Das neue Integrationsgesetz

Integration für besorgte Bürger

Das neue Integrationsgesetz füttert genau die Ressentiments, die es ursprünglich besänftigen sollte. Alexander Gauland wird’s freuen.

»Fördern und fordern« – dieser Passus, so dachte man, sei auf ewig untrennbar mit Hartz IV verbunden. Jenem Gesetzeswerk also, das seit nunmehr über elf Jahren so zuverlässig einen Teil der Gesellschaft von Arbeitsmarkt, Bildungschancen und Zukunftsperspektiven abschneidet, dass daraus inzwischen so etwas wie eine neue Klasse geworden ist: Menschen, die am kulturellen und politischen Leben oft kaum noch teilnehmen können, die auf unterstem Niveau durchgefüttert, dafür aber noch massiv drangsaliert und über die Reduzierung der Wohnkosten auf »an­gemessene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung« zunehmend in Ghettos an den Stadträndern konzentriert werden. Grund genug, das neue Inte­grationsgesetz der Bundesregierung, das von Bundeskanzlerin Angela Merkel ebenfalls unter das Motto »Fördern und fordern« gestellt wurde, mit Sorge zu betrachten.
Aber beginnen wir mit dem Positiven: Flüchtlinge sollen künftig schneller die Möglichkeit erhalten, in Arbeitsverhältnisse einzutreten. Um ihre dies­bezüglichen Chancen zu erhöhen, wird die »Vorrangprüfung«, nach der sie nur dann einen Job bekommen, wenn kein geeigneter Bewerber aus Deutschland oder der EU zur Verfügung steht, für drei Jahre ausgesetzt – zumindest in Regionen mit unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit. Auch dürfen Flüchtlinge, die einen Ausbildungsplatz finden, für die Dauer der Ausbildung nicht abgeschoben werden. Damit werden Forderungen deutscher Wirtschaftsverbände umgesetzt, die gerade im handwerklichen Bereich schon seit Jahren über unbesetzte Lehrstellen klagen beziehungsweise über die mangelnde Motivation und schulische Vorbildung der Bewerber – siehe die Folgen von Hartz IV. Man könnte diesen Teil des Integrationsgesetzes also durchaus als Bonbon für die deutsche Wirtschaft betrachten, deren wesent­liche Vertreter und Vertretungen den »Wir schaffen das!«-Kurs der Kanzlerin ab Sommer 2015 unterstützt haben. Aber richtige Entscheidungen aus den falschen Gründen sind bekanntlich ­allemal besser als falsche Entscheidungen.
Nun ist allerdings die deutsche Wirtschaft nicht der eigentliche Adressat des Integrationsgesetzes. Vor allem sollen die »besorgten Bürger«, also die realen und potentiellen AfD-Wähler, angesprochen werden. So etwa, wenn aus dem Recht auf Arbeit – wie schon bei den Hartz IV-Empfängern – eine Arbeitspflicht inklusive Leistungskürzungen bei Verweigerung generiert wird. Besonders perfide hierbei: Während deutsche Hartzer bei solchen Jobs mit einem Euro entlohnt werden, sollen Flüchtlinge nur 80 Cent erhalten, wohl um sie in der gesellschaftlichen Hackordnung auch wirtschaftlich auf einer niedrigeren Stufe zu platzieren. Ob derlei Nuancen im Cent-Bereich genügen werden, um den völkischen Mob zu befrieden, darf jedoch bezweifelt werden. Gleiches gilt für die neue Regelung, dass anerkannte Flüchtlinge künftig erst nach fünf statt bisher drei Jahren eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis erhalten sollen, und dies auch nur, wenn sie hinreichende Sprachkenntnisse und einen Arbeitsplatz nachweisen können.
Aber die Pegida- und AfD-Klientel ist gar nicht »besorgt« wegen mangelnder Deutschkenntnisse oder Finanzierungsfragen, sie will einfach keine Menschen anderer Hautfarben oder kultureller Hintergründe als Nachbarn haben. Dies gilt, wie der AfD-Vizevorsitzende Alexander Gauland gerade klarstellte, auch, wenn diese Nachbarn deutsche Pässe haben und sogar, wenn sie, wie Jérôme Boateng, für die Fußballnationalmannschaft spielen. Ganz gleich also, wie viele Integrationshürden juristischer Art die Bundesregierung auch errichtet, sie wird damit keinen der nach rechtsaußen driftenden Wähler zurückgewinnen. Dies zeigten bereits die rassistischen Reaktionen auf die Kinderfotos der Nationalspieler Özil, Khedira, Boateng und Co. auf einer Sonderedition von Kinderschokolade, die Gauland wohl die Vorlage für seinen beherzten Schuss in die untere rechte Ecke gaben.
