Der Film »The Neon Demon«

Topmodels unter Blutduschen

Nicolas Winding Refn schafft mit seinem neuen Film »The Neon Demon« die Totalität des Designerkinos.

Eine Frau, die keine Vergangenheit und vielleicht auch nicht allzu viele Eigenschaften hat, von der zumindest viele denken, dass sie gar nichts ist außer ihrem Körper, zieht aus dem Nirgendwo der amerikanischen Provinz in die glitzernde Großstadt und schickt sich an, die Welt der Schönen, Reichen und Vulgären aufzumischen, koste es, was es wolle. – So beginnt einer der meistunterschätzten Filme der Neunziger: Paul Verhoevens »Showgirls«, damals in der Luft zerrissen, heute längst auf dem Weg zum modernen Klassiker, setzte eine großäugige Elizabeth Berkley in der ersten Szene in Las Vegas ab und beobachtete anschließend mit analytischer Faszination, wie sie sich eine ganze Stadt untertan macht. Und so lässt nun auch Nicolas Winding Refn seinen neuen Film »The Neon Demon« beginnen: Mit der Ankunft des hoffnungsvollen Models Jesse (Elle Fanning), die in Los Angeles ihr Glück sucht.
An dieser Stelle kann man gleich eine wichtige Unterscheidung festhalten: Beide Frauen begreifen, dass in der Stadt, in der niemand auf sie als Subjekte gewartet hat, in erster Linie ihr Körper ein Kapital ist, das sich strategisch einsetzen lässt. Bei Verhoeven ging es freilich um den Körper in einem durchaus umfassenden Sinne – als etwas, das eine Frau zwar schon in dem einen oder anderen Sinn verkaufen kann, das sie aber auch trainiert und abrichtet, mit dem sie außerdem Schmerz und Lust erlebt. Bei Refn dagegen geht es ausschließlich um den Körper als Oberfläche, als etwas, das angeschaut (und auf fotogene Weise kaputt gemacht) werden kann. Und das auch gleich in der ersten Szene angeschaut wird, von einem Mann, der Jesse durch das Objektiv einer Kamera ins Bild setzt.
Dieses klar gegenderte mediale Dispositiv wird vom Film zwar im ­weiteren Verlauf noch mehrmals aufgegriffen – im Ganzen führt es trotzdem in die Irre. Als wahlweise reaktionärer oder subversiver Film über männlichen Voyeurismus, der Frauen mit durchdringenden Blicken auf den Leib rückt, ist »The Neon ­Demon« nicht allzu ergiebig. Das liegt unter anderem an einer aus den früheren Filmen des Regisseurs ­bekannten, bei diesem Sujet aber doch erstaunlichen Prüderie. Insbesondere den vermeintlich erotischen Szenen treibt Refn seinen kalten, glatten Bildern noch den letzten Rest Sinnlichkeit aus. Vor allem aber gibt es ein ziemliches Missverhältnis in der Darstellung: Tatsächlich gibt es keine einzige auch nur einigermaßen ausgearbeitete männliche Figur in »The Neon Demon«. Der all-American boyfriend, der zu Beginn noch gelegentlich vorbeischaut, hat bald ausgedient, und die paar anderen Männer, denen Jesse auf ihren Streifzügen durch die Modeszene von L.A. begegnet, sind zwar ausnehmend finstere Typen, aber gleichzeitig komplett austauschbare Schieß­budenfiguren, die allesamt aus dem Nichts auftauchen und nach ein, zwei Szenen wieder spurlos verschwinden.
Mit Frauen dagegen muss sich Jesse weitaus häufiger und sehr viel gründlicher herumschlagen. Die Agenturchefin Jan (Christina Hendricks, bekannt aus »Mad Men«) nimmt sie unter ihre Fittiche, die ­Stylistin Ruby (Jena Malone) bietet ihr sogar Unterschlupf, nachdem eine Raubkatze in dem schäbigen Motel auftaucht, in dem sie sich einquartiert hatte (und das für ein paar Szenen einen Hauch von Sozialrealismus in den ansonsten in einem komplett imaginären Los Angeles spielenden Film einbrechen lässt). Beide, und auch alle anderen Frauen, ­denen sie auf ihrer Odyssee begegnet, sind zwar ebenfalls alles andere als runde, psychologisch ausgearbeitete Charaktere. Aber während die männlichen Figuren Sklaven ihrer Blicke und (weitgehend blockierten) Triebe bleiben, melden die weiblichen immerhin etwas weitergehende Interessen an: Sie erkennen in dem blondgelockten Neuankömmling ­ihresgleichen und sehen in Jesse eine potentielle Konkurrentin – und zwar eine, die mit ihrer betonten Natürlichkeit und behaupteten Jungfräulichkeit ihren ganz besonderen Neid erregt.
