Die Probleme von Säkularen, Atheisten und ehemaligen Muslimen in deutschen Asylunterkünften

Asylgrund Apostasie

Atheisten und ehemalige Muslime sind in deutschen Flüchtlingsheimen oft den Schikanen ihrer religiösen Mitbewohner ausgesetzt. Doch auch die deutsche Gesellschaft hat Schwierigkeiten, sich nichtreligiöse Araber oder Iraner vorzustellen.

Gott, sagt Esmail Barzamini, habe den Menschen viel versprochen. Erlösung von den leiblichen Qualen. Vergebung für ihre Sünden. Den ewigen Frieden, wenn das Böse aus der Welt getrieben sei. »Und jetzt sind wir hier und immer noch nicht besser dran.« Barzamini stammt aus dem aserbaidschanisch geprägten Norden des Iran. Dass Gott groß sei und Mohammed sein Prophet, ist nicht nur das, was die Islamische Republik in den Schulen des Landes lehrt und täglich zur unhinterfragbaren Wahrheit erklärt. Der Islam ist auch die Religion, der Barzaminis Familie seit Generationen anhängt. Dass Barzamini irgendwann Zweifel an dem Glauben äußerte, sich in Literatur, Philosophie und Geschichte weiterbildete und schließlich Atheist wurde, brachte ihn in Konflikt mit seinen Eltern, seinen Geschwistern, seinen Verwandten. »Du weißt, dass im Koran steht, dass auf den Abfall vom Glauben die Todesstrafe steht«, hätten sie ihm gesagt.
Freiheit vom Glauben – in der Rechtsdogmatik des Islam ist sie nicht vorgesehen. Nicht nur deswegen entschloss sich Barzamini, aus dem Iran zu flüchten. Auch weil er in einer Arbeiterorganisation aktiv war, geriet er in seinem Herkunftsand unter Druck. In Deutschland, wo er seit neun Monaten in der Nähe von Köln lebt, erhoffte er sich politische und weltanschauliche Freiheit. Doch in dem Flüchtlingsheim, in dem er zurzeit wohnt, muss er sich als Atheist oft den gleichen Schikanen widersetzen, die ihm einst im Iran das Leben zur Hölle machten. »Ich habe da viele Probleme. Die meisten meiner Mitbewohner sind Muslime und manche haben verstanden, dass ich mit der Religion nichts zu tun haben möchte«, sagt Barzamini. »Andere sind Extremisten. Einmal haben sie mich bedroht und gesagt: ›Wir dürfen dich jetzt töten.‹«
Es ist unklar, wie viele der offiziell fast eine Million Migranten, die 2015 vor allem aus islamisch geprägten Herkunftsländern nach Deutschland flüchteten und auf Asyl hoffen, Agnostiker oder Atheisten sind. Auf Anfrage der Jungle World teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit, dass bekennende Glaubenslose unter den Antragsstellern statistisch nicht erfasst werden. Ebensowenig gibt es Zahlen es über diejenigen, die explizit wegen Apostasie – dem Abfall vom Glauben – in ihrem Herkunftsland verfolgt werden und deshalb Zuflucht in Deutschland suchen. Obwohl in deutschen Medien über die Bedrohung christlicher Konvertiten und anderer religiöser Minderheiten in Asylunterkünften berichtet wurde, bleiben die Probleme von Säkularen, Atheisten und ehemaligen Muslimen bislang weitgehend unbeachtet.
Dafür, dass ihre Zahl größer ist als angenommen, sprechen einige Indizien. Arabisch- oder persischsprachige Atheistengruppen auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken haben zum Teil mehrere Zehntausend Mitglieder. Dort finden sich allerdings nur diejenigen, die öffentlich ihrer Religion abgeschworen haben. Säkulares Potential zeigte zudem eine Untersuchung des Meinungsforschungsverbunds »WIN/Gallup International« aus dem Jahr 2012. Demnach bezeichneten sich etwa in Saudi-Arabien fünf Prozent der Bevölkerung als überzeugte Atheisten, 19 Prozent, fast sechs Millionen Menschen, sagten von sich, sie seien nicht religiös. 22 Prozent der Menschen in arabischen Gesellschaften äußerten in Umfragen zumindest Zweifel an ihrer Religion. In Lateinamerika und Südasien war der Anteil der religiösen Skeptiker geringer. Er lag dort bei 16 beziehungsweise 17 Prozent.
