Der Konflikt um die besetzen Räume der »Rigaer 94« in Berlin eskaliert

Jeder Vorwand ist recht

Im Streit um das besetzte Haus »Rigaer 94« zeigen Investoren und Innenpolitiker, welche Zukunft ihnen für den Norden des Berliner Stadtteils Friedrichshain vorschwebt.

Offiziell geschah alles nur zum Schutz der Bauarbeiter. Doch im Konflikt um das besetzte Haus »Rigaer 94« in Berlin-Friedrichshain haben der Eigentümer John Dewhurst und Innensenator Frank Henkel (CDU) schlicht eine neue Eskalationsstrategie gefunden. Am Mittwoch der vergangenen Woche begannen Bauarbeiter unter dem Schutz der Polizei und einer privaten Sicherheitsfirma damit, Teile des Hauses zu räumen, um dort angeblich Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Dabei wurden Türen herausgerissen, Telefon- und Internetkabel beschädigt sowie Fahrräder und andere Gegenstände beschlagnahmt. Besonders betroffen war das Erdgeschoss, in dem sich die Kneipe »Kadterschmiede« und eine offene Werkstatt befanden. Nach Angaben der vom Eigentümer eingesetzten Hausverwaltung sollen die entstehenden Wohnungen »an Flüchtlinge mit regulären Mietverträgen zu den Konditionen des Berliner Mietspiegels« vermietet werden.
Diese Motive sind zweifelhaft. Die Initiativen »Friedrichshain hilft« und »Moabit hilft« wiesen in einer gemeinsamen Presseerklärung darauf hin, dass »die ortsübliche Miete für eine Kostenübernahme der Träger (Lageso, Jobcenter) nicht im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben liegt«. Die Schlussfolgerung war eindeutig: »Die genannten Wohnungen können nicht als Unterkunft für Flüchtende genutzt werden.« Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Canan Bayram, die am Tag der Teilräumung anwesend war, wertete die Ankündigung als »reine PR-Maßnahme«.
Das ist nicht der erste Versuch in Berlin, Schutzsuchende für das Vorgehen gegen linke Projekte zu instrumentalisieren. Auch der »radikal queere Wagenplatz Kanal« in Neukölln ist von einer Räumung bedroht, auf dem Gelände sollen nach Plänen des Senats Containerunterkünfte für Flüchtlinge aufgestellt werden. In der Berliner Tagespresse scheint das Argument »Flüchtlinge statt Linksradikale« bereits Anklang zu finden.
Die langjährigen Auseinandersetzungen zwischen den Besetzern der »Rigaer 94« und den Eigentümern haben sich seit August 2015 deutlich verschärft, weil Dewhurst, dessen Briefkastenfirmen auch in den sogenannten Panama Papers auftauchen, seinen Anspruch auf eine anderweitige Verwertung des Hauses endgültig durchsetzen möchte.
Aber auch die Veränderungen in der Zusammensetzung des Friedrichshainer Nordkiezes und die Berliner Stadtpolitik spielen eine wichtige Rolle. Seit Jahresende 2015 wird die Gegend um die Rigaer Straße als eine Art Gefahrengebiet dargestellt, was eine dauerhaft erhöhte Polizeipräsenz und willkürliche Personenkontrollen rechtfertigten soll. Aus einer schriftlichen Anfrage der Piratenpartei geht hervor, dass die Polizei zwischen Mitte Januar und Ende Februar etwa 1 800 Personenkontrollen im Nordkiez vorgenommen hat, also etwa 40 am Tag. Darüber hinaus gab es in den vergangenen Monaten verstärkt Razzien in Wohnprojekten und Kneipen des Gebiets. Hinter diesem koordinierten Vorgehen verschiedener Behörden steckt offensichtlich eine politische Strategie: Der Repressionsdruck gegen linke Einrichtungen wird erhöht, der lokale Konflikt verschärft. So können weitere polizeiliche Maßnahmen legitimiert werden.
Zugleich treiben die zuständigen Stadtplaner und Investoren die Aufwertung des Wohnraums im Nordkiez voran. Das jüngste Beispiel dafür ist das geplante »Carré Sama-Riga«. Auf dem Gelände einer ehemaligen Möbelfabrik, das bisher vorwiegend von kulturellen Einrichtungen genutzt wird, will die CG-Investorengruppe Neubauten mit etwa 133 Wohnungen und acht Gewerbeeinheiten errichten.
Die soziopolitische Veränderung des Gebiets liefert zugleich Gelegenheit für Innensenator Henkel, sich als Law-and-order-Politiker für den im Herbst stattfindenden Berliner Wahlkampf in Szene zu setzen. Dass dieses Geltungsbedürfnis mit dem harten Vorgehen der Berliner Polizei und den Verwertungsinteressen von Investoren und Stadtplanern zusammenfällt, verheißt wenig Gutes für die kommenden Monate im Nordkiez.