Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Meredith Tax über die Folgen des Attentats von Orlando in den USA

»Orlando wird den Wahlkampf beeinflussen«

Die Autorin und Aktivistin Meredith Tax war Mitglied der US-amerikanischen feministischen Gruppe Bread and Roses und Mitbegründerin sowie Vorsitzende des PEN American Center Women’s Committee. Seit den neunziger Jahren beschäftigt sie sich mit dem Verhältnis westlicher Linken zum Islam. Zwischen 1994 und 2005 war sie Vorsitzende der feministischen Organisation Women’s World. Heute schreibt sie unter anderem für »Open Democracy« und »The Nation«. Im August erscheint ihr neues Buch »A Road Unforeseen: Women Fight the Islamic State«.

Sie haben das Verhältnis der westlichen Linken zum reaktionären Islam kritisiert. Seit wann und aus welchen Gründen haben Sie sich mit diesen Thema beschäftigt?
Ich habe über diese Themen bis in die neunziger Jahre nichts gewusst. Dann haben einige von uns aus dem Internationalen PEN-Schriftstellerinnenkomitee die feministische Organisation »Women’s World« gegründet und ich kam dadurch in Kontakt mit Frauen, die von Islamisten aus unterschiedlichen Gründen verfolgt wurden. Ich arbeitete an Fällen von Frauen, die Todesdrohungen aus islamistischen Kreisen bekommen hatten. Dadurch wurde ich auf das Problem aufmerksam. Die zunehmende Zahl von Frauen, die zur Zielscheibe von Islamisten wurden, war auffällig, es waren alle Muslimas. Ich habe das daher nie als eine Frage von »westlichem Kolonialismus gegen den Islam« gesehen. Ich habe das eher als Widerspruch in den muslimischen Gesellschaften und Gemeinden verstanden und es als die Pflicht von westlichen Linken und Feministinnen betrachtet, sich mit Menschen zu solidarisieren, die sich für Säkularismus und Gleichberechtigung einsetzen.
Wie waren Ihre Erfahrungen mit Linken zu diesem Thema?
Ich habe viel Kritik aus der Linken erfahren, aber auch Unterstützung. Es ist nicht so, als wären alle auf einer Seite. Aber es gibt, vor allem in der akademischen Linken, eine starke postkoloniale Tendenz, die jede Diskussion als jenseits des Diskutierbaren definieren will. Meine Kritik am Islamismus wird als »imperialer Feminismus« bezeichnet. Ich denke, das ist völliger Unsinn.
Haben Sie nach dem Massaker von Orlando sofort an eine terroristische Aktion gedacht?
Es sieht aus, als habe sich der Täter vor ein paar Monaten erstmals mit dem »Islamischen Staat« (IS) beschäftigt. Davor hatte er gesagt, er unterstütze sowohl al-Qaida als auch Hizbollah, die mit dem Iran verbündet ist im syrischen Bürgerkrieg gegen den IS kämpft. Soweit mir bekannt ist, gibt es keine Anzeichen, dass er organisatorische Verbindungen mit irgendeiner islamistischen Gruppierung hatte. Er war gewalttätig und außer Kontrolle, das sind typische Zeichen von Hypermaskulinität. Seine Biographie zeigt eine Neigung zu häuslicher Gewalt. Der Täter ist problemlos an eine Waffe gekommen, obwohl das FBI ihn beobachtet hatte. Insofern handelt es sich schon um eine Form von Terror. Dass er möglicherweise selbst schwul war und sich damit in einem inneren Konflikt befunden haben muss, ist eher eine kulturelle Prägung, wie man sie auch unter konservativen Christen oder Juden kennt. Ich würde die Tat von Omar Mateen nicht unbedingt als Akt von islamistischem Terrorismus bezeichnen. Ich würde ihn eher in einer Reihe von Tätern sehen, der aus allen möglichen Formen von männlicher Wut gehandelt hat. Er hat sich zwar zum Jihad bekannt, hat aber keine organisatorische Verbindung zu ihm.
Die Diskussion, ob es sich um einen radikalislamischen oder homophoben Akt gehandelt habe, dominiert derzeit die öffentliche Debatte. Wie wird in den USA über die Motive des Täters diskutiert?
Warum sollte es nicht beides sein? Es könnte auch ein Akt von Verzweiflung und Zerrissenheit sein. Man kann seine Gedanken nicht lesen und äußern kann er sich auch nicht mehr. Viele Leute, die sich Gruppierungen wie dem IS anschließen und etwa nach Syrien gehen, sind genauso wie Mateen. Sie sind nicht sonderlich religiös, bis sie plötzlich zu »Kriegern des IS« werden. Radikaler Islam ist die politische Ideologie, mit der man heute in die Schlagzeilen kommt. Wer einfach in die örtliche Shopping-Mall geht und alles kurz und klein ballert, schafft es vielleicht in die Lokalzeitung. Wer es ins Fernsehen schaffen möchte, sollte beim Schießen schon »Allahu akbar« rufen.
