Der Film »Ils sont partout«

Mossad am Kreuz

Der französische Regisseur Yvan Attal begegnet in seinem Film »Ils sont partout« antijüdischen Ressentiments mit Humor. Kann das funktionieren?

Lässt sich der Antisemitismus mit Humor bekämpfen? Ja, meint der Schauspieler und Filmemacher Yvan Attal, der in seinm neuen Film nahezu sämtliche Stereotype über »die Juden« auf die Schippe nimmt. Der im Januar 1965 in Tel Aviv geborene Sohn algerisch-jüdischer Eltern wuchs in der Pariser Vorstadt Créteil auf. Er ist der Lebensgefährte von Charlotte Gainsbourg, spielte 1991 an ihrer Seite in dem Film »Aux yeux du monde« und lässt sie in seinem neuen Film zum Thema Antisemitismus auftreten. Der jetzt in Frankreich angelaufene Film trägt den ironischen Titel »Ils sont partout« (Sie sind überall) und spielt auf die Vorstellung jüdischer Allmacht und Weltherrschaft an.
Yvan Attal spielt sich im Film selbst und heißt dort einfach Yvan. Zu Anfang sitzt er auf der Couch eines Psychotherapeuten, der von dem renommierten Psychoanalytiker Tobie Nathan gespielt wird. Nathan gilt als der bedeutendste Schüler von Georges Devereux, dem Vater der umstrittenen Ethnopsychoanalyse, und ist Begründer eines Zentrums zur psychotherapeutischen Unterstützung von Migranten. Im Film erzählt Yvan seinem Psychiater, dass er unter dem wachsenden Antisemitismus in seiner Umgebung leide. Er verweist auf den Foltermord an dem jungen Juden Ilan Halimi, der vor zehn Jahren in einer Pariser Vorstadt misshandelt und getötet wurde, weil eine kriminelle Bande die fixe Idee hatte, dass »Juden eben Geld haben«; er spricht über die beiden Terroristen Mohamed Merah und Amedy Coulibaly. Die Jihadisten töteten 2012 beziehungsweise 2015 neben anderen Opfern gezielt jüdische Kinder beziehungsweise jüdische Supermarktkunden. Doch seine Umgebung, fährt Yvan fort, nehme seine Angst als Verfolgungswahn wahr. Deswegen wolle er sich behandeln lassen. Aus diesem Grund stürzt sich Yvan dann auch in ein Filmprojekt.
Unterdessen quälen ihn immer wieder Träume, die er seinem Psychiater schildert. Die komödiantischen Traumszenen unterbrechen im Film die Gespräche mit dem Arzt.
Eine Traumerzählung behandelt das Schicksal eines rechtsextremen Politikers namens Boris Vankelen, der irgendwann erfahren muss, dass er jüdische Vorfahren hat. Seine Ehefrau Eva ist Chefin der fiktiven Partei Mouvement national de France (MNF), in der man unschwer den Front National (FN) erkennt. Allerdings ist der fiktive MNF auf eine Weise plakativ antisemitisch, wie der FN es niemals war. Eva ist wie Marine Le Pen die Erbin der innerparteilichen Macht kraft familiärer Abstammung. Doch ihr Mann Boris erfährt bei der Be­erdigung seiner Großmutter mütterlicherseits plötzlich, dass die Verstorbene Jüdin war. Nach der Thora, schlussfolgert Vankelen, sei er deswegen aufgrund mütterlicher Abstammungslinie ebenfalls Jude. Eine Anspielung auf Marine Le Pen, deren Lebensgefährte Louis Aliot tatsächlich eine jüdische Großmutter hat.
Am Ende nutzt Boris Vankelen seine Abstammung zum eigenen Vorteil. Seine Frau, die bis dahin Spitzenkandidatin war, täuscht eine Krebserkrankung vor und tritt ihm die Kandidatur ab. Die Partei befindet sich bei 46 Prozent in den Umfragen und steuert auf einen Wahlsieg zu. In einer Fernsehshow wettert Vankelen zunächst über die jüdische Macht im Finanz- und Bankensektor. Darauf konfrontiert ihn die anscheinend gut­informierte Moderatorin unerwartet mit der Existenz seiner jüdischen Oma. Vankelen nutzt den Moment, um zu erklären, daran sehe man doch, dass seine Partei gar nicht antisemitisch sein könne, wie man es ihr vorwerfe.
