Der FC Bayern und die Juden

Zur Kontroverse um den FC Bayern

In einer neuen Veröffentlichung wird dem FC Bayern vorgeworfen, »de facto« habe er Juden »schlechter behandelt als der nationalsozialistische Unrechtsstaat in seinen Rassegesetzen«. Ein Einspruch.

Seit einigen Tagen befindet sich der von Markwart Herzog herausgege­bene Band »Die Gleichschaltung des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland« auf dem Markt. Zuvor hatte der Herausgeber kräftig die Werbetrommel gerührt und dabei seinen eigenen Beitrag in den Mittelpunkt gestellt: »Die drei ›Arierparagraphen‹ des FC Bayern München. Opportunismus und Antisemitismus in den Satzungen des bayrischen Traditionsvereins«. Auftakt der Werbekampagne war ein vierseitiger ­Artikel im Spiegel (Nr. 21/2016), in dem Herzog die Macher der FC-Bayern-Erlebniswelt (so nennt man heute Clubmuseen) des »wissenschaftlichen Dilettantismus« bezichtigte. Dieser diene dem Zweck, dem FC Bayern eine »Heldengeschichte anzudichten. »De facto« habe der Verein Juden sogar »schlechter behandelt als der nationalsozialistische Unrechtsstaat in seinen Rassengesetzen«.
Im Buch liest sich die Geschichte nun etwas anders. Vieles, was Herzog schreibt, konnte man bereits in meinem Buch »Der FC Bayern und seine Juden« und anderen Publikationen lesen. Auch Herzog muss zugeben, dass die »Arisierung« beim FC Bayern zunächst schleppend verlief, dass andere Clubs in dieser Hinsicht schneller und eifriger waren, dass der jüdische Präsident Kurt Landauer zunächst noch im Verein – auch in offizieller Funktion – tätig war, dass das Interesse an der rassistischen Erfassung der Clubmitglieder zunächst gering ausfiel et cetera. Streckenweise bekam ich den Eindruck, das eigene Buch noch einmal zu lesen. Nur dass Herzog einige Dinge auslässt, die das von ihm gezeichnete Bild des Clubs als weniger stimmig erscheinen lassen würden. So beispielsweise die vereinsinterne Kontroverse um den »Ältestenrat« (nur ein Hinweis darauf, dass er die »Club-Nachrichten« selektiv auswertet), den politisch unterlegten Generationskonflikt im Verein oder die Biographie Siegfried Herrmanns.
Nachdem man aus den Medien erfahren hat, dass der FC Bayern schlimmer als die Nazis, schlimmer als der DFB und schlimmer als der TSV 1860 München gewesen sei, liest man im Buch ein vergleichsweise nüchternes, ja fast schon kleinlautes Fazit: »Aufs Ganze gesehen unterschied sich der FC Bayern München kaum von anderen deutschen Fußballclubs.«
In der Gesamteinschätzung würden Herzog und die anderen Autoren ­inklusive mir gar nicht so weit auseinanderliegen, würde Herzog nicht ständig um eine Äußerung von mir in einem Interview auf Zeit Online kreisen, in dem ich von einer »Heldengeschichte« des FC Bayern sprach. Dies bezog sich allerdings nicht auf das Verhalten der Bayern-Vereinsführer 1933 bis 1945. Es ging um die Geschichte des jüdischen Vereinspräsidenten.
Besonders heftig wurde mit der Behauptung getrommelt, erst Markwart Herzog habe den zweiten »Arierparagraphen« beim FC Bayern entdeckt. Der Bayern-Archivar Andreas Wittner und ich hätten davon nichts gewusst oder diesen unterschlagen. Dabei kann man den Vorgang bereits dem 2012 von der FC-Bayern-Erlebniswelt erstellten Dossier »Auswertung der Clubnachrichten 1933 bis 1939 – Regelung der Zugehörigkeit Mitglieder jüdischen Glaubens im FC Bayern München in dieser Zeit« entnehmen, das auch in die zweite Auflage von »Der FC Bayern und seine Juden« Eingang fand. Die Geschichte ist typisch für Herzogs Skrupellosigkeit. Bevor sich Herzog an die Arbeit setzte, hatte er sich bei Wittner erkundigt, ob dieser etwas über »Arierparagraphen« beim FC Bayern wisse. Wittner mailte ihm die entsprechenden Seitenangaben aus meinem Buch zu. Herzog hängt sich nun daran auf, dass dort die Vermutung geäußert wird, die Jahreshauptversammlung, auf der der zweite »Arierparagraph« verabschiedet werden sollte, habe nicht stattgefunden. Damit würde ich behaupten, der zweite »Arierparagraph« sei nie verabschiedet worden. Stimmt aber nicht. Denn wenige Zeilen später ist von der »Ariererklärung« die Rede, die Bestandteil des zweiten »Arierpara­graphen« ist.