Welche Auswirkungen hat das Massaker auf den US-Präsidentschaftswahlkampf?
Es wird einen großen Einfluss haben. Alle drei Kandidaten haben dazu Stellung bezogen. Vorige Woche gab es im Kongress ein filibuster (»Dauerrede«, Anm. d. Red.) eines Mitgliedes der Demokratischen Partei. Es ist lange her, dass ein Mitglied der Demokraten so etwas gemacht hat, um die Republikaner in Richtung einer begrenzten Form von Waffenkontrollgesetz zu drängen. (Am Montag hat der US-Senat mehrere Reformvorschläge zum Waffengesetz abgelehnt, Anm. d. Red.) Trump nutzt den Anschlag vor allem, um Muslime anzugreifen. Die Linken – bis auf einem ganz kleinen Teil, der lieber sterben würde, als Clinton zu wählen – denken, dass sie sich Trump entgegenstellen müssen. Auch wenn man ihn nicht als Faschisten bezeichnen kann, so gibt er doch faschistischen Stimmungen im Land eine Stimme.
Gibt es die Sorge, dass die Ereignisse in Orlando den Rechten in die Hände spielen?
Die meisten in der nicht verrückten Linken sind momentan sehr besorgt wegen der Rechten – wegen der Parolen gegen Immigration, gegen Muslime, gegen Linke, die von der Republikanischen Partei und vor allem aus dem Mund von Trump kommen. Das findet sein Echo in Teilen der Bevölkerung. Der Attentäter von Orlando war ein Muslim. Aber es hätte in diesem Fall auch ein evangelikaler Christ sein können, der in dieselbe Bar aus denselben Gründen gestürmt wäre – unterdrücktes sexuelles Begehren und Hass auf Frauen. Das kennen wir bei allen Fundamentalisten, nicht nur bei islamischen.
Verhindert dieses Argument nicht, islamistische Attentäter als das, was sie sind, zu bezeichnen?
Viele denken, sie könnten in diesem Fall keine Kritik formulieren, ohne sich auf die Seite der amerikanischen Rechten zu stellen. Sie verkennen, dass es auch eine muslimische Rechte gibt, und tun so, als seien alle Musleme gleich. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass alle Muslime Islamisten sind, schwächt man säkulare Kräfte in den muslimischen Gemeinschaften. Zumindest in den USA sind die meisten Muslime nämlich nicht Teil dieser muslimischen Rechten.
In Präsident Obamas Reaktion auf das Massaker von Orlando gibt es eine Passage, in der er zwischen »richtigem« und »falschem Gebrauch« von Religion unterscheidet. Ist das nicht ein etwas naives Bild von der Gutartigkeit von Religion?
Die USA sind im Vergleich zu den meisten Teilen Europas ein sehr religiöses Land. Vielleicht nicht so sehr hier in New York City, aber im Rest des Landes schon. Leute gehen in die Kirche. Oder in die Moschee, die Synagoge oder den Tempel, aber meistens gehen sie in die Kirche. Es gibt eine Geschichte progressiver religiöser Bewegungen, und sie ist in vieler Hinsicht stärker als die links-säkulare Tradition. Schon vor dem Bürgerkrieg gab es in den USA die Quäker, linksgerichtete Protestanten, die sich gegen die Sklaverei engagierten. In der Bürgerrechtsbewegung unter der Führung von Martin Luther King spielten die schwarzen Kirchengemeinden, die sich für die Rechte der Schwarzen einsetzten, eine große Rolle. Obamas Verständnis von Religion muss in diesem Kontext gesehen werden. Obama hat aber auch eine Tendenz, über »die islamische Welt« zu sprechen und sie als Opfer von Verfolgung zu präsentieren. Das ist keine Sprache, die ich benutzen würde. Ich spreche über Länder mit muslimischen Mehrheiten, über Differenzen in und zwischen diesen Ländern, anstatt sie zu homogenisieren.
Kann die US-amerikanische Linke Trump aufhalten?
Die amerikanische Rechte ist voller Widersprüche. Sie ist sowohl antimuslimisch als auch gegen Homosexuelle eingestellt. Es ist schwer für sie, sich zum Massaker von Orlando zu positionieren. Die radikalere Fraktion dieser Rechten wäre einer solchen Tat, wenn sie von einem radikalen Christen verübt worden wäre, vielleicht sogar mit einem gewissen Verständnis begegnet. Trump behauptet, Homosexuelle würden ihn lieben, aber ob er in der Gay Community Erfolg haben wird, wird sich zeigen. Die Aufgabe der Linken ist es, dafür zu sorgen, dass das Massaker von Orlando Trump nicht in die Hände spielt.