Die Pattsituation nach der Parlamentswahl in Spanien

Rajoy sucht Partner

Nach den Wahlen in Spanien bleibt es bei der Pattsituation im Parlament.

»Dem PP fehlte nur ein Skandal mehr, um die absolute Mehrheit zu erreichen«, kommentierte Leonidas Martin am Sonntag um Mitternacht das soeben verkündete Wahlergebnis. Der in den sozialen Bewegungen Barcelonas bekannte Aktivist brachte in seiner sarkastischen Bemerkung die Stimmung vieler Linker auf den Punkt. Die konservative Volkspartei (PP) konnte ihren Stimmenanteil um 4,3 Punkte auf 33 Prozent steigern. Nach den vorigen Wahlen am 20. Dezember 2015 war der regierende PP zwar noch stärkste Partei im Parlament, hatte aber 16 Prozentpunkte und die absolute Mehrheit an Mandaten verloren. Trotz 14 Mandaten mehr – für eine Mehrheit braucht der PP weiterhin Koalitionspartner.
Der sozialdemokratische PSOE will kein Juniorpartner sein, obwohl er wie der PP für eine Austeritätspolitik eintritt. Der PSOE hat Angst vor weiterem Popularitätsverlust. Die Partei konnte zwar ihr Ergebnis vom Dezember in etwa halten und kam auf 22,6 Prozent, erhielt aber so wenig Mandate wie nie seit 1977. Das jahrzehntelange Repräsentationsmonopol von PP und PSOE wurde im Dezember von zwei erstmals kandidierenden neuen Parteien gebrochen, Podemos und Ciudadanos. Zusammen erhielten PP und PSOE bis dahin üblicherweise über 80 Prozent, nun jedoch nur noch jede zweite Stimme. Bei dieser Konstellation bleibt es.
Anfang 2014 hatte sich aus der linksalternativen, basisdemokratischen Bewegung der Indignados die Partei Podemos (Wir können) gegründet, die wegen ihres diffusen Protestes gegen »die da oben« auf große Zustimmung stieß. Trotz eines autoritär geführten Wahlkampfes von Mariano Rajoy und Pedro Sánchez, den Spitzenkandidaten von PP und PSOE, konnte sich Podemos behaupten und kam nach 20,6 Prozent im Dezember am 26. Juni auf 21 Prozent. Rajoy stellte Podemos als radikale Partei dar, die aus Spanien ein zweites Venezuela machen würde, Sánchez schloss sich dieser Dämonisierung weitgehend an und sprach Podemos die Regierungsfähigkeit ab.
Es war für Podemos sinnvoll, bei der Wahl am 26. Juni gemeinsam mit Izquierda Unida (IU) unter dem Namen Unidos Podemos (Vereint können wir) anzutreten. Das altlinke Bündnis rund um die Kommunistische Partei (PCE) war bei der Wahl im Dezember auf 3,7 Prozent gekommen. Problematisch für viele, die Podemos im Dezember gewählt haben, war die starke Präsenz von roten Fahnen mit Hammer und ­Sichel, das linksidentitäre Brauchtum der PCE.
Ciudadanos (Bürger), die zweite neue Partei, die bei den Wahlen am 20. Dezember erstmals kandidierend auf 13,9 Prozent gekommen war, hat ein rechtsliberales Programm. Wo Podemos die Vergesellschaftung der Daseinsfürsorge und mehr Sozialstaat fordert, will Ciudadanos mehr Markt und möglichst wenig staatliche Eingriffe. Ihr Vorsitzender Albert Rivera prangert die weitverbreitete Korruption unter den Politikern des PP und des PSOE an. Tatsächlich kam im Gefolge der Wirtschaftskrise so viel über Schmiergeldzahlungen insbesondere in der Bauwirtschaft heraus, dass derzeit gegen Hunderte Mandatsinhabende ermittelt oder prozessiert wird. Auch Rajoy soll Schmiergeld erhalten haben – ­Ciudadanos will nur mit dem PP koalieren, wenn er und alle anderen unter Korruptionsverdacht stehenden Politiker der Partei abtreten. Schwierige Koalitionsverhandlungen stehen bevor.
Das Abstimmungsverhalten am 20. Dezember war ein Protest gegen Korruption und Austeritätspolitik, doch hat am 26. Juni die Angstkampagne des PP bei vielen gefruchtet. Konservative Protestwähler sind von den Ciudadanos zum PP zurückgekehrt. Bei den ehemaligen Wählern des PSOE hat der Ruf zur Ordnung weniger Resonanz gefunden. Die Enttäuschung über die Wende der letzten PSOE-Regierung vor 2011 von der Sozial- hin zur Austeritätspolitik sitzt tief. Gleich­zeitig ist aber auch deutlich geworden, dass Podemos mit einer starken Ab­geordnetenfraktion nicht die Cortes aus den Angeln heben und in Koalitionsverhandlungen mit dem PSOE ­nahezu nichts erreichen konnte. Die Wahlbeteiligung sank von 73,2 auf 69,8 Prozent. Mehr als eine Million Wählerinnen und Wähler, die 2015 noch für Podemos oder IU gestimmt haben, blieben dieses Mal den Wahllokalen fern.