In einer anderen Erzählung geht es um das Geld der Juden. Pascal Bensoussan, Sohn algerischer Juden, lebt mit seinen alten Eltern in einer heruntergekommenen Banlieue und hat keine Arbeit. Seine ehemalige Frau Mathilde – der er Unterhalt für die gemeinsame Tochter schuldet – und seine Freunde werfen ihm immer wieder vor, er sei »der einzige Jude, der kein Geld hat«, und deswegen ein ganz besonderer Loser. Da er den Druck nicht mehr erträgt, erklärt er seinem schockierten Vater Maurice, er trete mit sofortiger Wirkung aus dem Judentum aus. Gleichzeitig verdingt er sich als Gehilfe bei seinem Freund und Nachbarn Eric, der sich als Drogendealer betätigt.
Doch sein Vater Maurice, bis dahin selbst arm wie eine Kirchenmaus, gewinnt unverhofft 500 000 Euro im Lotto. Er hilft finanziell zwar nicht seinem enterbten Sohn, aber dessen ehemaliger Frau Mathilde. Diese wird am Schluss allerdings von den Dealerfreunden ihres Mannes, die das spitzbekommen hatten, überfallen. Dies wiederum ist eine fiktive Bearbeitung des realen Falles Ilan Halimi.
Ein weiteres Klischee ist der Zusammenhalt der Juden, aber auch sein Gegenstück, der endlose und kleinliche Streit unter Juden, gehört zu den Stereotypen und wird im Film behandelt. Zwei vollbärtige orthodoxe Thora-Studierende streiten sich im Film intensiv über die Frage: »Kommen ein rußschwarzer und ein weiß gebliebener Schornsteigfeger aus dem Kamin. Welcher wäscht sich zuerst?« Nun, der pechschwarze, weil er schmutziger ist? Oder der andere, weil er den Schmutz am Erstgenannten sieht, der rabenschwarz Gewordene sich jedoch für sauber hält, weil er den weiß gebliebenen Kollegen vor Augen hat? Oder aber, könnte man nicht denken, dass … ? Das Problem hierbei dürfte sein, dass ein Stereotyp demontiert werden soll, jedoch ein anderes bestätigt wird.
Beim Klischee »Sie haben Jesus getötet!« wird schließlich ein Mossad-Agent namens Norbert mit einer eben erfundenen Zeitmaschine in die Vergangenheit geschickt. Er soll Jesus Christus dezent beseitigen, damit die Bibelgeschichte ihre Grundlage verliert. Norbert landet ein erstes Mal im damaligen Bethlehem, wird für einen Propheten gehalten und macht sich diesen Status zunutze, um Frauen anzubaggern. Dabei gerät er zufällig an eine gewisse Maria, deren Ehemann Joseph rasend eifersüchtig wird. Seine Vorgesetzten holen den Agenten in aller Eile zurück, akzeptieren jedoch nach einigem Zögern, ihn erneut loszuschicken. Dieses Mal endet Norbert am Kreuz. Die Kleidung der Protagonisten und der Stil erinnern in dieser Episode des Films stark an »Das Leben des Brian«.
Nach zwei weiteren Einstellungen, in denen es unter anderem um den Vorwurf einer Instrumentalisierung des Shoah-Gedenken durch die Juden geht, endet der Film schließlich mit der Darstellung eines imaginären Referendums. Weil es Frankreich an Geld mangele, schlägt ein fiktiver Präsident – dessen Züge im Film jedoch stark an François Hollande erinnern – vor, das Land kollektiv zum Judentum konvertieren zu lassen, um die Finanzlage aufzubessern. 68 Prozent stimmen in einem Referendum dafür.
Könnte Yvan Attals Film dazu beitragen, antisemitische Klischees lächerlich zu machen? Möglicherweise ja, meinen viele Kinokritiker wie Nicolas Rieux beim Filmportal »Mon­do­cine«. In diesem Falle nein, kontert Samuel Douhaire in der Kulturzeitschrift Télérama. Auch er hält die Methode der Veralberung grundsätzlich für erfolgversprechend und erinnert an den Film »Les aventures de Rabbi Jacob«, der bereits vor 40 Jahren antisemitische Vorstellungen der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Doch, fährt er fort, »Ils sont partout« sei nicht lustig genug. Allein die Szenen um den rechtsextremen Boris Vankelen hätten ihm ein Lächeln entlocken können.