Kommentar - Der Nato-Einsatz wird Syrien dem Frieden nicht näher bringen

Aufklärung statt Angriff

Die Nato hat in Warschau beschlossen, die internationale Koalition gegen den »Islamischen Staat« zu unterstützen. Hilfreich ist das nicht.

Keine 24 Stunden währte die Anfang Juli vom syrischen Regime verkündete dreitägige Waffenruhe anlässlich des Endes des Ramadan. Noch in der ersten Nacht begannen die staatlichen Truppen mit russischer und iranischer Unterstützung heftige Angriffe auf den ­Osten Aleppos. Nun könnte die letzte Versorgungsroute der Stadt gekappt werden. Den 300 000 Einwohnern, die trotz der Kämpfe weiterhin dort ausharren, droht eine humanitäre Katastrophe.
Während um Aleppo gekämpft wird, kamen in Warschau die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten zusammen. Am Ende ihrer Konsultationen stand ein 139 Punkte umfassendes Abschluss- Kommuniqué. Gerade einmal sechs dieser Punkte erwähnen Syrien, zwei davon den Präsidenten Bashar al-Assad. Man verurteile die Gewalt, heißt es da, weil sie den politischen Prozess zur Beilegung des Konflikts behindere. An alle Parteien appellieren die Regierungschefs, man solle doch bitte die Ende Februar beschlossene Waffenruhe respektieren – obwohl es den von Anfang an außer­ordentlich brüchigen Waffenstillstand schon lange nicht mehr gibt.
Die Nato erkennt zu Recht, dass die politische Transition in Syrien vorangetrieben werden muss. Doch statt sich um die eigentliche Ursache der Destabilisierung Syriens zu kümmern – die Gewalt des Regimes –, widmet man sich lediglich den Folgen: Am Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) beteiligt sich die Nato nun, so ein weiterer Beschluss des Warschauer Gipfels, mit Aufklärungsflugzeugen. Außerdem wollen sich Staaten wie die USA vermehrt gegen die Nusra-Front engagieren, den örtlichen Ableger von al-Qaida. Beides wird Syrien einem Frieden nicht näher bringen, denn das Assad-Regime führt eine symbiotische Beziehung mit den Jihadisten: Beide Seiten beziehen einen großen Teil ihrer Legitimation aus der Gewalt des anderen. Selbst wenn die internationale Koalition den ­Jihadisten auch ihr letztes Territorium abtrotzen sollte, sie fänden weiterhin idealen Nährboden für Terror aus dem Untergrund, wie im Irak nach 2003.
Derweil kann von Einigkeit in der Nato keine Rede sein. Statt den Druck auf das Regime in Damaskus zu erhöhen, um Zugeständnisse im politischen Prozess zu erreichen, drängt die US-Regierung im Kampf gegen den Terror in Syrien auf eine engere Kooperation mit Russland. Als Gegenleistung hofft man auf das Ende der Angriffe auf US-gestützte Rebellen. Solche Verhandlungen haben in der Vergangenheit nur dem Kreml geholfen, der seine versprochenen Gegenleistungen stets schuldig blieb. Ein Ende der Bombardements ziviler Gebiete mit geächteten Fassbomben? Nennenswerte Schritte in Richtung einer Übergangsregierung? Uneingeschränkter humanitärer Zugang zu belagerten Gebieten für Hilfsorganisationen? Nichts davon hat Russland in Syrien durchgesetzt und damit bleibt der Friedensprozess tot.
Auch die türkische Regierung nähert sich Russland nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im November wieder an. Ein Treffen beider Staatschefs ist geplant. Da das Erstarken der Kurden für Recep Tayyip Erdoğan ein weit größeres Problem ist als das Regime in Damaskus, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich auch die türkische Regierung mit Assad arrangiert, wenn Russland bereit ist, für gute Beziehungen einen höheren Preis zu zahlen als Europa.
Derweil stärken Assad und Wladimir Putin mit geschickt inszenierten militärischen Siegen ihre Verhandlungsposition, während die Moderaten am Boden immer schwächer werden, insbesondere die weiterhin aktive zivile Opposition. Denn die unermessliche Gewalt radikalisiert die Menschen weiter oder treibt sie in die Flucht. Verhandlungen mit einem für die Opposition akzeptablen Ausgang werden immer unwahrscheinlicher, weshalb auch sie kaum bereit sein wird, die Waffen niederzulegen. So geht Assads Kalkül auf – die Zeit ist auf seiner Seite. Wollten die Nato-Staaten wirklich etwas an der Lage in Syrien ändern, müssten sie endlich eine Einhaltung der UN-Resolution zum Verbot des Einsatzes von Fassbomben durchsetzen – zur Not auch mit einer Flugverbotszone. Immerhin hat Russland diese Resolution mitgetragen.