Homestory

Es gibt Sätze, die in 99 Prozent aller Fälle falsch sind. »Die werden auch immer mehr« ist so einer – fast immer grundverkehrt, das weiß jeder, der sich nur etwas auf die Wahrheit einlassen kann. Umso erstaunlicher, dass am vergangenen Montagmittag ein Kollege aus der Geschäftsführung im Türrahmen stand und genau diesen Satz von sich gab. Hochroter Kopf, pochende Schläfen und mit der kleinen weißen Omatasse voll Bohnenkaffee gestikulierend. Schrecklich sei es, sagte er, und ob man da nicht etwas unternehmen müsse? Gemeint waren ein paar Fahrräder, die seit zig Sommern im Eingangsbereich der Redaktion geparkt werden. Gut gepflegt, Rahmen aus den siebziger Jahren, wahlweise mit oder ohne Schaltung – ganz wunderbare Fahrräder, die auch zu Hause immer mit rein dürfen. »Als hätten die Leute keine Zeit, diese verdammten Hipster-Fahrräder im Hof anzuschließen«, wetterte der Geschäftsführer. »Wie teuer ist so ein Fahrrad eigentlich?« fragte eine Kollegin und erzählte anschließend, sie wolle sich selbst bald ein neues zulegen. Es war eine nebenbei eingestreute Bemerkung, etwas zu beiläufig vielleicht.
Der Besitzer des zweifellos schönsten Fahrrades der Redaktion jedenfalls folgte an jenem verdienten Feierabend seinem neuen Trainingsplan, ausgestaltet von einem Vertreter des Layouts. Joggen, aber in kleinen Intervallen, riet dieser – selbst ein Fahrradnarr, kein unwichtiges Detail –, sei für Wiedereinsteiger mit Meniskusproblemen das Richtige. Am besten in Büronähe, die Hasenheide sei der perfekte Ort. Bekannt aus Funk und Fernsehen, sei der Park viel besser als sein Ruf, sagte er und trug einen Gesichtsausdruck zur Schau, der als vielsagend, vielleicht sogar verschmitzt bezeichnet werden könnte. Am besagten Tag, irgendwann zwischen 19.35 Uhr und 19.42 Uhr, gerade als der Fahrradbesitzer seine dritte Runde auf dem Schotterweg des Parks drehte und schon reichlich mitgenommen war – von den Blicken der auf dem Rasen herumlungernden Hippies mindestens so geschwächt wie vom Sport selbst –, ereignete sich der Zwischenfall. Das Fahrrad war plötzlich weg. Einfach verschwunden, der Dieb hatte nicht einmal das durchgekniffene Schloss zurückgelassen.
Katerstimmung machte sich breit. Was konnte jemand mit einem derart auffälligen Fahrrad anfangen? Was sollte man tun, sähe man jemanden mit dem Fahrrad umherdüsen? »Was?! In der Hasenheide? Ich dachte nicht, dass so etwas dort passieren könnte!« sagte einer der Kollegen am nächsten Tag. Alle waren voller Mitleid und zeigten sich überrascht. Etwas zu überrascht vielleicht. Und was war das für ein höhnisches Gegacker, das aus der Küche drang? Wieso standen Farbreste im Flur? Irgendwas läuft hier ab, das würde jeder merken, der beruflich mit der Suche nach Wahrheit betraut ist. Nur weil man paranoid ist, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht hinter einem her sind. Gilt das nicht auch für Journalisten?