Kommt es zum Arbeitskampf der Fahrradkuriere von Foodora, Deliveroo & Co.?

Ohne Kurier bleibt die Küche kalt

Hungern müssen sie zwar nicht. Doch die Kurierfahrer, die für Startup-Unternehmen Essen ausliefern, verdienen wenig. Einen Arbeitskampf zu organisieren, gestaltet sich für sie schwierig.

In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Fahrradkuriere mit den großen Essenskisten auf dem Rücken in deutschen Großstädten sprunghaft angestiegen. Startups wie Deliveroo und Lieferando gehören zur Share-Economy, die angetreten ist, die Arbeitswelt in den nächsten Jahrzehnten gründlich umzukrempeln. In der Share-Economy sollen Menschen Dienstleistungen, Gegenstände oder Räume systematisch verleihen oder bereitstellen, zum Nutzen aller Teilnehmer. Im konkreten Fall: Der Kurier stellt sein Fahrrad und sein Mobiltelefon, das Lieferunternehmen sein Bestellsystem. Mit diesem Prinzip können allerdings noch die letzten der einst von der Arbeiterbewegung erkämpften Rechte über Bord geworfen werden. Schließlich ist Flexibilität das Zauberwort dieser Branche. Arbeit und Freizeit verschwimmen. Wo unter fordistischen Arbeitsverhältnissen ein Vorarbeiter oder Chef war, finden sich bei den Lieferservices Algorithmen. Diese entscheiden dann, wer einen Auftrag bekommt. In der Taz beschrieb ein Journalist, der im Selbstversuch als Fahrradkurier arbeitete, das System so: »Als Smartphone- und Fahrradbesitzer habe ich quasi meine Zeit verkauft und wurde Teil der pinken Foodora-Armee. Genauso wie bei anderen Share-Economy-Jobs muss man auch hier selbst Konsument sein und sich die ›Werkzeuge‹, die Assets, kaufen, die man für den Job benötigt.« Für den Einkauf muss man allerdings gut bei Kasse sein. »Diese Werkzeuge sind aber mitunter Luxusgegenstände: Rennräder und iPhones. Mitmachen kann nur, wer sie sich leisten kann. Foodora übernimmt dann Logistik und Bestellungen mit Hilfe einer App.« Doch nach welchen Kriterien die Fahrer ausgewählt werden, bleibt offenbar Betriebsgeheimnis. »Ich wusste stets nur so viel: Zu Schichtbeginn musste ich im zugeteilten Bezirk sein, mich in die App einloggen und auf den ersten Auftrag warten«, beschreibt der Journalist die Situation von Beschäftigten, deren Boss eine App ist. »Jede Bestellung ist ein Puzzle, die Teile erhält der Fahrer erst nach und nach.«
Wo scheinbar Algorithmen das Kommando übernommen haben, ist es auch schwer, sich zu organisieren. Doch bei der Firma Deliveroo, die mit Foodora, Lieferando und weiteren um Marktanteile konkurriert, könnten die Berliner Kurierfahrer den Aufstand proben. Der Unmut entzündete sich vor einigen Wochen am Wegfall der Boni, die bezahlt wurden, wenn Fahrer Nacht- oder Wochenendschichten übernahmen. Diese konnten bis zu 50 Euro betragen, waren aber nie vertraglich fixiert. Wenn die Boni wegfallen, könnte den Fahrern ein Einnahmeverlust von 100 bis 150 Euro monatlich entstehen, schilderte ein Kurier dem Tagesspiegel die Lage. Da die Fahrer als Scheinselbständige eine Menge zusätzliche Ausgaben haben, würde sich der Verlust schnell bemerkbar machen. Zudem sind bei Deliveroo die Löhne besonders niedrig. Der Basisstundenlohn liegt bei 7,50 Euro. Pro Lieferung gibt es einen Euro zusätzlich.
Im Tagesspiegel hat der Fahrradkurier die monatlichen Fixkosten vorgerechnet, die auf einen Freiberufler wie ihn zukommen. »Ich zahle 280 Euro im Monat für meine Krankenkasse. Ich habe 123 Euro für die Genossenschaft Verkehr ausgegeben. Das muss man als Kurierfahrer bezahlen, um sein Gewerbe anmelden zu können. Außerdem brauche ich 30 bis 60 Euro monatlich für Fahrradreparaturen. Dazu kommt das Smartphone. Um ohne Zeitverzögerungen navigieren zu können, braucht man zudem einen guten Anbieter.« Auch für die Kleidung und die Versicherungen muss der Fahrer selbst aufkommen.
Für Diskussionen, ob die Kuriere den Arbeitskampf wagen sollen, werden das Internet und die Pausentreffpunkte genutzt. Das sind häufig Grünflächen, auf denen die Kuriere auf die nächsten Aufträge warten. Dabei schwankt die Stimmung zwischen der pessimistischen Einschätzung, dass als Freelancer ein Streik kaum möglich ist, bis zur Überzeugung, dass die Beschäftigten durchaus Macht haben. Das System würde schließlich zusammenbrechen, wenn sich alle Kuriere zu einem bestimmten Zeitpunkt ausloggten.