Damon Albarn von der Band Blur geht auf Tour mit syrischen Musikern

Syrischer Frühling

Charity-Aktionen von Popstars sind oft peinlich und selbstverliebt. Ist Celebrity-Altruismus grundsätzliche eitle Imagepflege? Eine Konzertreise syrischer Musiker mit Blur-Sänger Damon Albarn beweist das Gegenteil.

Wenn Popstars ihre Liebe für humanitären Aktivismus entdecken, geht das oft schief. Gern wird das Engagement gegen ­Armut und Krieg zur Verbesserung des eigenen Images missbraucht. Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht bei künstlerisch ambitionierten Hobby-Entwicklungshelfern. Bestes Beispiel: Bob Geldof scherte sich bei den »Live 8«-Konzerten 2005 wenig um Diversität und versammelte fast ausschließlich westliche Künstler auf der Bühne. Zu wenige afrikanische Künstler, meckerte einer, der sich anschickt, es besser zu machen: ­Damon Albarn.
Dessen erstaunliche Metamorphose vom ironischen Britpop-Bohemian zum Weltmusik-Netzwerker, umtriebigen Supergroup-Gründer und rastlosen Musiknomaden ­begann mit einem musikalischen Erweckungs­erlebnis Anfang dieses Jahrtausends in Westafrika. »Mali hat die Art, wie ich Musik mache, verändert. Es hat mir Antrieb gegeben, weil es frei von der Klischeehaftigkeit und der Coolness der Popszene war«, erzählte er dem Guardian später.
Seitdem engagiert er sich für das Musikerkollektiv Africa Express und tourte etwa 2012 mit einer Gruppe ­afrikanischer Musiker von Middlesbrough über Glasgow, Manchester, Cardiff und Bristol nach London – in der Bahn wohlgemerkt. Außerdem entdeckt er seine Liebe zu Syrien, als er das syrische Nationalorchester für den Gorillaz-Song »White Flag« engagierte, eine Ode auf die Hoffnung und den Frieden im Nahen Osten. 2010 spielte die virtuelle Cartoon-Band in der Zitadelle von ­Damaskus, einer der wenigen Auftritte einer westlichen Popgruppe in ­einem arabischen Land. Sechs Jahre später ist Syrien ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Land. Viele der Musiker des Orchesters leben mittlerweile über die ganze Welt verstreut. Albarn hat etwa 50 von ihnen zu Gigs in Amsterdam, Glastonbury, Roskilde, Istanbul und nun London zusammengebracht. Erstaunlich genug, dass er nun mit ihnen auf der Bühne des Southbank Center, eines Kulturzentrums am Ufer der Themse, steht. »Es war schwierig, alle Musiker in die Türkei zu bekommen«, seufzt Albarn gleich zu Beginn. »Viele hier haben sich seit vier Jahren nicht mehr gesehen.« Das Vorhaben drohte zeitweilig zu scheitern, weil Visa für die Einreise der Musiker nach Holland, in die Türkei und nach Großbritannien nicht so einfach gewährt wurden. Issam Rafea, der ursprüngliche Leiter des Orchesters, fehlt ganz. Er kann die USA, wo er mittlerweile lebt, nicht verlassen, weil sein Aufenthaltsstatus eine Ausreise verbietet.
Albarn ist ein Star, aber sein Platz ist an diesem Abend nicht im Scheinwerferlicht, sondern am Bühnenrand in der Dunkelheit. Wie ein Fan bejubelt er die Einlagen der Musiker, die nicht nur aus Syrien, sondern auch aus Mali, dem Senegal und Mauretanien stammen. Natürlich haben viele Zuschauer an diesem Abend ihr Ticket wegen Albarn gekauft. Aber der hält sich britisch-distinguiert zurück und spielt unprätentiös die ­Rolle des Förderers für die zahlreichen Gastmusiker.
