Der fünfte Jahrestag der spanischen 15M-Bewegung

Vereinnahmung und Ungeduld

Die »Empörten« ziehen zum fünften Jahrestag der spanischen Protestbewegung 15M eine gemischte Bilanz. Um Podemos hat sich ein linkes Wahlbündnis gebildet, das nach Umfragen die sozialdemo­kra­tische Partei PSOE bei den in Spanien anstehenden Neuwahlen überflügeln könnte.

Anlässlich des fünften Jahrestags der Bewegung 15M, die ihren namensgebenden Höhepunkt mit Platzbesetzungen in vielen spanischen Städten am 15. Mai 2011 erlebte, fanden erneut Versammlungen statt. Auf diesen wurde auch darüber debattiert, welche Ziele des Protests erreicht und welche verfehlt wurden. Die »Empörten« lehnen noch immer das Schicksal ab, »Waren in den Händen von Politikern und Bankern zu sein«.
Die Beteiligten, aber auch Vertreterinnen und Vertreter von Medien und Politik, inbesondere auf der Plaza del Sol in Madrid, waren sich einig, dass 15M die Initialzündung für einen politischen Wandel in Spanien darstelle. Die Einschätzungen, wie weit dieser Wandel reicht, gingen allerdings auseinander, vom enthusiastischen »systemverändernd« bis zum enttäuschten »Alles ist beim Alten geblieben«. Es war augenfällig, dass Repräsentantinnen von Politik und Medien mit den Ergebnissen eher zufrieden sind als diejenigen, die den Jahrestag zum Anlass nahmen, den Protest zu erneuern.
Dabei ist allen klar, dass keine der damals rein außerparlamentarisch erarbeiteten und von 1,4 Millionen Personen mitgestalteten 17 Forderungen des 15M spanienweit erfüllt wurde. Auf entscheidende Forderungen wie die nach einer Reform des Wahlgesetzes oder die nach der Wahrung der Grundrechte einschließlich des Rechts auf würdiges Wohnen haben die Regierungsparteien, vor allem die rechtskonservative Volkspartei (PP), kaum reagiert. Die Bewegung forderte neben Maßnahmen gegen die Deregulierung des Arbeitsmarktes auch, dass die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien nicht unter Korruptionsanklage stehen dürfen. Im Gegensatz dazu gibt es weiter ausufernde Fälle der Selbstbereicherung von Regierungsmitgliedern auf nationaler und regionaler Ebene.
Grundlegende Themen wie die Demokratisierung der spanischen Verfassung erfuhren mit dem 15M eine starke Aufwertung. Liberale und linke Parteien, am meisten sicherlich Podemos, haben die Forderungen aufgegriffen und ließen sie in die Parteiprogramme einfließen. Vor einem Jahr errangen Podemos nahestehende Kräfte bei den Kommunalwahlen große Erfolge. Die Enttäuschten unter den Protestierenden tendieren allerdings mitunter dazu, die Verbesserungen geringzuschätzen, die auf städtischer Ebene erreicht wurden.
Der Umgang mit dem nach wie vor brennenden Thema der Zwangsräumungen zeigt beispielhaft: Es konnte bislang keine effektive rechtliche Handhabe gegen Banken geschaffen werden, die ihre Schuldnerinnen und Schuldner auf die Straße klagen. Die linken Stadtregierungen haben daher teilweise Büros eingerichtet, um in Einzelfällen den betroffenen Personen und Familien rechtlichen Beistand und Hilfe zu leisten. Es hat sich also nichts Wesentliches geändert.