Es ist nicht der einzige Stelle, an der Herzog nicht die Wahrheit erzählt. Oder muss man von »wissenschaftlichem Dilettantismus« reden? Vier Seiten seines Aufsatzes widmen sich dem Illustrator und Bayern-Mitglied Sepp Mauder. Für Herzog ist dessen Wirken von großer Bedeutung, um seine Behauptung vom schon früh nazifizierten FC Bayern zu untermauern. Allein zwei der vier Seiten füllen zwei Illustrationen Mauders, die Herzog als antisemitisch charakterisiert. Diese Illustrationen erschienen nicht in einer Veröffentlichung des FC Bayern, sondern in der Zeitschrift Fußball. Deren Herausgeber war Eugen Seybold, und so geht es im Text auch mehr um Seybold als um Mauder. Herzog behauptet, der FC Bayern verschweige die Existenz der beiden Illustrationen. Die Illustrationen wurden aber bereits vor zwei Jahren in der Sonderausstellung »Bei den Rothosen – Der Sport­illustrator Sepp Mauder und sein FC Bayern« (August/September 2014) präsentiert und kritisch beleuchtet. Ausrichter der Ausstellung waren die FC-Bayern-Erlebniswelt und die Schwabinger Galerie Truk Tschechtarow.
Was Herzog in seinem Aufsatz weitgehend ausschaltet, ist die Welt jenseits von Satzungen, Paragraphen und »Vereinsführern«. Ein Defizit, das er selbst im Titel seines Beitrags einräumt: »Opportunismus und Antisemitismus in den Satzungen des bay­rischen Traditionsvereins« (Hervorhebung von mir). Wer den FC Bayern nur auf Satzungsänderungen etcetera reduziert, anstatt sich der komplexen Gesamtheit des Clubs zu widmen, kann nicht wirklich verstehen, was mit dem Club in den NS-Jahren passiert. Und er kann zwei Dinge nicht erklären: Erstens, warum der FC Bayern der Münchner NS-Führung immer etwas suspekt blieb, obwohl es viele Nazis und Opportunisten im Verein gab. Zweitens, warum nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur Kurt Landauer, sondern auch weitere Juden, darunter der deutsch-jüdische Theaterintendant Kurt Horwitz und Hermann Schülein, ehemaliger Generaldirektor von »Löwenbräu«, dem Club erneut beitraten, ihm sogar ­finanziell unter die Arme griffen, und es zu einer Wiedervereinigung von Landauer mit seinen alten Kämpen kam. Wer seinen Blick auf die Welt ausschließlich aus Akten speist, aber die konkrete Realität des Alltags ­ignoriert – in München wurden bereits unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme Juden durch die Straßen getrieben, hierfür bedurfte es keiner »Arierparagraphen« –, gelangt vielleicht zwangsläufig zu der abstrusen Behauptung, der FC Bayern habe Juden sogar »schlechter behandelt als der nationalsozialistische Unrechtsstaat in seinen Rassengesetzen«.
Herzog zufolge behaupten ich und andere, der FC Bayern sei in den NS-Jahren »geradezu ein Hort des Widerstands« gewesen. Bei mir liest man: »Es ist kein offener Widerstand, der den Nazis aus dem FC Bayern (nicht seitens des FC Bayern! – Anm. d. Autors) entgegenschlägt. Mehr eine Mischung aus Lustlosigkeit und Hinhaltetaktik.« Das klingt doch etwas anders, aber das taugt nicht zur Skandalisierung.
Gemeinsam mit anderen – unter anderen Andreas Wittner, Werner Skrenty, Lorenz Pfeiffer, Eberhard Schulz und Klaus Schultz von der ­Initiative »Nie Wieder!« und einer Reihe von Fan-Initiativen – verfolge ich seit Jahren das Projekt, die aus der Geschichte des deutschen Fußballs herausgeschriebenen Juden in diese wieder hineinzuschreiben. Gerade im Falle des FC Bayern war dies alles andere als einfach, auch weil es nicht ums »Reinwaschen« ging. Dieses Projekt war erfolgreich und in den Medien präsent. Herzog hatte damit wenig zu tun. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, warum er sein neues Werk nun mit dem Mittel der Skandalisierung ins Gespräch bringt.