Illegale Abholzung im bolivianischen Amazonas-Gebiet

Schulden aus Holz

Nach exzessivem Holzraubbau im Landkreis Alto Beni im bolivianischen Amazonas-Gebiet ist nicht mehr viel übrig vom einstigen Bestand der Edelhölzer auf dem Territorium der indigenen Bevölkerungsgruppe der Mosetén. Sie selbst wurden durch ein System ausbeuterischer Arbeit in den Raubbau einbezogen, dessen Resultat auch für sie drastische Konsequenzen hat.

Palos Blancos ist die sich rasch entwickelnde Provinzhauptstadt des gleichnamigen Landkreises in der Region Alto Beni im Norden des bolivianischen Bundesstaats La Paz. Vor rund fünf Jahren gab es hier noch keine asphaltierte Straße. Mittlerweile ist eine gebaut und wird gesäumt von ein- bis zweistöckigen Wohnhäusern, die an die Stadtarchitektur von La Paz und El Alto erinnern. Die Fahrt von Palos Blancos nach Muchani, einem der abgelegensten Dörfer der indigenen Bevölkerungsgruppe der Mosetén, dauert rund sechs Stunden. Nach einer halben Stunde hört die asphaltierte Straße auf. Ab hier geht es teilweise nur mit Schrittgeschwindigkeit voran, da der schmale und erdige Weg tiefe Furchen und Schlaglöcher aufweist. Man durchquert etliche kleine Flussbette und passiert dichten Urwald. Es wirkt, als wachse hier noch unberührter Regenwald, aber dieser Eindruck täuscht. Von Weitem ist bereits das laute Knarren von Motor­sägen zu hören. Der lokale Bestand an Edelhölzern ist auf ein Minimum geschrumpft. Kurz vor Inicua und Posponendo, zwei weiteren Mosetén-Gemeinden auf dem Weg in Richtung Muchani, werden bereits fertiggesägte Holzbalken für den Transport auf Lastwägen verladen.
»Diese Art von Abbau hat nichts damit zu tun, dass Mosetén-Gemeinden Holz als Baumaterial, für Jagdutensilien oder für Möbel lokal verwenden«, sagt Jasmani Chinica, ein Mitarbeiter des Sprach- und Kulturinstituts Mosetén mit Sitz in Palos Blancos und Mitglied der Mosetén-Gemeinde San José. Das Holz sei allein für den Export bestimmt. »Rund zehn Prozent der lokalen Bevölkerung arbeiten momentan immer noch im Holzabbau, wegen ihrer Abgeschiedenheit insbesondere Mitglieder der drei nördlichen Gemeinden Inicua, Posponendo und Muchani«, erzählt Chinica. Dabei bevorzugen die meisten Holzarbeiter wegen der guten Qualität und Zuverlässigkeit Motorsägen der deutschen Marke Stihl, die über Brasilien in unterschiedlichen Größen und Preisklassen importiert werden. In Inicua steht ein Lastwagen mit hellem Bauholz. »Ich hatte vorher eine Motorsäge aus China, aber die taugte nichts«, berichtet der Besitzer, der nach eigenen Angaben nur noch Holz für den Gebrauch der Gemeinde abbaut. Mit dem geladenen Bauholz solle beispielsweise ein neues Schuldgebäude entstehen.
Knechten und handeln
Vor gut 20 Jahren begann in der Region Alto Beni, quasi am Tor zum bolivia­nischen Amazonas-Gebiet, die illegale Abholzung. »Damals waren fast 90 Prozent der lokalen Bevölkerung am illegalen Holzabbau beteiligt«, sagt Norma Usagaste, eine Beraterin der Organisation der indigenen Völker Mosetén (OPIM). Dies habe vor allem am Boom des Handels mit Mahagonihölzern der Sorten Mara (amerikanisches Mahagoni) und Cedro (Zedrele) in den neunziger Jahren sowie Quina Quina (Gelber Chinarindenbaum) im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends gelegen.
Das Holz wird bis heute größtenteils in einem System abgebaut, bei dem sich die Holzarbeiter bei den Holzunternehmern verschulden. In der Gegend ist es unter dem Begriff habilito bekannt, vom spanischen Verb habilitar, das sich mit »bereitstellen« übersetzen lässt. Es funktioniert wie folgt: Der meist vom bolivianischen Altiplano (Hochland) stammende Holzunternehmer, der Kapital und Produktionsmittel besitzt, macht sich die Mosetén als Holzarbeiter, die Zugang zur natürlichen Ressource haben, gewissermaßen gefügig, indem er ihnen einen Anteil des Lohns, Motorsägen, Benzin, Lebensmittelpakete und andere Konsumgüter als Vorschuss gewährt. So wird der Holzarbeiter abhängig vom Unternehmer, der für seine Investitionen verlangt, in Holz ausbezahlt zu werden. Doch versucht der Holzunternehmer stets, den Preis der Arbeit und der Ware zu drücken, er rechnet weniger für das gelieferte Holz ab, erhebt Zinsen auf seine als Kredite firmierenden Investitionen und dergleichen. Währenddessen bietet er ständig neue finanzielle Anreize, um die Holzarbeiter in diesem System zu binden. Der Holzarbeiter, der aus Bedürftigkeit und Not einwilligt, ist kaum in der Lage, seine Schulden jemals zurückzuzahlen.
