Was denken die Deutschen über das bedingungslose Grundeinkommen?

Das Grundeinkommen heilt nicht alles

Die Schweizer wollen es nicht. Doch wie halten die Deutschen es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen? Eine neue Studie gibt einige Antworten.

Drei Viertel der Deutschen befürworten die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Das ergab zumindest eine Studie des Meinungsforschungsinstituts »Yougov«, die im Auftrag des Vereins »Mein Grundeinkommen« erstellt und am Dienstag vergangener Woche in Berlin präsentiert wurde. Nur zwei Tage zuvor hatten die Schweizer die Möglichkeit, über die Einführung des BGE abzustimmen. Sie entschieden sich jedoch mehrheitlich dagegen. Nur 23 Prozent der Wähler sprachen sich für ein Grundeinkommen von 2 500 Schweizer Franken im Monat aus, umgerechnet ungefähr 2 290 Euro.
Unterscheiden sich Deutsche und Schweizer also erheblich, wenn es um die Frage des Grundeinkommens geht? Betrachtet man die Ergebnisse der Studie aus Deutschland gründlicher, erscheint der Unterschied doch nicht so groß. 29 Prozent der Deutschen befürworteten das BGE voll und ganz, 44 Prozent dagegen gaben an, die Idee prinzipiell gut zu finden, aber noch offene Fragen zu haben. 21 Prozent sprachen sich dagegen aus. Amira Jehia, die Geschäftsführerin von »Mein Grundeinkommen«, äußerte während der Präsentation der Studie außerdem die Vermutung, dass die höheren Einkommen in der Schweiz eine Rolle für das Abstimmungsergebnis spielen könnten. So ergab die Studie, dass sich Menschen mit niedrigem Einkommen und Bildungsgrad besonders häufig für ein BGE aussprachen.
Die Studie spiegelt den größten ­Einwand wider, den die meisten Gegner gegen das BGE haben – und entkräftet ihn zugleich: 50 Prozent der 2 033 Befragten glaubten, die meisten Menschen würden mit einem Grundeinkommen nicht mehr arbeiten gehen. Zugleich gaben fast ebenso viele an, dass sie weiter arbeiten würden wie bisher. Nur acht Prozent würden der Studie zufolge aufhören zu arbeiten. Diese Zahlen räumen einerseits einen häufig geäußerten Zweifel am BGE beiseite. Andererseits stellen sie aber auch sein Potential zur sozialen Veränderung in Frage: Die Hälfte der Deutschen würde tatsächlich auch mit einem Grundeinkommen nichts an ihrem Arbeitsverhältnis verändern.
33 Prozent der Befragten gaben jedoch an, sie würden zwar weiterhin arbeiten, allerdings unter anderen Bedingungen. Gemessen an der Tatsache, dass besonders viele Geringverdienende unter denjenigen sind, die das BGE befürworten, spricht diese Zahl dafür, dass doch ein gewisses Potential zur sozialen Veränderung in einer Einführung stecken könnte: Das BGE könnte immerhin für ein Drittel der Menschen die Ängste beseitigen, die sie eventuell noch davon abhalten, bessere Arbeitsbedingungen einzufordern.
Zu vielen Einwänden gegen das Grundeinkommen kann die neue Studie jedoch keine Auskunft geben. Was etwa wäre, wenn das BGE im derzeitigen politischen Klima in Deutschland eingeführt würde? Würde angesichts der Konjunktur rechter Parolen die Hetze gegen »Faulenzer« und »Schmarotzer« zunehmen? Würde die Zahl rassistischer Gewalttaten weiter steigen, wenn darüber diskutiert würde, ob auch Asylsuchenden ein BGE zustünde? Vereinsgeschäftsführerin Jehia maßte sich nicht an, diese Bedenken ausräumen zu können. Sie war allerdings der Ansicht: »Rechte Gewalt hat häufig mit Existenzangst zu tun. Das Grundeinkommen könnte dem Anstieg der rassistischen Übergriffe auf Dauer sogar entgegenwirken.« Auch der Initiator der Schweizer Volksabstimmung, Daniel Häni, ist der Ansicht, rechtspopulistische Parteien benutzten Existenzängste für ihre Politik. Das BGE hätte demnach das Potential, die soziale Basis für den europäischen Rechtsruck zu schmälern.
Aus feministischer Perspektive gibt es Stimmen, die zu bedenken geben, ein Grundeinkommen könnte für Frauen ein zusätzlicher Anreiz sein, sich nur noch um Haushalt und Kinderbetreuung zu kümmern – vor allem wenn sie weniger verdienen als ihr meist männlicher Partner, wie es mehrheitlich der Fall ist. Jehia gab dagegen zu bedenken, dass das BGE – anders als beispielsweise das Betreuungsgeld – Frauen wirtschaftliche ­Unabhängigkeit verschaffen würde, die derzeit abhängig von ihrem Partner seien.
Michael Bohmeyer, Gründer von »Mein Grundeinkommen«, ist sich der feministischen Gegenargumente offenbar bewusst. Er geht davon aus, dass das Grundeinkommen auf lange Sicht emanzipatorisch wirken würde, schließt aber nicht aus, dass es kurzfristig auch zu gegenteiligen Effekten kommen könnte. »Das BGE ist kein Allheilmittel«, sagte er im Zuge der Präsentation, »aber es eröffnet Diskussions­räume.«
Eine Diskussion anzuregen, war auch das Ziel von Daniel Häni, der bei der Schweizer Volksabstimmung weitaus schlechtere Ergebnisse erwartet hatte. »Darüber, dass sich das BGE finanzieren lässt, kann man Abende lang Vorträge halten«, sagt Jehia. Doch tatsächlich müssten Fragen nach den Auswirkungen des BGE auf die Zuwanderung und auf die Care-Arbeit besprochen werden. »Auf diesem Niveau läuft die Debatte in Deutschland noch gar nicht«, sagt sie.