Zunächst bleibt es bei verbalen Seitenhieben. Selbstverständlich ist das bald nicht mehr genug; im ­sozialdarwinistischen Haifischbecken der Eitelkeiten, als welches der Film die Fashion-Szene mit angemessen grobem Pinsel zeichnet, wird bald zu härteren Mitteln gegriffen. So richtig Fahrt nimmt das alles freilich erst in den letzten zehn Minuten auf, in denen der Film den vorher stets nur behaupteten Wahnwitz einzulösen scheint. Vorher eskaliert alles eher gemächlich, fast mechanisch; und die wenigen echten Schock­momente, wie etwa eine Nekrophilie-Nummer, stehen ganz besonders ungelenk im Film herum. Tatsächlich wirkt das, als interessiere sich Refn für die Showbiz-Satire, als die sich sein Film alsbald zu entpuppen scheint, kaum mehr als für die Geschlechterdifferenz.
Die Frage, wofür sich Refn statt dessen interessiert, ist nicht leicht zu beantworten. »The Neon Demon« ist ein auf durchaus faszinierende Art leerer Film; und damit der konsequente (vorläufige) Schlusspunkt ­einer ambivalenten Filmographie. Begonnen hatte Refn 1996 mit »Pusher«: ein harter, dreckiger, zynischer, teils auch noch halsbrecherisch schneller, stark von Quentin Tarantino beeinflusster Genrefilm auf den Straßen von Kopenhagen. Seither hat sich sein Kino in so ziemlich jeder Hinsicht verändert. Geblieben ist nur der unbedingte Wille zur Stilisierung. ­Während es im Frühwerk darum ging, eine skandinavische Radfahrerstadt mithilfe von amerikanischem Gos0senglamour zu brutalisieren, haben sich die visuellen Attraktionen, seitdem der Regisseur selbst zumindest in Sichtweite von Hollywood operiert, verselbständigt. Und treiben immer bizarrere Blüten.
Vor allem hat Refn die Langsamkeit entdeckt. Der Wendepunkt in dieser Hinsicht ist »Walhalla Rising« (2009), vermutlich bis heute sein stärkster Film. Was als knochenbrechender Wikinger-Prügelfilm beginnt, verwandelt sich Schritt für Schritt in einen abstrakt-psychedelischen Ambient-Trip, der stellenweise, im ewigen Nebel der Frühgeschichte, komplett zum Stillstand kommt. Der weithin gefeierte (insgesamt freilich weitaus weniger eigensinnige) Nachfolger »Drive« (2011) beginnt gleich mit einer radikal ausgebremsten Auto­verfolgungsjagd. Und der in Thailand produzierte Psychothriller »Only God Forgives« (2013) verwandelt eine simple Rachegeschichte in einen hypnotischen, wie sediert anmutenden Höllentrip durch düster leuchtende Seelenlandschaften.
Bereits in »Only God Forgives« ist die zugrunde liegende Genre-Erzählung nur noch ein Reflex, der den Bildern selbst äußerlich bleibt. »The Neon Demon« frischt die Farbpalette auf und geht noch einmal einen entscheidenden Schritt weiter in Richtung reines Designerkino. Zu sich selbst kommt der Film nicht bei Blutduschen und Leichensex, sondern in Fotoshooting- und Fashion-Show-Szenen, die Raum, Zeit und nicht nur männlich-voyeuristische, sondern letzlich alle menschlichen Blickpositionen auslöschen. Es gibt nichts als weibliche, halbnackte Körper, die in leuchtenden Farbflächen und Cliff-Martinez-Soundscapes baden, manchmal von pul­sierenden Stroboskopblitzen illuminiert werden und sich immer mal wieder mit einer sonderbaren dreieckigen Neon-Skulptur treffen, die wohl weniger ein vulgärfreudia­nisches Symbol oder gar ein zu entschlüsselndes Mysterium darstellt als ein Markenzeichen, in das der ­Regisseur im Abspann nicht zufällig seine Initialen »NWR« hineinkopiert. In diesem Sinne ist »The Neon ­Demon«, allem amerikanischen Oberflächen-Glamour zum Trotz, auch ein logischer Endpunkt des europäischen Autorenkinos: als ultimative Verkörperung eines Regisseur-Egos, das die Welt beim Versuch, sie sich untertan zu machen, Schritt für Schritt auslöscht.

The Neon Demon (USA 2016). Regie: Nicolas Winding Refn. Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote. Filmstart: 23. Juni