Die Debatte über Waffengesetze im US-Wahlkampf

Mit der Waffe in der Hand

Nach dem Anschlag von Orlando wird im US-Wahlkampf vor allem über die Effektivität der Waffengesetze heftig debattiert. Die Fronten verhärten sich zusehends.

Als der 76jährige demokratische Kongressabgeordnete John Lewis, ein Veteran der Bürgerrechtsbewegung, am 22. Juni zu einer Sitzblockade im US-Kongress aufrief, um vor der Sommerpause eine Abstimmung über ein schärferes Waffenrecht zu erzwingen, konnten Millionen von US-Amerikanern im Fernsehen und auf sozialen Netzwerken eine beeindruckende Kundgebung miterleben. »Wir sind gegen das Blut und den Tod in unserem Land gleichgültig geworden«, so Lewis. »Wo ist das Herz dieses Hauses? Wo ist unsere Seele?« Es wurden Parolen skandiert, es wurden Lieder gesungen, es herrschte Chaos. 25 Stunden lang hielten mehr als 100 Abgeordnete der demokratischen Fraktion ihre Blockade durch, dann gelang es dem Sprecher des Repräsentantenhauses, dem Republikaner Paul Ryan, den Kongress in die Sommerpause zu entlassen. Doch eines ist klar: Die Demokraten haben die Nase voll. Obwohl sie in der Minderheit sind, wollen sie endlich eine Verschärfung der Waffengesetze in den USA erzwingen. Der jüngste Auslöser für den Vorstoß war das Massaker im LGBT-Club Pulse in Orlando.
Angefangen hatte der Protest im Senat, als Chris Murphy, der demokratische Senator aus Connecticut, eine medienwirksame 14-Stunden-Rede hielt. Vier Gesetzesvorschläge wurden daraufhin eingereicht, zwei von den Demokraten und zwei von den Republikanern, allerdings ohne Erfolg. Der Kernpunkt waren erweiterte Hintergrundkontrollen, die verhindern sollen, dass Menschen, die auf der Terrorbeobachtungsliste stehen, Waffen kaufen können. Doch der Vorschlag der demokratischen Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien scheiterte mit 47 zu 53 Stimmen. Nur zwei Republikaner stimmten für das »Feinstein Amendment«, die Senatoren Mark Kirk aus Illinois und Kelly Ayotte aus New Hampshire. Die Debatte um das Recht auf Waffenbesitz, das im »Second Amendment« der US-Verfassung verankert ist, wird im Ton immer schärfer, ausgelöst durch die scheinbare Unfähigkeit der Politik, angemessen auf das Massaker von Orlando zu reagieren.
Als in den frühen Morgenstunden des 12. Juni Omar Mateen mit einem halbautomatischen Gewehr vom Typ Sig Sauer MCX in dem LGBT-Club im US-Bundesstaat Florida das Feuer eröffnete, 49 Menschen tötete und Dutzende verletzte, dauerte es nicht lange, bis das Verbrechen politisiert wurde. Dabei war die Reaktion der beiden voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten – Hillary Clinton und Donald Trump – enttäuschend, wenngleich aus gänzlich unterschiedlichen Gründen. So schrieb der millionenschwere Immobilienmakler und ehemalige Reality-TV-Star Trump auf Twitter, dass er sich über die »Glückwünsche« dazu freue, recht gehabt zu haben, denn für ihn sei klar: Alles ist die Schuld der Muslime. Trump deutete an, dass moderate Muslime in den USA, und vielleicht sogar US-Präsident Barack Obama selbst, mit islamistischen Terroristen sympathisieren würden. Er wiederholte seine Forderung nach einem pauschalen Einreiseverbot für Muslime, obwohl ein solcher Schritt faktisch und rechtlich nicht durchsetzbar wäre.
Trump ist mittlerweile als rechter Brandredner bekannt, er greift nicht nur Muslime und Einwanderer an, gegen ihn und seine Anhänger gibt es auch immer wieder Vorwürfe wegen Antisemitismus. Sein Slogan »America First« war auch das Schlagwort US-amerikanischer Isolationisten in den dreißiger Jahren, des America First Committee, zu dessen prominentesten Vertretern der antisemitische Flieger Charles Lindbergh gehörte. Jüdische Journalistinnen und Journalisten, die Kritik an Trump oder seiner Familie üben, sahen sich antisemitischen Shitstorms ausgesetzt. So wurde etwa die Journalistin Julia Ioffe nach ihrem Porträt von Melanie Trump in der Zeitschrift GQ, das der Ehefrau Trumps missfiel, mit antisemitischen Schmähungen bis hin zu Todesdrohungen bombardiert. Dazu aufgerufen haben soll die neonazistsiche Website Daily Stormer. Trump schritt in diesem wie in ähnlichen Fällen nicht ein; er behauptete, damit nichts zu tun zu haben und er habe auch keine Botschaft an die Fans. Einige von Trumps Anhängern setzen auf Twitter mittlerweile die Namen jüdischer Trump-Kritiker in drei Klammern, was sich als Symbol für »jüdischer Zersetzer« eingebürgert hat. Trumps Antwort auf den Anschlag in Orlando ist blanke Demagogie, Lösungen schlägt er nicht vor.
