Kritik der EU-Kommission an der rechten Regierung in Polen

Die Orbánisierung geht weiter

Die autoritären Anwandlungen der rechten Regierung Polens machen der EU Sorgen. Nun hat die EU-Kommission ihre Bedenken in einer offiziellen Stellungnahme dargelegt.

Die EU-Kommission ist im Konflikt mit der polnischen Regierung vorerst hart geblieben. In der vergangenen Woche verabschiedete sie eine Stellungnahme, in der sie ihre Bedenken zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen darlegt. Was wie eine bloße Formalie wirkt, ist ein wichtiger Schritt im Rechtsstaatlichkeitsmechanismus nach Artikel 7 des EU-Vertrags, der seit Beginn des Jahres auf Polen angewandt wird. Grund dafür war die von der seit November 2015 amtierenden rechten Regierung vollzogene Justizreform, die die Zusammensetzung und Arbeitsweise des Verfassungsgerichts neu regelt (Jungle World 3/2016). Die polnische Regierung unter Ministerpräsidentin Beata Szydło von der Partei PiS hat nun Zeit, sich zur Stellungnahme der Kommission zu äußern, bevor diese Handlungsempfehlungen ausspricht und deren Umsetzung einfordert. Konsequenzen des mehrstufigen Prüfverfahrens könnten die Streichung von EU-Geldern für das sanktionierte Land sowie der Entzug seines Stimmrechts in EU-Gremien sein.
Die Entscheidung der Kommission wurde mit Spannung erwartet, da bislang wenig für ein Einlenken der polnischen Regierung sprach, die mit Unverständnis und Verärgerung auf die Einleitung des Prüfverfahrens reagiert hatte. Der Kontakt der Kommission zu polnischen Behörden sowie ein Besuch des zuständigen Vizepräsidenten Frans Timmermans in Polen am 24. Mai blieben ebenfalls ergebnislos. Der Parteivorsitzende von PiS, Jarosław Kaczyński, wies Ende Mai den Oppositionsparteien die Schuld dafür zu, dass kein Kompromiss im Streit um die Besetzung des Verfassungsgerichtes gefunden werden konnte. Gleichzeitig betonte Ministerpräsidentin Szydło, dass ihre Regierung sich keinem »Ultimatum« beugen werde und die Forderungen der EU-Kommission als einen Angriff auf die Souveränität Polens betrachte.
Polnische Oppositionelle, die im Frühjahr mehrere Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern gegen die Justizreform und neue Medien- und Polizeigesetze, begrüßten die Deutlichkeit der Stellungnahmen der EU. Timmermans wies ausdrücklich auf die »systembedingte Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit« durch die PiS-Regierung hin. Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro dagegen warf der EU-Kommission erneut die Einmischung in innere Angelegenheiten seines Landes vor, Kaczyński drohte mit einer Klage Polens gegen die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof.
Tatsächlich wird die Haltung der EU gegenüber Polen in den kommenden Monaten von entscheidender Bedeutung sein. Insbesondere Kaczyński hat bereits vor Jahren deutlich gemacht, dass er im ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán sein politisches Vorbild sieht. Wie Orbán 2010 ist nun auch Kaczyński nach einer früheren Amtszeit (2005–2007) wieder in eine führend Position gekommen, jedoch bekleidet er offiziell kein Regierungsamt. Beide Politiker nutzten die Zeit in der Opposition, um Strategien zu entwickeln, die ihre erneute Abwahl verhindern sollen. Die schnelle Abfolge innenpolitischer Reformen nach dem Wahlsieg erweckt in der Tat den Eindruck, dass Kaczyński und die PiS innerhalb von Monaten dieselbe »illiberale Demokratie« (Orbán) errichten wollen, die Orbán und seine Partei Fidesz in den vergangenen sechs Jahren in Ungarn geschaffen haben.
Gerade weil die an der Gewaltenteilung festhaltenden Staaten in der EU bisher darauf verzichteten haben, diesen europäischen Grundsatz gegen das autoritäre Projekt Orbáns zu verteidigen, drohen ihnen nun von der Partnerschaft zwischen Polen und Ungarn neue Probleme. Diese liegen zunächst auf der Ebene der EU-Institutionen selbst: Im Europarat als Gremium der Staats- und Regierungschefs sitzen mit Szydło und Orbán nun zwei Akteure, die einstimmig zu treffende Entscheidungen des Rates durch gemeinsames strategisches Handeln blockieren können. So hat Orbán für den Fall, dass im Laufe des Rechtsstaatlichkeitsverfahrens Sanktionen gegen Polen im Rat diskutiert werden, bereits sein Veto angekündigt. Eine solche Blockadeoption rechtskonservativer Regierungen hat es bisher auf Ebene der höchsten EU-Institution nicht gegeben.
Zudem geht von Ungarn und Polen eine Beispielwirkung für andere (ost)europäische Staaten aus. Benachbarte Regierungen beobachten die innenpolitischen Transformationen in beiden Ländern genau. In Kroatien relativiert der seit 2015 amtierende Kulturminister der Regierungspartei HDZ, Zlatko Hasanbegović, die Vergangenheit des Landes unter dem faschistischen Ustaša-Regime (Jungle World 15/2016). Der tschechische Präsident Miloš Zeman fordert die Deportation von Wirtschaftsflüchtlingen und in der Slowakei betont Ministerpräsident Robert Fico, sein Land sei für »die Slowaken aufgebaut worden, nicht für Roma und Muslime«. Dass sowohl Fico als auch Zeman nominell sozialdemokratischen Parteien angehören, wirft ein Schlaglicht auf die Verbreitung von rassistischem und rechtsextremem Gedankengut in Osteuropa über Parteigrenzen hinweg.
Ob und inwieweit außer Orbán noch andere europäische Politiker die polnische Regierung unterstützen, wird den Ausgang des Konflikts mit der EU-Kommission wesentlich beeinflussen. Anders als die Fidesz-Vertreter aus Ungarn ist die PiS um Kaczyński nur schwach in die institutionelle Struktur der EU eingebunden. Die Partei Fidesz gehört der Europäischen Volkspartei (EVP) als größter Fraktion im Europaparlament an, die mit Abstand die meisten Kommissare stellt und sich weigert, mit Orbán zu brechen. Dieser war von 2002 bis 2012 einer der Vizepräsidenten der EVP und ist weiterhin Vizepräsident der christdemokratischen Internationale (CDI-IDC). Die PiS hingegen ist Mitglied in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der etwa auch die Alternative für Deutschland (AfD) und die britischen Tories angehören und die deutlich weniger Einfluss hat.