Wegen der Streiks wird in Frankreich die Gewerkschaft CGT angefeindet

Die Schurken von der CGT

Im Konflikt um das geplante französische Arbeitsgesetz rückt nach den sogenannten Casseurs nun der Gewerkschaftsverband CGT ins Visier von Unternehmern und Regierung.

Auch ohne abergläubisch zu sein, kann man die 13 eher für eine Unglücks- als eine Glückszahl für die französische Regierung halten. Das geplante Arbeitsgesetz unterstützten bei einer Umfrage, die am Sonntag publiziert wurde, nur 13 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen in seiner vorliegenden Fassung.
Staatspräsident François Hollande vertritt dabei eine etwas andere Linie als sein Premierminister Manuel Valls. Dieser macht sein politisches Schicksal als Regierungschef explizit davon abhängig, dass er den Beweis dafür antreten könne, dass Frankreich zu »reformieren« sei und damit aus seiner Sicht »zukunftsfähig« werde. Kompromisse, sofern sie über zweitrangige Umformulierungen hinausgehen, lehnt er deswegen ab.
Sein Vorgesetzter François Hollande sagte wiederholt, er unterstütze Valls‘ Kurs. Und doch weicht er in Nuancen von ihm ab. Hollande sucht noch immer nach Möglichkeiten, zumindest einen Teil der Gewerkschaften und der innenparteilichen Opposition an die regierende Sozialdemokratie zu binden. Vor allem auch, weil er weiß, dass er ganz ohne sie keine Chance haben wird, falls er bei der Präsidentschaftswahl in zehn Monaten zur Wiederwahl antritt, was offiziell allerdings noch nicht ausgemacht ist.
In den ersten Konfliktwochen hatte die Exekutive vor allem die autonome Szene zum Hauptgegner aufgebaut und darauf hingearbeitet, dass die Gewalt- oder Militanzfrage in der medialen Wahrnehmung der Demonstrationen in den Fokus rückte. Lohnabhängige mit Familienleben sollten von der Teilnahme an den Protestzügen abgeschreckt werden, die so eher Jüngere anzogen.
Seit der letzten Maiwoche sind vor allem Streiks und wirtschaftliche Blockadeaktionen stark in den Vordergrund gerückt. Die Platzbesetzerbewegung zerbröckelte in den vergangenen anderthalb Wochen merklich. Auch, aber nicht nur wegen der Witterungsbedingungen – Anfang dieser Woche drohten Menschen auf der Pariser Place de la République vom strömenden Regen schier weggeschwemmt zu werden. Dagegen zeigten die auf die Produktion und den Transport zielenden Aktionen, Streiks – unter anderem in Atomkraftwerken – und Blockaden etwa von Treibstoffdepots zunächst erhebliche Wirkung. Nachdem die Regierung Ende vergangener Woche die für Not- und Kriegszeiten dienenden Reserven an Kraftstoff angezapft hatte, hat sich die Lage für den Warentransport und die Tankstellen vorläufig entspannt.
Gleichzeitig rückte dadurch nun in Gestalt der CGT ein neuer Hauptgegner ins mediale Visier. Arbeitgeberpräsident Pierre Gattaz prügelte verbal auf die CGT ein und verkündete am Montag, deren Mitglieder führten »sich wie Ganoven, wie Terroristen auf«. Ferner sei »das Kürzel CGT gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit«, sagte er Le Monde, nachdem der Ölkonzern Total infolge der Raffineriestreiks künftige Investitionen in Frage zu stellte. Der stärkste gewerkschaftliche Dachverband in Frankreich, der bis vor 20 Jahren noch über organisatorische Verbindungen zur französischen KP verfügte – bis 1996 hatte er einen Vertreter in deren Parteivorstand –, wird zudem von Regierung und bürgerlichen Medien als ­angeblich hauptverantwortlich für die Proteste dargestellt. Das zielt auch ­darauf, bei den ebenfalls beteiligten kleineren Gewerkschaftsverbänden wie dem politisch schillernden Verband Force Ouvrière (FO), der sich im Kalten Krieg von der CGT abgespalten hatte, organisatorische Neid­gefühle zu erwecken. Damit soll die Möglichkeit von Parallelverhandlungen eröffnet werden, die mit FO offenbar bereits begonnen haben.
Die CGT-Führung wittert diese Gefahr und gibt sich deswegen seit dem Wochenende offener für Gespräche – auch aus der Befürchtung heraus, sie riskiere eventuell eine schwere Niederlage, falls es der Regierung gelinge, sie zu isolieren.
