Ein Bericht untersucht, in welchen Ländern Arbeitnehmerrechte verletzt werden

Gefährliche Arbeitswelt

Ein Mitte Juni veröffentlichter Bericht des Internationalen Gewerk­schaftsbunds untersucht und vergleicht Verletzungen von Arbeitnehmer­rechten weltweit. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Lage vielerorts verschlechtert. In den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens ist es für Lohnabhängige am gefährlichsten, ihre Rechte einzufordern.

Seit mehr als 30 Jahren sammelt der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) Daten über Verletzungen von Arbeitnehmerrechten in der ganzen Welt. Sie betreffen Einschränkungen der Koalitionsfreiheit, des Streikrechts oder der Möglichkeit, Tarifverhandlungen zu führen. Zum dritten Mal in Folge legte der mit über 300 Einzel­organisationen und 180 Millionen Mitgliedern größte gewerkschaftliche Dachverband nun seinen Bericht zum »Global Rights Index« vor. Dieser bewertet 141 Länder anhand von 97 Indikatoren, um so festzustellen, wo und wie staatliche Gesetze und unternehmerische Praktiken die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den vergangenen zwölf Monaten verschlechtert oder verbessert ­haben. Die vom IGB vorgestellten Ergebnisse sind alarmierend. So nahm die Zahl der Länder, in den Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter Gewalt aus­gesetzt waren, innerhalb eines Jahres um mehr als 44 Prozent zu. Die Zahl der Länder, in denen Demonstrationen und freie Meinungsäußerung von Beschäftigten unterbunden wurden, stieg um mehr als 24 Prozent. In mehr als zwei Drittel der untersuchten Länder wird Lohnabhängigen das Recht auf Streik ganz oder teilweise verwehrt und in mehr als der Hälfte aller Länder haben die Beschäftigten nicht das Recht, Tarifverhandlungen zu führen.
Am gefährlichsten ist die Situation für Lohnabhängige dem IGB zufolge in Nordafrika und im Nahen Osten. So werden in den Golfstaaten Wanderarbeitern, die die große Mehrheit der Beschäftigten bilden, grundlegende Rechte wie die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen verwehrt. In Kombination mit der repressiven Ausländergesetzgebung führt dies zu systematischer Zwangsarbeit. In anderen Ländern der Region wird das Versammlungs- und Streikrecht durch autokratische Regime eingeschränkt und Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter werden mit Gefängnis und Folter bedroht, etwa in Ägypten. Des Weiteren sind in zahlreichen Ländern unabhängige Gewerkschaften verboten und müssen in der Illegalität arbeiten, beispielsweise in Algerien.
Wie bereits in den vergangenen Jahren erstellte der IGB auch dieses Jahr eine Rangliste der zehn gefährlichsten Länder für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Neben China, Guatemala, Kolumbien, Weißrussland, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die bereits in den Jahren zuvor in der Liste vertreten waren, zählt der IGB diesmal auch Kambodscha, Indien, den Iran und die Türkei zum »Club der zehn schlimmsten Länder«.
In Kambodscha sind Gewerkschaften bereits seit Jahren mit Gewalt und willkürlichen Verhaftungen konfrontiert. Mit der Verabschiedung eines neuen Gewerkschaftsgesetzes hat sich ihre Situation nun weiter verschlechtert. So wurde, um das Gesetzesvorhaben durchzusetzen, unter anderem die Armee gegen protestierende Arbeiter eingesetzt. Auch in Indien soll die Vereinigungsfreiheit durch ein neues Arbeitsmarktgesetz weiter eingeschränkt werden. Außerdem gingen Polizei und private Sicherheitsdienste im vergangenen Jahr dort mehrmals gewaltsam gegen protestierende Beschäftigte vor.
Dass der Iran ebenfalls zum »Club der zehn schlimmsten Länder« gehört, verwundert wenig. Unabhängige Gewerkschaften sind im Iran verboten und das islamistische Regime bekämpft die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung seit Jahrzehnten mit Inhaftierungen, Folter und Gewalt bis hin zu Mord. In der Privatwirtschaft genießen die meisten Beschäftigten ebenso wenig Rechte wie im großen staatlichen Sektor des Regimes und sind Kündigung und der Nichtauszahlung von Löhnen schutzlos ausgeliefert. Zwar kommt es immer wieder zu Streiks und Protestaktionen der in der Illega­lität arbeitenden Gewerkschaften, diese werden jedoch zumeist blutig niedergeschlagen und Protestierende bekommen lange Haftstrafen.
Auch in der Türkei wird seit Jahrzehnten mit Gewalt und willkürlichen Verhaftungen gegen die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung vorgegangen. Die Angriffe auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben im Vergleich zum Jahr zuvor jedoch erneut zugenommen. So kommt es bei Streik- und Protestversammlungen immer wieder zu blutigen Zusammenstößen mit Polizei- und Ordnungskräften, wie beispielsweise im Februar, als Beschäftigte des türkischen Renault-Werks Oyak in der Stadt Bursa für ihre Wiedereinstellung demonstrierten. Die türkische Regierung greife zudem die Rede- und Pressefreiheit an, heißt es im Bericht, »zehn ausländische Journalisten wurden seit letztem Oktober des Landes verwiesen, und türkische Journalisten sehen sich aus fadenscheinigen Gründen, wie der ›nationalen Sicherheit‹, ernsthaften Repressionen ausgesetzt, einschließlich Gerichtsverfahren und Inhaftierungen«.
»Alle vier Neuzugänge im ›Club der zehn schlimmsten Länder‹ sind eindeutige Beispiele für Angriffe sowohl auf die Arbeitnehmerrechte als auch auf andere Grundfreiheiten«, resümiert die IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. Doch auch in Europa hat sich die Situation für Lohnabhängige verschlechtert. »Wir erleben, wie demokratische Spielräume schwinden und wie Unsicherheit, Angst und Einschüchterungen erwerbstätiger Menschen zunehmen. Die Geschwindig­keit, mit der unsere Rechte unter Beschuss geraten, selbst in demokratischen Ländern wie Finnland und Großbritannien, zeigt eine alarmierende Entwicklung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien«, so Burrow.
So hat die britische Regierung im März einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das Streikrecht erheblich einschränkt. Er enthält detaillierte Ankündigungsfristen für Streikmaßnahmen, eine Verkürzung der Dauer, in der gestreikt werden kann, und ermöglicht es zudem, Leiharbeiter als Streikbrecher einzusetzen. In Belgien sind die Gewerkschaften derweil immer öfter mit verdeckten Ermittlern konfrontiert. Insbesondere bei Demonstrationen griff die belgische Polizei mehrmals auf Beamte zurück, die wie militante Gewerkschafter gekleidet waren, Protestierende zu Gewalttaten provozierten und anschließend verhafteten.
Angesichts der weltweiten Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte zieht Burrow ein ernüchterndes Fazit: »Die Unterdrückung der Arbeitnehmerrechte geht Hand in Hand mit einer verstärkten staatlichen Kontrolle über das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlung und andere bürgerliche Grundfreiheiten, wobei viele Regierungen versuchen, ihre eigene Macht zu konsolidieren, und häufig auf der Seite von Großkonzernen stehen, die grundlegende Rechte oft als unvereinbar mit ihrem Profitstreben um jeden Preis betrachten.«