It’s racism, stupid

Die Entscheidung für den Austritt aus der EU war kein Protest gegen den Neoliberalismus. Es ging nicht um den Kampf gegen den Marktextremismus, sondern darum, wer am Markt teilhaben darf.

Manche Linke halten die Arbeiter offenbar für sehr, sehr dumm. Die Mehrheit für den Brexit sei eine »Revolte gegen die Reichen«, ­fabuliert die britische Socialist Workers Party; Bernie Sanders, Sahra Wagenknecht und viele andere sprechen von einem Protest gegen die neoliberale Politik. Doch wer gegen den Neoliberalismus oder die Armut protestieren will, könnte es ja einfach mal tun, durch Enga­gement bei Occupy, als Lohnabhängiger durch Streik oder, wenn die Konsumwünsche wichtiger sind als gemeinsam durchgesetzte Verbesserungen, durch die markenbewusste Plünderung von Turnschuhläden wie während der riots 2011.
Wer mehr Geld will, sollte sagen: Ich will mehr Geld! Auch den »einfachen Leuten« kann man das zutrauen, britischen Gewerkschaftern fiel es noch vor wenigen Jahrzehnten nicht schwer, für mehr Geld oder den Erhalt ihrer Arbeitsplätze ausdauernd zu ­streiken. Wenn nun den ersten Analysen zufolge neben den Stimmen des Provinzkleinbürgertums auch die vieler Lohnabhängiger und ­armer Rentner den Ausschlag für den EU-Austritt gaben, ist es paternalistischer Mystizismus, ihnen soziale Motive zu unterstellen, von denen sie selbst nie gesprochen haben.
Alle Indizien deuten vielmehr darauf hin, dass reaktionäre Ansichten, Nationalismus und Rassimus die Befürworter motivierten; einer Umfrage von Lord Ashcroft Polls zufolge halten diese mit Mehrheiten zwischen 70 und 80 Prozent Immigration, Sozial­liberalimus, Feminismus und das Internet für »Kräfte des Bösen« (forces of ill). Viele von ihnen scheinen ökonomische Verluste in Kauf zu nehmen, um ihren Ressentiments Geltung zu verschaffen. Denn man kann über das Ausmaß des ökonomischen Schadens durch das britische Ausscheiden streiten, nur im Stadium fortgeschrittener nationalistischer Verblendung aber kann man daran glauben, dass ein in erheblichem Ausmaß entindustrialisiertes, von seiner Finanzindustrie abhängiges Großbritannien als lone wolve im globalisierten Kapitalismus mehr Beute machen wird. Überdies haben die konservativen Befürworter des »Brexit« im Establishment nie eine Abkehr von der Privatisierungs- und Austeritätspolitik – die ein Werk der Tory- und Labour-Regierungen, nicht der EU-Bürokratie ist – versprochen.
Versprochen haben sie etwas anderes, nämlich einen Rückgang der Migration. Nationalistische Abschottung (»take back control«) ist noch die gemäßigte Version, »go home« ist, auch an die Adresse gebürtiger Briten gerichtet, die Botschaft jener, die die Gelegenheit für eine ethnische Säuberung nutzen wollen. Die Zahl der gemeldeten hate crimes ist seit dem Referendum rasant gestiegen.
Man sucht sein Leben nicht durch solidarisches Handeln zu verbessern, sondern durch den Kampf dagegen, wie es die Ideologie der Konkurrenz vorsieht. Der Protest richtet sich nicht gegen die Forderungen und Zumutungen des Neoliberalismus, sondern gegen die relative Freizügigkeit im Personenverkehr, die mit der Globalisierung einhergeht. Nach nationalistischen, meist auch rassistischen Kriterien sollen die Unerwünschten von Arbeitsmarkt und Geschäftswelt, ja aus dem gesellschaftlichen Leben überhaupt ausgeschlossen werden.