern«, resümierte er.
Ein Beispiel aus der jüngeren politischen Praxis al-Nahdas stützt Sidaouis Einschätzung. Leila Hamrouni, ehemalige Abgeordnete von Nida Tounès, dem Bündnispartner al-Nahdas in der Regierung, sagte Radio France International: »Kürzlich haben wir in der Nationalversammlung die Frage der Gleichheit in Erbschaftsangelegenheiten diskutiert. Imame haben interveniert, um zu sagen, man dürfe kein Gesetz im Sinne der Gleichheit von Mann und Frau erlassen, denn das sei im Gegensatz zur Sharia.« Für sie ist es daher sinnlos, Gesetze mit einer Partei zu diskutieren, die weiterhin eine »islamische Referenz« vertritt.
Im Übrigen ist es keineswegs ausgemacht, wie der salafistisch beeinflusste Teil al-Nahdas und ihrer Anhänger auf den neuen Kurs reagieren wird. Ob er sich von der Partei abwenden wird, wird sich spätestens bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr erweisen.