Am Montagabend erklärte der CGT-Generalsekretär Philippe Martinez gar, die bislang von seinem Verband geforderte Rücknahme des Gesetzentwurfs sei keine Vorbedingung mehr. Allerdings forderte er eine Reihe von Änderungen am Text. So sollen Betriebsvereinbarungen, die das geplante Arbeitsgesetz insbesondere zwecks Ausdehnung und Flexibilisierung der Arbeitszeiten fördern möchte, durch Branchenabkommen in mehr oder minder enge Grenzen gewiesen werden. Valls lehnt einen Kompromiss in dieser Frage ab, Hollandes Berater könnten jedoch noch nach Formulierungsmöglichkeiten suchen.
Unterdessen streiken in der laufenden Woche zunächst die Transport­betriebe. Seit Mittwoch traten die Bahnbeschäftigten in einen unbefristeten Streik, am Donnerstag dieser Woche folgen die Pariser Nahverkehrsbetriebe – Métro- und Buslinien – und von Freitag bis Sonntag die Fluglotsen und andere Beschäftigte im Luftverkehr. Dabei vermengen sich branchen- oder unternehmensspezifische For­derungen, weil man sich in der jetzigen allgemeinen Situation größere Siegeschancen ausrechnet, mit der Ablehnung des umstrittenen Arbeitsgesetzes.
Die Blockade von Transport und öffentlichem Verkehr dürfte den Druck auf die Regierung nochmals verstärken. Allerdings ist es dieser am Ende der vorvergangenen Woche gelungen, die bis dahin streikenden LKW-Fahrer ruhigzustellen. Ihnen soll eine Sonderregelung garantiert werden, wonach die mit dem geplanten Gesetz einhergehende Deregulierung der ­Arbeitszeiten nicht für die Fahrzeiten im LKW-Transport gelten soll. Dies soll durch ein spezifisches Dekret gewährleistet werden. Nunmehr versucht die Regierung, auch in anderen Bereichen durch Sonderverhandlungen und -vereinbarungen auf Branchenebene für Ruhe zu sorgen, möglichst ohne das auf zentraler Ebene bekämpfte Arbeitsgesetz antasten oder zurückziehen zu müssen.
Eine landesweite Zentraldemonstration soll am Dienstag kommender Woche stattfinden. Doch zwischen ihr und dem letzten Aktionstag am 26. Mai liegen zwei Wochen ohne zentralen Aufruf der Gewerkschaften zu Demonstrationen. Manche Beobachter vermuten deswegen, es gehe darum, die Zentraldemonstration möglichst gut vorzubereiten – während andere befürchten, es drehe sich eher darum, die Mo­bilisierungsdynamik zu bremsen und Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. Doch falls dies nicht gelingt, droht eine stetig dringlicher werdende Befürchtung der Regierung einzutreten: Eine Beeinträchtigung der Fußball-Europameisterschaft, die vom 10. Juni bis 10. Juli in Frankreich ausgetragen werden soll, schadet aus ihrer Sicht dem Image des Landes. Auch könnte ihre Störung mit wirtschaftlichen ­Einbußen einhergehen. Dies stärkt die Kampfkraft der Gewerkschaften, könnte aber auch dazu beitragen, dass ein Teil von ihnen aus Rücksicht auf Reaktionen der öffentlichen Meinung zurücksteckt.
Nicht nur Frankreich streitet über das Arbeitsgesetz, das in einigen seiner Grundlinien mit den wirtschaftsliberalen Empfehlungen der EU-Kommission vom Mai 2015 an die Pariser Regierung komplett übereinstimmt. Auch in Belgien hat der Konflikt um ein in Teilen ähnlich gestricktes Gesetzesvorhaben, das von Wirtschafts- und Beschäftigungsminister Kris Peeters präsentiert wurde, begonnen. Es erlaubt unter anderem die Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 45 Stunden. Anfang dieser Woche lag der Bahnverkehr im französischsprachigen Landesteil Wallonien komplett lahm, in Flandern war er erheblich verlangsamt.
In Belgien streiken seit Anfang Mai auch die Gefängniswärter und Polizisten weigerten sich, das Personal in den Haftanstalten zu ersetzen, woraufhin teilweise Soldaten dorthin beordert wurden. Am Donnerstag dieser Woche wollen die Richter in den Bummelstreik treten. Der Chef der mitregierenden flämisch-nationalistischen Rechtspartei N-VA, Bart de Wever, nutzt allerdings die Gunst der Stunde, um den belgischen Staat als »gescheiterte Nation« darzustellen, die er mit »Ex-Jugoslawien und der früheren Tschechoslowakei« gleichstellt. Auch die Reaktion hat längst nicht alle Karten ausgespielt.