Für seine Kontrahentin Hillary Clinton war sein Ausfall ein gefundenes Fressen, denn so konnte sie den gewünschten Kontrast setzen, auch wenn ihre eigene Replik vorwiegend aus bedeutungslosen Phrasen bestand und ebenfalls keinerlei Lösungsvorschläge beinhaltete: »Wir brauchen weder Verschwörungstheorien noch krankhafte Selbstgefälligkeit«, so Clinton in einer Rede. »Wir brauchen Führungsstärke und konkrete Pläne, denn wir haben es mit einem brutalen Feind zu tun.« Um welchen Feind es sich genau handelt, darüber wird aber immer noch gerätselt. Manchen gilt er nur als homophober Geistesgestörter, anderen als Einzelgänger, als lone wolf ohne Kontakte zu Terrornetzwerken. Der Täter hatte zwar Verbindungen zu Islamisten und rief während des Massakers bei der Notrufhotline der Polizei an und bekannte sich zum »Islamischen Staat«, führte die Tat jedoch mutmaßlich alleine aus. Umso schwerer ist es, solche Angriffe zu vereiteln.
In den Tagen nach dem Massaker, dem schlimmsten Anschlag in den USA seit 9/11, sanken Trumps ohnehin schon schwachen Umfragewerte weiter. Dabei hatte es zuvor geheißen, dass ein eventueller Terrorangriff eher den Republikanern nützen würde, die in den USA traditionell als Partei für »Recht und Ordnung« gelten. Trumps Äußerungen gingen aber vielen Amerikanern zu weit, sie wollen endlich Taten sehen. Clinton hat sich wiederholt für ein Verbot von halbautomatischen Gewehren ausgesprochen, und wird dies womöglich zu einem zentralen Wahlkampfthema machen. Aber im Grunde könnte man sehr viel mehr tun. Man könnte die bestehende Gesetzgebung effizienter durchsetzen, wie von Präsident Barack Obama gefordert, das allein würde die Zahl der Todesopfer reduzieren – wenn auch nicht unbedingt jihadistische Anschläge verhindern. Doch die Republikaner und die einflussreiche Waffenlobby NRA (National Rifle Association) haben bislang alle noch so zaghaften Reformvorschläge abgeblockt.
Trump gab bekannt, dass er, sollte er Präsident werden, das Recht auf Waffenbesitz – inklusive halbautomatischer Gewehre – nicht verändern wolle, obwohl der Besitz solcher Gewehre nach Auffassung des obersten Gerichtshofs keineswegs durch die Verfassung geschützt sei. »Es ist eine Frage der Selbstverteidigung«, erklärte Trump gegenüber dem konservativen Kabelsender Fox News. Einschränkungen jeglicher Art lehnte er ab: »Der Feind hat auch große Waffen.«
Doch selbst mit einem Verbot von Halbautomatikwaffen, so schätzen Experten, würde man höchstens vier Prozent der über 30 000 jährlichen Todesfälle durch Schusswaffen in den USA verhindern, und selbst das würde bedeuten, dass man, wie in Australien 1996, die meisten Gewehre konfiszieren müsste. Das wäre in den USA undenkbar. Dazu kommt, dass das Gros der Opfer durch Handfeuerwaffen ums Leben kommt, nicht durch Halbautomatikgewehre. Für eine grundsätzliche Kursänderung wären radikalere Schritte notwendig. Die von den Demokraten gewünschten Gesetze würden vermutlich nicht genug bewirken, sie haben im Wahlkampf eher Symbolcharakter. Das Massaker wird zur Wahlkampfkulisse und es ist nicht zu erkennen, dass eine Präsidentin Clinton den Rückhalt für die nötigen Reformen hätte. Doch genau hier setzten die Demokraten mit ihrer Sitzblockade an, sie hoffen, eine Welle der Empörung auszulösen und das politische Klima tiefgreifend zu verändern. Ob ihnen das gelingen wird, ist ungewiss.