Der Geburtstag von 15M diente auch einer Selbstbesinnung der außerparlamentarischen Teilbewegungen, die sich allzu sehr von parteipolitischen Machtkämpfen haben vereinnahmen lassen. Dass die Ungeduld wieder wächst, erfuhr auch der alternativ-kommerzielle Privatsender La Sexta. Der hatte für eine Live-Sendung eine Bühne direkt auf der Plaza del Sol aufgebaut und wollten von dieser im Polittalk-Format, das den Sender bekannt gemacht hat, das Geschehen kommentieren. Aber nicht nur die Moderatorin, sondern auch die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien bekamen den Unmut gegen vereinnahmende Parteien und Medien deutlich zu spüren. Die Sprechchöre »Sie repräsentieren uns nicht«  – wie vor fünf Jahren  – erschwerten die Unterhaltung der Politiker. Ein Revival des 15M wurde von manchen insbesondere für den Fall angekündigt, dass die Parteien ihre Forderungen weiterhin ignorieren, doch das erscheint in absehbarer Zeit als unwahrscheinlich.
Auf parlamentarischer Ebene geht indes das Tauziehen zwischen Konservativen und Erneuerern anlässlich der für den 26. Juni anberaumten Neuwahlen in die nächste Runde. Mehrfach waren Koalitionsverhandlungen zwischen dem sozialdemokratischen PSOE und der linken Podemos gescheitert. Man schob sich gegenseitig die Schuld zu: Aus linker Sicht lag es an der konservativen Position des PSOE im sozialen Bereich sowie der Frage des Selbstbestimmungsrechts Kataloniens, aus sozialdemokratischer Perspektive unter anderem an den hohen Ansprüchen von Podemos; so reklamierte der Generalsekretär von Podemos, Pablo Iglesias, das Vizepräsidentenamt für sich. Insgesamt waren die Verhandlungen von für Beobachter teilweise ermüdenden taktischen Manövern geprägt.
Für die kommenden Wahlen bilden nun Podemos, die Vereinigte Linke (IU) und weitere kleine Parteien wie Equo, die als ökologisch-sozial orientierte Partei ebenfalls Abgeordnete stellt, das Wahlbündnis »Unidos Podemos«. Damit hat sich die Führungsriege von Podemos doch noch der bereits vor den Wahlen vom Dezember in der Linken klar artikulierten Forderung nach einer direkten Zusammenarbeit mit der IU gebeugt. In den vergangenen Wochen führte das Wahlbündnis harte Verhandlungen um Listenplätze, wobei vielfach Podemos als stärkste Partei dominierte und sich ohne zu zögern die wichtigsten Plätze sicherte. Die IU erschien hier vorsichtiger und auch kompromissbereiter.
Die teils deutliche Kritik am Führungsstil von Podemos scheint die Partei nicht immer Ernst zu nehmen. Die Debatte über parteiinterne Demokratiedefizite hindert die Parteispitze offensichtlich nicht daran, weiterhin Spitzenkandidaten per Fingerzeig von oben zu ernennen, wie es von PSOE und PP bekannt ist.
Generalsekretär Iglesias lehnte primarias (Vorwahlen) ab. Abgestimmt wurde hingegen über den Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit dem PSOE, wobei die Position der Parteispitze mit 88 Prozent deutliche Zustimmung erhielt, sowie über den Pakt mit der IU (98 Prozent Zustimmung). Das Problem von Podemos ist allerdings Beobachtern zufolge das erwähnte Demokratiedefizit innerhalb der Partei – nur vereinzelt werden Entscheidungen zur Urabstimmung gestellt, sowohl Zeitpunkt als auch Fragestellung werden von oben vorgegeben.
Das Resultat des linken Pakts kann sich indes sehen lassen. Jüngste Umfragen geben Unidos Podemos gute Chancen, den sozialdemokratischen PSOE bei dem anstehenden Wahlen zu überflügeln. Die Zahlen deuten allerdings auch darauf hin, dass der rechtskonservative PP trotz Verstrickungen in zahlreiche Korruptionsfalle – allein drei regionale PP-Präsidenten sind angeklagt – stärkste Partei bleiben wird. Da die liberale Partei Ciudadanos ebenfalls Zuwächse verzeichnen könnte, sind ein neuerliches Patt und ein schwieriges Ringen um die Regierungsbildung wahrscheinlich.