Russische Trucker organisieren sich

Die Trucker organisieren sich

Nach einem Protestcamp und einem zehntägigen Streik dokumentieren russische Trucker den Zustand der Fernstraßen und informieren sich gegenseitig über die Arbeitbedingungen.

Auf Reisen sind sie eigentlich immer. Die Ladung einiger widerständiger russischer Fernfahrer besteht seit vergangener Woche allerdings weniger aus Holz, Gemüse oder sonstigen Waren, als vielmehr aus allerlei technischen Gerätschaften, um landesweit den Zustand der Fernstraßen zu dokumentieren und sich systematisch über die Arbeitsbedingungen von Kollegen zu informieren. Einen Monat lang ist eine Gruppe Trucker in drei Lastkraftwagen unterwegs und erhält in den besuchten Gegenden jeweils lokale Verstärkung. Wo die Straßen im Gebiet Kursk nichts zu wünschen übrig lassen, sieht es in der Umgebung von Rjasan oder Tula ganz anders aus. Dort treffen die Fernfahrer in einem fort auf Löcher und regelrechte Gruben im Straßenbelag, die sie nun sorgfältig ausmessen und fotografieren. Dabei zahlen sie reichlich Steuern und Abgaben für den Erhalt des Straßennetzwerks, seit November sind die Halter von LKW mit einem Gesamtgewicht ab zwölf Tonnen außerdem zur Entrichtung einer speziellen Schwerverkehrssteuer namens »Platon« verpflichtet.
Genau dagegen richtet sich der seither nicht abebbende Protest russischer LKW-Fahrer und Transportkleinunternehmer. Ihre Gewinnspanne war bereits vor dem Einsetzen der wirtschaftlichen Flaute gering, nun sehen sie ihre Existenz bedroht. Mit der Aufklärungstour versuchen sie so viele Menschen wie möglich zu erreichen, um ihnen die Hintergründe ihrer Protestaktionen zu erklären. »Die Leute stehen uns sehr positiv gegenüber«, sagt Rustam Mallomagomedow der Jungle World. »Aber wegen der Informationsblockade wissen sie nichts über uns.« Rustam stammt aus Dagestan und engagiert sich nicht nur in Vollzeit als Koordinator der Trucker in der russischen Kaukasus-Republik, sondern landesweit.
Im November sorgte eine Sternfahrt nach Moskau für Aufruhr. Einer Ausweitung der Proteste versuchte die Regierung dadurch zuvorzukommen, dass sie den Tarif für »Platon« verringerte. Dafür stieg die Verbrauchsteuer auf Benzin und auch eine bereits diskutierte Aufhebung der Kfz-Steuer ist nicht in Sicht. Fünf Monate lang unterhielten Trucker aus verschiedenen Regionen ein Protestcamp vor den Toren Moskaus (Jungle World 5/2016) und Ende Februar traten viele aufgebrachte Fernfahrer in einen zehntägigen Transportstreik, den die staatlichen Medien komplett ignorierten. Seitens der offiziellen Gewerkschaften blieb Unterstützung aus, nur der Verband unabhängiger Gewerkschaften stand den Truckern bei. Durch den Verdienstausfall häuften sich hohe Schulden an. Ihre einzige Chance sahen die Fernfahrer im Aufbau eines eigenen Netzwerks und sie ließen die Zeit im Protestcamp nicht ungenutzt verstreichen. Ende April schließlich war es so weit: In Moskau fand der Gründungskongress der Vereinigung der Fuhrunternehmer Russlands statt, die über 2 000 Mitglieder in 43 Regionen vereint. Eine Leistung sondergleichen angesichts der ansonsten dürftigen Vernetzung vieler russischer Aktivisten.
Der Machtapparat reagiert harsch. Insbesondere in Dagestan, wo der Organisationsgrad der Fernfahrer ungleich höher liegt als in anderen russischen Regionen, sehen sich die Protestierenden mit polizeilichen Abschreckungsmaßnahmen konfrontiert. Rustam Mallomagomedow erfuhr im März, dass er zur Fahndung ausgeschrieben ist. Bei einer Vorladung ins Moskauer Polizeipräsidium hieß es, sein LKW habe einen Personenschaden verursacht – dabei ist der Wagen seit Dezember abgemeldet und nicht im Einsatz. Bei ihrer jetzigen Tour durch das Krasnodarer Gebiet versuchte die Polizei Anfang Juni die Weiterfahrt der kleinen Kolonne zu unterbinden. Gestört hatte sie sich unter anderem an einem Aufkleber mit dem Aufruf zur Einhaltung des Artikels 74 der russischen Verfassung, der die Freiheit des Warenverkehrs und der Transportdienstleistungen garantiert.
Die Fernfahrer haben sich viel vorgenommen. Es gilt nicht nur, »Platon« abzuschaffen, sondern den gesamten Transportsektor umzugestalten und bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Rustam Mallomagomedow hält dies für möglich. »Wir waren anfangs nicht organisiert, weshalb wir nicht vorangekommen sind. Ab jetzt werden wir nur noch gemeinsam handeln.«