»Ganz leicht zum Opfer werden«

Flüchtlingsheime sind gefährliche Orte – vor allem für Frauen. Das geht aus Veröffentlichungen der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale hervor. Sie hat deshalb in der vergangenen Woche sechs Forderungen zum Schutz von geflüchteten Frauen und Mädchen an das Ministerium für Inneres und Kommunales in Nordrhein-West­falen gerichtet. Jessica Mosbahi von Medica Mondiale hat mit der Jungle World gesprochen.

Von Gewalttaten in Flüchtlingsunterkünften hört man gelegentlich. Lässt sich systematisch etwas über die Formen von Gewalt gegen Frauen sagen?
Die Formen der Gewalt sind vielfältig. Sie reichen von Beleidigungen über Begrapschen bis hin zu Vergewaltigungen. Wir als Frauenrechtsorganisation beschäftigen uns seit 23 Jahren mit dem Thema und wissen, dass Frauen diese Formen geschlechtsspezifischer Gewalt immer wieder erleben. Flüchtlingsunterkünfte sind traurigerweise sehr geeignete Orte dafür. Sie sind überfüllt, es gibt wenig Kontrolle und die Frauen befinden sich in sehr prekären Situationen, die Männer häufig ausnutzen.
Handelt es sich eher um innerfamiliäre Gewalttaten oder werden vorwiegend alleinstehende Frauen zum Ziel?
Die Bandbreite reicht von häuslicher, innerfamiliärer Gewalt bis zu Angriffen auf alleinreisende Frauen. Manchmal sind die eigenen Ehemänner die Täter. Alleinreisende Frauen wiederum sind sehr exponiert und werden von vielen geflüchteten Männern, aber auch – das möchte ich in diesem Zusammenhang besonders betonen – vom Personal in den Unterkünften und vom Sicherheitsdienst als besonders leichte »Beute« betrachtet. Täter finden sich also auch unter den Mitarbeitenden.
Sind die Heimbetreiber nicht dazu angehalten, die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten?
Es gibt keinerlei Vorgaben zum Gewaltschutz. Es gibt Tendenzen, dass solche Unterkünfte, auch wenn ich nicht alle über einen Kamm scheren möchte, zu einem rechtsfreien Raum werden. Ich möchte aber nicht nur dem Personal Vorwürfe machen. Da bestehen häufig Überforderung, Überlastung und Unsicherheit im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Die wenigsten Angestellten wissen, wie man mit traumatisierten Menschen umgeht, zu denen eben viele Frauen gehören. Es gibt sehr wenig Aus- und Fortbildung für das Personal. Und es arbeiten sehr unterschiedliche Menschen in den Heimen. Aber alle müssten wissen, wie man sensibel mit traumatisierten Zufluchtsuchenden umgeht. Doch dieses Wissen fehlt.
Haben Frauen in solchen rechtsfreien Räumen überhaupt die Möglichkeit, Schutz zu suchen?
Es ist sehr schwer. Es gibt in den Landesunterkünften abhängig von der Zahl der Bewohner ein zentrales Beschwerdemanagement. Dahin können sich die Frauen wenden. In den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften liegt das Beschwerdemanagement häufig bei der Heimleitung. Hier liegt natürlich dann ein Interessenkonflikt vor, wenn die Gewalt vom Personal ausgeht. Doch selbst wenn es solche Möglichkeiten gibt, scheitert es häufig daran, dass den Frauen die Informationen über ihre Rechte fehlen. Zudem fürchten viele Frauen Sanktionen.
Wäre eine Gesetz zum Schutz vor Gewalt hilfreich?
Genau deshalb haben der Kölner Flüchtlingsrat und Medica Mondiale sich mit den sechs Forderungen zu Wort gemeldet. Das Land Nordrhein-Westfalen möchte ein Gewaltschutzkonzept erarbeiten. Das ist begrüßenswert. Zugleich haben wir festgestellt, dass es in fast keinem Bundesland Präventionsmaßnahmen gibt. Das Konzept, das in Nordrhein-Westfalen entstehen soll, wird nur für die Landesunterkünfte gelten, nicht aber für Gemeinschaftsunterkünfte. Ideal wäre, wenn unser Konzept bundesweit Schule macht.
Ein Punkt in den sechs Forderungen sticht besonders ins Auge: Alle Schlafräume für Frauen sollen zukünftig abschließbar sein. Warum wird eine solche Selbstverständlichkeit bislang ignoriert?
Häufig wird das mit einem pragmatischen Zwang begründet. Das einzige Argument lautet, dass die Räume aus Brandschutzgründen jederzeit für das Personal zugänglich sein müssen. Es besteht offensichtlich die Sorge, dass man im Brandfall die Evakuierung nicht gewährleisten kann. Es gibt allerdings durchaus technische Möglichkeiten, Brandschutz und Privatsphäre zu vereinen. Es gibt beispielsweise taugliche Chipkartensysteme, die in Hotels gebräuchlich sind. Man könnte damit Karten für das Personal und für die Bewohnerinnen ausgeben. Es gibt auch Schlösser mit Zahlencodes. Es gibt also Möglichkeiten.