Eine von ihnen ist Faia Younan, eine Sängerin, die in Aleppo aufgewachsen ist und mittlerweile in Schweden lebt. Mit ihrer Schwester gelang ihr vor zwei Jahren mit dem Song »To Our Countries« ein millionenfach geklickter Youtube-Hit, in dem sie über den »verrückten Krieg in Syrien« klagten. Younans Versprechen an diesem Abend: »Heute sehen wir das wahre Gesicht Syriens: Kunst, Musik und Kultur.« Dass ihre Musik kaum einer der Zuhörer kennt, ist ihr klar, als sie ihren Song ankündigt: »Viele von euch werden das Lied nicht kennen, aber wenn ihr wollt, singt gern mit.« Auf einer Leinwand hinter ihr erscheint ein Bild eines riesigen Trümmerhaufen aus Beton, der übers Meer treibt. Der Applaus ist ihr sicher. Ebenso emphatisch wird ein Solo des Musikers Bassekou Kouyaté aus Mali auf einer traditionellen Laute bejubelt – deutlich mehr Gejohle und Geklatsche als bei Paul Wellers Akustikversion von »Wild Wood« oder seinem Duett mit Albarn, als beide Paul McCartneys »Blackbird« intonieren. Frenetisch gefeiert wird auch der letzte Song des französisch-algerischen Sängers Rachid Taha, der einen tradi­tionellen Chaabi-Song (»chaabi« bedeutet auf Arabisch »volkstümlich«) aus den fünfziger Jahren interpretiert.
Eben dieser kulturell inklusive Ansatz sei es, der Albarns Engagement auszeichne, sagt Mark Wheeler, Kulturwissenschaftler an der Metro­politan University London. Albarn habe bezeichnenderweise bereits vor dem Ausbruch des Kriegs Aufnahmen mit syrischen Musikern gemacht und nutze Popmusik als Zeichen des Widerstands und der Hoffnung, quasi als eine kollektive Antwort auf die Schrecken des Bürgerkriegs: »Er erinnert die westliche Öffentlichkeit an Syriens kulturelles Erbe und an die fatalen Effekte, die dieser Krieg für die Bevölkerung hat.« Indem er lokale Musiker einbeziehe, lege er eine größere kulturelle Sensibilität an den Tag als Geldof. Ähnlich hätte das bereits George Harrison vor Jahrzehnten mit seinem »Song for Bang­ladesh« getan.
Man kann es auch kritischer sehen, wenn man den Ausführungen von Ilan Kappor, Professor für Environmental Studies an der York-Univer­sität im kanadischen Toronto, folgt. Er hat ein Buch über Humanitarismus von Prominenten geschrieben mit dem Titel »Die Ideologie der globalen Wohltätigkeit« und hält es für problematisch, dass sich auch Albarns Projekt weiterhin auf eine heroische Figur zentriert – in diesem Fall ein »Prominenter der Unterhaltungsindustrie« – mit der Intention, die Dritte Welt zu »retten«. Albarns Ansatz entkomme trotz bester Absichten eben nicht jenem Diskurs des Wohl­tätigen, den er kritisiert: »Charity-Arbeit von Prominenten setzt Ungerechtigkeit und Ungleichheit ein humanitäres Gesicht auf und verdeckt damit gleichzeitig die schmutzige Seite des globalen Kapitalismus.« Das trage dazu dabei, dass das institutionalisierte System der Ungleichheit nicht außer Kontrolle gerate.
Bei aller berechtigten Skepsis bezüglich der politischen Wirkungsmacht eines solchen Konzerts ist doch eine Geste der Weltumarmung an diesem Abend spürbar: Die Annäherung zwischen westlicher Popmusik und traditioneller arabischer Musik ist geglückt. Es ist ein kleiner Moment der Hoffnung in einer Zeit der Zerstörung, ein kurzes Innehalten und ein kathartischer Moment, der über die beteiligten Musiker auch auf deren Familie und Freunde wirken. Manche Zuhörer sind so ge­rührt, dass sie die Tränen nicht zurückhalten können. Feryel Fraoucene muss sich während des Konzertes mehrfach die Augen mit einem Taschentuch trocknen. Die 40jährige mit algerischem und französischem Hintergrund lebt seit 15 Jahren in London und ist oft nach Syrien gereist, viele ihrer Freunde leben noch dort. Warum sie weinte? »Es macht mich traurig, dass die Menschen wegen des Kriegs vergessen, was für ein schönes Land Syrien ist und wie viele magische Musiker und Künstler dort herkommen. Viele denken nur noch an das Blutvergießen.«