In Twitter-Gewittern

»Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte! Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden und eine ungeheure Hoffnung.« Thomas Mann schreib dies im Spätsommer 1914, und es sagt vielleicht mehr über die Ursachen des derzeitigen Erfolgs rechtspopulistischer und rechtextremer Parteien aus als Erklärungsversuche, die dem Wahn ökonomische Motive unterzujubeln versuchen. Doch obwohl die soziologischen Befunde über das rechte Milieu noch widersprüchlich sind, ist bereits sicher, dass es sich um eine klassen- und schichtenübergreifende Bewegung handelt, in der sich nicht nur sogenannte Modernisierungsverlierer tummeln. Wäre »die Krise« Ursache des Rechtsrucks, müsste dieser zudem in Spanien und Griechenland weit stärker ausgeprägt sein als in Österreich und den USA. Das Gegenteil ist der Fall, und auch die These, dass nicht spürbare Krisenfolgen, sondern Abstiegsängste die Menschen in die Arme der Rechten treiben, erklärt weder, warum gerade deren meist wirtschaftsliberal geprägte, gelegentlich mit Protektionismus und Sozialpopulismus ange­reicherten Parolen so viel Anklang finden, noch, warum dies gerade jetzt der Fall ist, obwohl die Jahre 2007 und 2008 viel geeigneter für Panik gewesen wären.
Wichtiger als die Erhöhung ihres eigenen Einkommens ist Wählern der FPÖ wie auch Anhängern Donald Trumps die Wahrung des Abstands zu anderen, als nicht gleichwertig betrachteten Menschen. In dieser, also in gesellschaftlicher Hinsicht, betrachten sie sich als Modernisierungsverlierer. Sie können es nicht ertragen, dass Migranten oder Frauen auf-, womöglich gar überholen. Den autoritären Charakteren geht es vor allem um Status, um die Wahrung oder Wiederherstellung einer gesellschaftlichen Hierarchie, in der Männer noch Männer und Ausländer bestenfalls geduldet sind. Der Kampf gegen die »politische Korrektheit« dient jedoch nicht allein der Abwehr von Angriffen auf die safe spaces von Misogynie, Rassismus und Homophobie, die dem autoritären Charakter so sehr am Herzen liegen. Einen solchen Kampf könnte man ja mit etwas mehr Stil führen, schließlich waren Anstand und gutes Benehmen einst Anliegen der Konservativen. Die sprachliche Verrohung ist jedoch Programm, und aus ihr spricht wohl auch der Wunsch des autoritären Charakters nach dem »Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt« hat. Dass Rechtsextreme Blut sehen wollen, ist nichts Neues, doch erhalten sie nun Verstärkung durch gelangweilte Bösmenschen, die in ihrer Fäkalsprache auf Kleinkindniveau regredieren und davon träumen, mit ihrem Hintern das Gebäude der Zivilisation einzureißen. Sie bewundern Männer wie Wladimir Putin, die »etwas Großes« tun und einfach mal etwas annektieren.
Noch belässt der autoritäre Charakter es meist dabei, sich in Twitter-Gewittern zu bewähren. Beunruhigend ist das Ausmaß des Hasses und der Gewaltbereitschaft ohnehin, noch beunruhigender ist jedoch, dass die populistische und extreme Rechte in einer Situation wächst, die nach den geläufigen Kriterien dafür nicht sonderlich günstig ist. Wenn aus den gefühlten Problemen eine spürbare Krise wird, könnte das den Zulauf noch erheblich verstärken.