Was der IS in Bangladesh will

Jihad mit Ankündigung

Der »Islamische Staat« macht kein Geheimnis daraus, was er in Bangladesh erreichen will. Die Regierung schaut trotzdem weg.

Die Fotos der Täter wurden vom »Islamischen Staat« (IS) nur wenige Studen nach dem Blutbad im Café Holey Artisan Bakery in Dhaka veröffentlicht: fünf junge Männer, die Waffen halten und strahlend in die Kamera lächeln. Es handelt sich um die Attentäter, die Anfang Juli 20 Menschen aus Bangladesh und anderen Ländern niedermetzelten, weil sie nicht muslimisch genug aussahen oder klangen. Ihre Opfer lagen mit durchgeschnittener Kehle auf dem Boden. Die Fotos wurden vom IS veröffentlicht, Stunden bevor Polizeikommandos in das Gebäude eindrangen und eine Rettungsdrama inszenierten. Aber da war niemand mehr, der gerettet werden konnte – die Geiseln waren bereits tot, nur die Muslime unter ihnen waren verschont worden.

Lächelnde Gesichter und durchgeschnittene Kehlen: Das ist das Antlitz des islamistischen Terrors und seiner Opfer in Bangladesh. Nicht die lächelnden Gesichter sind allerdings das wichtigste visuelle Element der Fotos, die vom IS veröffentlicht wurden, sondern das Datum, das unten rechts im Bild zu sehen ist, über dem rot markierten Kasten, in dem »dringend« steht. Das Datum lautet: 27. Ramadan 1437, es folgt: »Bangladesh«, auf Arabisch und Englisch. Diese Zeichen deuten darauf hin, dass es sich bei den Bildern um eine administrative Botschaft aus einer wilayah – einer Provinz – des IS handelt. Haben Sie gewusst, dass Bangladesh zur Provinz des »Islamischen Staats« erklärt worden ist?

In Bangladesh ist der eigenartige Fall zu beobachten, dass eine Terrorgruppe ihre Pläne in Zeitschriften offen verkündet, während die Regierung sich weigert, die Existenz dieser Terrorgruppe anzuerkennen, und stattdessen weiterhin den Oppositionsparteien vorwirft, hinter Terroranschlägen zu stecken. Die Absurdität dieser Situation wurde in einem Artikel des Magazin Dabiq – dem Hauptmedium des IS in englischer Sprache – auf den Punkt gebracht: »Die (abtrünnige) bengalische Regierung wird bald begreifen, wenn Allah es so will, dass die unverschämte Leugnung der Fakten und die kindischen Schuldzuweisungen an die (abtrünnige) Opposition ihr nichts nützen werden, denn der ›Islamische Staat‹ ist gekommen, um zu bleiben, inshallah

Wenn der IS »gekommen ist, um zu bleiben«, was will er dann in Bangladesh? Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten. Es existiert eine Terrorgruppe, die eine Serie von Artikeln, Statements und Kommuniqués veröffentlicht hat, in denen sie detailliert ihre Ziele schildert, während die Regierung den Kopf in den Sand steckt. Vor vielen Jahren musste man in Bangladesh den Behörden schmeicheln, wenn man an Dossiers über Terrorgruppen herankommen wollte, um deren Pläne zu untersuchen. Nun verbreiten diese Gruppen ihre Pläne in Form von schick gelayouteten PDFs und modernen Videos.

Während der Jihad in Bangladesh vordergründig gegen den säkularen Staat (taghut) gerichtet ist, macht der IS kein Geheimnis daraus, dass seine »Krieger« drei Zielgruppen im Land haben: Ausländer, die als »Kreuzritter« oder »Verbündete der Kreuzritter« bezeichnet werden; nicht sunnitische Muslime, wie die Schiiten und Ahmadiyya-Muslime, die als rafida (»Ablehner«) und »abtrünnige Sekten« gelten, sowie Hindus und Buddhisten, die als Heiden und Götzendiener gelten, als »Kuh-Anbeter« und musriqun (Polytheisten). Während meistens die ausländischen Opfer des IS in die Schlagzeilen kommen, gehören Hindus und Buddhisten zu den häufigsten Zielen der Anschläge. Aber auch die Kultstätten der Schiiten und Ahmadiyya-Muslimen werden immer häufiger attackiert.

