Warum der Fall Gina-Lisa Lohfink für Feministinnen wichtig ist

Wie sieht ein Opfer aus?

Der Fall Gina-Lisa Lohnfink ist eigentlich ein gewöhnliches Beispiel dafür, wie »victim blaming« funktioniert. Überraschend ist nicht der Fall an sich, sondern seine Skandalisierung.

Irgendwann schwirrt inmitten der penetranten Gleichzeitigkeit digitaler Kommunikation eine Überschrift an mir vorbei: »Gina-Lisa Lohfink vor Gericht als Hure beschimpft«. Mein Herz für Klatsch bringt mich dazu, nichtsahnend auf den Artikel zu klicken. Ich erwarte ein verworrenes Verfahren, vielleicht, weil eine Rechnung nicht bezahlt wurde oder weil sie jemanden beleidigt hat. Etwas Amüsantes eben. Schnell verschlägt es mir jedoch die Sprache: Gina-Lisa war im Juni 2012 auf einer Party in einem Club. Es floß Alkohol. Dann hatte sie einen Filmriss und erwachte nach etlichen Stunden in einer Wohnung, ohne zu wissen, wo sie ist und was geschehen war. Kurze Zeit später wird verschiedenen Zeitungen ein Video angeboten. Zu sehen: Gina-Lisa Lohfink, wie sie völlig benebelt (sie selbst sagt, es habe sich wie K.O.-Tropfen angefühlt) von zwei Männern vergewaltigt wird. Ja, richtig. Ich schreibe ganz bewusst vergewaltigt, denn in dem Video drückt sie mehrfach ihren Unwillen aus, sie sagt: »hör auf« und »nein«. Die sexuellen Handlungen, die dem »Nein« und dem »Hör auf« folgen, werden gegen ihren ausdrücklichen Willen ausgeführt. Dass das deutsche Strafrecht ein »Nein« und ein »Hör auf« strafrechtlich nicht für ausreichend hält, macht den Vorfall nicht weniger zu einer Vergewaltigung. Wenn das Recht nicht mehr diejenigen schützt, die es zu schützen beansprucht, dann muss es geändert werden. Punkt.
Abgesehen davon ist es recht schwer zu verstehen, wie Menschen wirklich noch von »Sex« sprechen können, wenn die beteiligte Frau mehrfach ausdrückt, keinen Sex haben zu wollen. Wie emotional und sexuell zurückgeblieben müssen Menschen sein, um einen solchen Akt der Gewalt als etwas Schönes, nämlich Sex, zu bezeichnen? Und wie fertig sind eigentlich Menschen, die meinen, dass einem »Nein« und »Hör auf« richtig toller Sex folgen könnte? Freilich sind das grundsätzliche Fragen, die jedoch am Fall Gina-Lisa Lohfink schmerzhaft offenbar werden und ein Problem in die breite Öffentlichkeit tragen: die systematische Leugnung sexualisierter Gewalt und das Stummmachen der Opfer.
Denn nicht nur war das mittlerweile aus dem Netz entfernte Vergewaltigungsvideo ein Klick-Hit, die Staatsanwaltschaft hat entschieden, Anklage gegen Lohfink zu erheben wegen, aufgepasst, falscher Verdächtigung. Richtig – die Staatsanwaltschaft macht nun das Opfer zur Täterin. Lohfink sagte dazu, sie würde lieber in den Knast gehen, als das Geld zu zahlen. Auch der Artikel, an dem ich hängenbleibe, positioniert sich eindeutig gegen das Opfer und wiederholt alle Vorurteile, denen Opfer sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Ich werde wütend. Auch weil bei der Verhandlung Unbekannte Lohfink einfach so unbehelligt als Hure beschimpfen konnten, ohne dass jemand einschritt. Eigentlich vollkommen unfassbar.
Das wird schon skandalisiert werden, denke ich. Der Fall ist zu klar, zu brutal, das Verfahren zu ungerecht. Als ich am nächsten Tag immer noch nicht die Timeline voll habe mit Empörung, suche ich den Artikel heraus und twittere ihn mit der Bitte um Skandalisierung: #teamginalisa. Im ersten Moment habe ich kurz Angst, dass Gina-Lisa Lohfink der feministischen Blase egal sein könnte, dass sie zu sehr »Plastik« ist. Doch es kommt anders. Immer mehr Blogs und Medien schreiben über den Fall, der Chefredakteur von stern.de ist überrascht von der Solidarität der »jungen Netzfeministinnen«, die sich ohne Wenn und Aber hinter Lohfink stellen. Dabei ist das nicht verwunderlich.
Sollte der Fall Schule machen und Opfer für ihre Aussagen angeklagt werden, wäre das im ohnehin schon aberwitzig schwierigen Kampf um Gerechtigkeit ein weiteres Hindernis. Denn der Kampf dafür, dass ein Nein auch wirklich nein bedeutet, hat gerade erst begonnen. Gerade auch, weil ein fehlendes Ja eigentlich ausreichen sollte.