Entsprechend vorsichtig verhielt sich Merkel, als sie Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag ausrichten ließ, das Gauland-Zitat sei »ein niederträchtiger und ein trauriger Satz«. Deutlicher wurde Boatengs Mannschaftskollege Sami Khedira. Der erklärte, die Nationalspieler würden »das moderne Deutschland« leben »wie keine anderen«, und verwies somit, im Gegensatz zur Kanzlerin, darauf, dass dieser Staat de facto längst ein Einwanderungsland ist, ob das Herrn Gauland nun passt oder nicht. Würde sich auch die Kanzlerin für diesen Standpunkt starkmachen, dann müsste es im neuen Integrationsgesetz vor- oder zumindest gleichrangig um geeignete Maßnahmen zur Reintegration rassistischer Kleinbürger in dieses »moderne Deutschland« gehen. Aber der einzige Ansatz, der in diese Richtung weist, ist – obwohl anders gemeint – die dreijährige sogenannte Wohnsitzauflage für bereits anerkannte Flüchtlinge.
Tatsächlich könnte ja eine dauerhafte Ansiedlung von Migranten etwa in der sächsischen oder mecklenburgischen Provinz, also dort, wo bis heute ausschließlich deutsche Weißgesichter in dumpfer Weltangst beieinanderhocken, langfristig wie eine verhaltenstherapeutische Reizkonfrontation wirken. Nur würde ein solches Vorgehen bewusst Menschenleben aufs Spiel setzen, weshalb es wohl angebracht wäre, hier eher mit freiwilligen Integrationsbotschaftern zu arbeiten und nicht mit per Gesetz dazu verpflichteten Flüchtlingen. Aber selbstverständlich ging es bei der Idee der Wohnsitzzuweisung gar nicht um solche möglichen zivilisierenden Nebeneffekte, vielmehr soll damit »das Entstehen sozialer Brennpunkte vermieden werden«, wie es beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales heißt. Sich über den in­tegrierenden Effekt von Community-Netzwerken blicklos hinwegsetzend, möchte man die Neuankömmlinge einfach möglichst weit streuen.
Wie gut diese Taktik funktioniert, zeigt sich an den russischen Spätaussiedlern, mit denen man Gleiches in den neunziger Jahren versucht hat und die beispielsweise in Berlin dennoch mehrheitlich in den Bezirken Spandau und Hellersdorf-Marzahn zusammengefunden haben, weil es nur dort noch bezahlbaren Wohnraum in größerem Maßstab gibt. Aber was interessieren Politiker schon so reale Hürden wie der Wohnungsmarkt oder mordlüsterne Kleinstadtrassisten, wenn es gilt, ein Gesetz noch vor der Sommerpause durchzubringen, dessen wesentliche Aussage die ist, dass die Flüchtlinge für ihre Integration selbst in der Bringschuld sind und bei Fehlverhalten mit Leistungskürzung bestraft werden. Dies gilt nämlich auch, wenn jene Integrationskurse geschwänzt werden, die neben der deutschen Sprache auch »deutsche Werte« vermitteln sollen.
Wenn man Pro Asyl glauben darf, ist es allerdings gar kein reales Problem, dass diese Kurse verweigert werden. Im Gegenteil: Es gibt weiterhin viel zu wenige Angebote, weshalb Flüchtlinge oft gar nicht die Chance erhalten, sich diesbezüglich weiterzubilden. Auch haben die »deutschen Werte«, die da gemeinhin vermittelt werden, zum Glück deutlich mehr mit Khediras Vorstellung vom »modernen Deutschland« zu tun, als mit dem, was Gauland darunter versteht.
Warum also das Ganze? Und warum in dieser Wortwahl? Die Antwort ist simpel: Bei dem angeblichen Integrationsgesetz geht es, neben wirtschaftsfördernden Aspekten, vorrangig darum, deutschen Wählern zu vermitteln, die Bundesregierung habe die Sache im Griff. Dass dabei im Subtext die rechte These genährt wird, Flüchtlinge hätten kein Interesse daran, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wird wie ein Kollateralschaden hingenommen. Und so heizt dieses Gesetz, das vermutlich dazu gedacht war, die »Angst vorm schwarzen Mann« bei potentiellen AfD-Wählern zu dämpfen, bestehende Ressentiments weiter an.