»Für mich ist der habilito ein Synonym für Zerstörung, denn wir müssen immer mehr Bäume fällen«, sagt ein Holzarbeiter aus Muchani, der sich um den Waldbestand und künftige Generationen sorgt. Die einzige Grenze dieses Schuldensystems sei die ökologische Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen, sagt Cirilio Maza, der Bildungssekretär der OPIM. Dies habe in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass sich der Holzraubbau weiter in Richtung Norden verschiebt, immer weiter ins Zentrum des bolivianischen Amazonas-Gebiets, so Maza.
Trotz der Demarkation des indigenen Territoriums der Mosetén im Jahr 2001 und der Implementierung verschiedener Gesetze zum nachhaltigen Waldmanagement – so müssen die lokalen Gemeinden beispielsweise gewisse Nutzungs- und Aufforstungspläne vorweisen und die Händler Lizenzen für den Holzabbau und Weitertransport von der Kommune erwerben – habe sich an der Macht der Vermittler grundsätzlich nichts geändert, so Clemente Caimani, ein Mitarbeiter des Sprach- und Kulturinstituts Mosetén. Die Holzunternehmer würden ihre Geschäftspraxis mit den steigenden Kosten rechtfertigen, die sie selbst zu zahlen hätten.
Ungesunde Früchte
Auf den engen Serpentinen, die vom Amazonas-Becken bergauf in Richtung La Paz führen, rollen dicht an dicht Holztransporter. Auch verschiedene Tropenfrüchte finden ihren Weg nach La Paz. Obwohl einige Mosetén-Gemeinden noch vom Fischfang und Jagd leben, ist die wirtschaftliche Hauptaktivität der Mosetén mittlerweile die Landwirtschaft. Die gesamte Straße in Richtung Muchani säumen riesige Bananen- und Papayaplantagen. »Seitdem die Natur die ökologischen Grenzen des Holzraubbaus aufgezeigt hat, ist die Produktion und der Export von Früchten eine wichtige Alterna­tive geworden«, erklärt Chinica. Für die Plantagen werden riesige Flächen Regenwald gerodet und abgebrannt. Am Rande dieser Agrarflächen erobert der Sekundärwald den gerodeten Raum. Der Primärregenwald, der ehemals noch Bestände an Edelhölzern aufwies, findet sich nur noch am Rand des Territoriums der Mosetén. »Obwohl nun viel weniger Menschen am Holzabbau beteiligt sind, ist dies wohl die Kehrseite der wirtschaftlichen Alternative«, sagt Chinica.
Auch bei der Früchteproduktion ergeben sich Probleme. Die Händler erwerben die Ware billig von den Produzenten und verkaufen diese dann an die Konsumenten für das Zehnfache. Chinica setzt sich dafür ein, dass sich dies ändert. »Wir müssen es schaffen, Produzenten direkt mit Konsumenten in Verbindung zu bringen, damit die Macht der Händler, die Preise zu bestimmen, auf ein Minimum reduziert wird«, sagt Chinica. Dies hänge jedoch von neuen finanziellen Mitteln und Projekten zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie von der Bereitschaft zur gemeinschaftlichen Organisation der Mosetén ab.
Ausbeutung auf dem Parkett
20 Jahre Raubbau an der Natur und Ausbeutung der lokalen Bevölkerung haben ihren Preis. Der Regenwald wurde abgeholzt, die Mosetén wurden mit Lebensmitteln und geringen Löhnen abgespeist, an ihrer schlechten ökonomischen und sozialen Lage hat sich nichts gebessert. Olber Canave, der Präsident von OPIM, sagt, das indigene Territorium der Mosetén verfüge derzeit nicht mehr über einen nachhaltigen Bestand an Edelhölzern.
Der Holzraubbau im bolivianischen Amazonas setzte mit der Kolonialisierung des Ostens des Landes in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ein. Die einstigen Großgrundbesitzer vom Altiplano nutzten ihre ­Stellung, um ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt in jene Regionen zu verlagern, die noch als »unerschlossen« galten. Dies führte zu Infrastrukturentwicklungen, neue Straßen verbanden die Amazonasgebiete mit den wachsenden urbanen Zentren. Diese verlangten nach natürlichen Ressourcen aus weiter entfernten Regionen. Es entstand eine Art Sogwirkung, im Falle der Mosetén wurde die lokale Bevölkerung samt Territorium an den urbanen Markt von La Paz angeschlossen.
Die meisten Edelhölzer waren jedoch nicht für den boliviansichen Markt, sondern direkt für den Export nach Nordamerika oder Europa bestimmt, so Usagaste. Seit einigen Jahren wird auch viel nach China exportiert. Letztlich sind nicht allein die Händler vom bolivianischen Altiplano für den Raubbau verantwortlich, er ist mit den Lebensstilen in Konsumgesellschaften verknüpft. Parkett oder Möbelstücke aus Mahagonihölzern stammen häufig aus illegal gerodeten Regenwäldern. Wel­che wirtschaftlichen Prozesse dahinterstecken und welche ökologischen und sozialen Folgen damit verbunden sind, wird kaum gefragt.