Warum sind Hindus in Bangladesh zum Ziel des IS geworden? Shaykh Abu Ibrahim al-Hanif (ein Pseudonym) – der »Emir der Soldaten des Kalifats in Bengalen« – antwortete auf diese Frage in einem Interview mit Dabiq ziemlich offen: »Es ist bekannt, dass die Hindus im Bengalen seit den Tagen des sogenannten ›Befreiungskriegs von Bangladesh‹ im Jahr 1971 den indischen Geheimdienst (RAW) gegen die Muslime in Bengalen unterstützen. Daher glauben wir, dass die Sharia in Bengalen nur dadurch erreicht werden kann, dass die Hindus massenweise zum Ziel gemacht werden und dass ein Konfliktzustand in der Region erzeugt wird, der die Gläubigen und Ungläubigen trennt, so Gott es will.«

Nach meiner Lesart besteht neben diesen beiden Zielen ein drittes, das nicht offen ausgesprochen wird. Es ist das Ziel, eine militärische Intervention des Nachbarlandes und regionalen Hegemons, Indien, in Bangladesh herbeizuführen. Jihadisten in Südasien nennen ihr Ziel in der Region Ghazwa-e-Hind, (die »finale Schlacht von Indien«), eine obskure apokalyptische Prophezeiung, die sich auf die islamische Eschatologie bezieht (ähnlich den apokalyptischen Prophezeiungen hinsichtlich der schwarzen Fahnen, die der IS und al-Qaida in Syrien benutzen, um Anhänger zu rekrutieren). Die Hetze gegen Hindus und die Forderung an südasiatische Muslimen, sich auf die finale Schlacht gegen Indien vorzubereiten, sind zentrale Themen in der südasiatischen Jihad-Literatur. Hindus in Bangladesh zu attackieren, zielt in diesem Kontext darauf, einen Krieg zu provozieren.

Aus guten Gründen wird dem autoritären Regime in Dhaka unter Premierministerin Sheikh Hasina vorgeworfen, als Klient Indiens zu agieren – genauso wie Bashar al-Assad als Klient des Iran gilt. In den vergangenen Monaten ist es schwierig geworden für die hindunationalistische indische Regierung von Narendra Modi, die fortwährende Verfolgung von Hindus in Bangladesh zu ignorieren. Einige rechte Hindus in Neu-Delhi fordern bereits konkrete Schritte, die die Regierung in Dhaka dazu zwingen sollen, hinduistische Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Einige Falken fordern die Entsendung von indischen Sicherheits- und Militärberatern nach Dhaka.

Das ist genau das, was Gruppen wie der IS und AQIS (al-Qaida auf dem indischen Subkontinent) wollen: eine sichtbare indische Intervention in Bangladesh. Es ist daher kaum überraschend, dass auf einem bengalischen Jihad-Forum über eine Pressemeldung diskutiert wurde, derzufolge Indien ein Team von »Black Cats« (eine Spezialeinheit der nationalen Sicherheitskräfte) nach Bangladesh schicken wollte. Einer der am längstem an dem Forum beteiligten Autoren hatte den entsprechenden Link gepostet mit dem Kommentar: »Es scheint, als würde Allah so den Boden bereiten für Ghazwa-tul-Hind.« Allah hatte offenbar einen anderen Plan, denn die indische Regierung dementierte wenige Stunden später die Entsendung der Offiziere.

Welche Optionen hat Indien – und die sogenannte internationale Gemeinschaft – in Bangladesh? Eine Intervention ist unwahrscheinlich, ungeachtet dessen, wie viele Jihadisten darum in ihren nächtlichen Gebeten bitten. Wenn das Hasina-Regime den islamistischen Terror nicht unter Kontrolle bekommt, wird eher eine Machtübernahme des Militärs die Folge sein. Das Vorbild dafür lieferte der sogenannte sanfte Putsch von 2007. Damals marschierte der Stabschef der Armee in den Präsidentenpalast in Dhaka und zwang den Präsidenten dazu, den Notstand auszurufen. Es war ein Regime, das von Indern, Amerikanern und Europäern unterstützt wurde. Doch würden diese eine Wiederholung von 2007 wollen? Das ist eine andere Frage.

 

Tasneem Khalil ist ein bangladeschisch-schwedischer Journalist und Autor des Buchs »Jallad: Death Squads and State Terror in South Asia«.