Staatliche Mittel für das Freie Archive der sozialen Bewegungen

Papierene Relikte

Freie Archive dokumentieren die Kämpfe sozialer Bewegungen über mehrere Jahrzehnte. Doch viele arbeiten unter prekären Bedingungen. Ob mehr staatliche Förderung helfen würde, ist umstritten.

Flugblätter, Broschüren, Plakate, Liederbücher – die sozialen Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte haben eine Menge Papier hinterlassen. Oft sind die Materialien im politischen Handgemenge entstanden. Die Verfasser haben sich kaum Gedanken darüber gemacht, dass die handgeschriebene Broschüre mit dem Anti-AKW-Symbol oder das Flugblatt mit dem Symbol der Frauenbewegung einmal Dokumente der Zeitgeschichte werden könnten.
Doch schon in der Hochzeit der unterschiedlichen sozialen Bewegungen gab es eine kleine Gruppe von Menschen, die nicht nur Zeitungen auswertete und Artikel ausschnitt, sondern auch Flugblätter, Broschüren und Plakate der sozialen Bewegungen archivierte. Für viele dieser Menschen wurde die Archivarbeit eine Lebensaufgabe, ihre Sammlungen bilden bis in die Gegenwart den Kern der sogenannten Freien Archive.
Der Leiter des »Archivs für alternatives Schrifttum« (afa), Jürgen Bacia, bezeichnet sie als »Sammelstellen für die papiergewordenen Relikte der autonomen, antifaschistischen, feministischen und anderen außerparlamentarischen Bewegungen«. Gemeinsam mit Cornelia Wenzel vom Kasseler »Archiv der Deutschen Frauenbewegung« hat er unter dem Titel »Bewegung bewahren« 2013 das Standardwerk zum Thema Freie Archive herausgegeben. Deren Bedeutung ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Viele sozial oder politisch Engagierte wollen verhindern, dass Bewegungen, in die sie viel Kraft und Zeit gesteckt haben, vergessen werden. Im Alter kümmern sich viele dieser Menschen darum, die Zeugnisse ihrer Tätigkeit an Freie Archive zu übergeben. Manchmal sind es aber auch die Erben, die mit einem oft ungeordneten Nachlass konfrontiert sind. So landen viele Materialien auf dem Müll, wenn sie nicht durch glückliche Fügungen Eingang in ein Freies Archiv finden.
Diese Archive stoßen immer öfter an ihre Grenzen. »Die Menschen, die dort arbeiten, sind häufig ohne regelmäßige Einkünfte und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Gewerkschaft akzeptieren würde. Wir regeln das mit viel Selbstausbeutung«, beschreibt Bacia die Arbeit vieler Archivare.
Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede, wie bei einem bundesweiten Workshop der Freien Archive Ende Mai in Berlin deutlich wurde. Da blitzte kurzzeitig manche alte Kontroverse wieder auf. So sprach ein Archivar vom Berliner Schwulenmuseum bei seiner Projektvorstellung von den »Bewegungen mit den Sternchen«, die dort ebenfalls Platz gefunden hätten. Damit meinte er die Kämpfe von Lesben und Transpersonen, die im Schwulenmuseum dokumentiert werden. »Wir sind aber keine Sternchen«, kam der Widerspruch von Frauen, die auf dem Treffen Archive der feministischen Bewegung vertreten. Der Dissens konnte schnell beigelegt werden.
Die Frage, ob die Freien Archive staatliche Mittel fordern sollen, dürfte für mehr Diskussionen sorgen. »Während die Archive der DDR-Oppositionsbewegung mittlerweile großzügig gefördert werden, fühlt sich für die Zeugnisse der westdeutschen Alternativ- und Protestbewegung bisher niemand zuständig«, kritisiert Bacia. Er fordert staatliche Förderung bei vollständiger Wahrung der Unabhängigkeit. Wenzel verweist darauf, dass verschiedene Archive der Frauenbewegung eine finanzielle Förderung durchzusetzen konnten, ohne ihre Autonomie aufzugeben.
Das »Bildarchiv Umbruch«, das im Umfeld der Westberliner Instandbesetzerbewegung der achtziger Jahre entstanden ist, empfiehlt den Freien Archiven hingegen, zu ihren Gründungsideen zurückzukehren. Schließlich sei es damals nicht darum gegangen, Protestgeschichte zu historisieren, sondern darum, neue Generationen zu unterstützen. Wenn die Miete für die Archivräume steigt, sei es daher sinnvoller, gemeinsam mit den Nachbarn den Widerstand dagegen zu organisieren, als mehr Unterstützung vom Staat zu fordern.