Menschen aus der sogenannten islamischen Welt sind in ihren Ansichten ganz offenbar bei weitem nicht so homogen, wie es die religiöse Doktrin vorsieht. Doch die deutsche Gesellschaft verharrt in ihrer Wahrnehmung der Geflüchteten bei den Extremklischees des morgenländischen Schläfers, der Europa islamisieren will, und des frömmelnden Neubürgers, dem man beim Willkommensfest in vorauseilendem Gehorsam weder Schweinefleisch noch Weißbier zumuten will.
»Warum werden hier alle Menschen aus islamischen Ländern als Muslime betrachtet? Ihr seid auch nicht alles Christen«, sagt Mehrad Naseri, ein 22jähriger aus den kurdischen Gebieten des Iran. Naseri arbeitete in einem Buchladen, der religionskritische und philosophische Schriften verkaufte. Das brachte den Geheimdienst gegen ihn auf. Naseri wurde stundenlang verhört und verbrachte fast einen Monat im Gefängnis. Aufgrund des wachsenden Drucks durch die Behörden entschloss er sich zur Ausreise nach Deutschland. Auch er gerät in seinem Flüchtlingsheim in Bonn mit seinen acht religiösen Mitbewohnern aus Syrien und Afghanistan in Konflikte. »Gerade zum Ramadan haben sie immer mitten in der Nacht das Fastenbrechen gefeiert, der ganze Tagesablauf richtet sich nach ihren Gebetszeiten. Als ich mich einmal bei der Heimleitung darüber beschwert habe, wurde mir gesagt, dass man doch Toleranz zeigen müsse.« Dass Atheisten und Christen in deutschen Asylunterkünften vor Islamisten Angst haben müssen, hält er für einen Skandal: Wie könne das sein, in einem rechtsstaatlichen und säkularen Land? »Ich verlange nicht viel. Nur meine Würde und meine Sicherheit«, sagt er.
Naseris Zweifel am Islam kamen ihm zum ersten Mal, als er den Koran nicht auf Arabisch, sondern auf Persisch, seiner Muttersprache, las. Der brutale Gott, der die Steinigung von Frauen und Tieren befiehlt, wurde ihm zuwider. Ebenso die Lustfeindlichkeit einer Doktrin, die sich gegen Kunst, Musik und das Biertrinken wendet. »Wenn eine Religion gegen die Freude ist, kann sie nicht richtig sein. Als junger Mensch habe ich dadurch meine beste Lebenszeit verloren«, so Naseri.
Rana Ahmad Hamad kommen diese Geschichten bekannt vor. Sie wuchs als Syrerin in Saudi-Arabien auf und musste sich den strengen wahhabitischen Regeln des Königreichs beugen. Ihre Entfremdung vom Islam vollzog sich schrittweise. »Ich wusste nichts über die Evolution oder über den Urknall.« Nach langem Zögern floh auch sie vor mehr als einem halben Jahr über die Türkei nach Deutschland. Ihre Abkehr von der Religion haben ihre Familie und Freunde ihr nie verziehen und brachen den Kontakt ab. »Als Frau steht man in einem Flüchtlingsheim mit vielen Muslimen unter besonderer Beobachtung«, sagt die 30jährige. Dass sie Atheistin ist, hat sie niemandem erzählt. Da sie sich nicht verschleierte, gab sie vor, Christin zu sein. Mittlerweile wohnt sie in Köln in einer eigenen Wohnung.
Dass dies möglich war, ist dem Zentralrat der Ex-Muslime zu verdanken. Die Organisation, die sich als Interessenvertretung für religionsfreie Menschen in Deutschland versteht, die früher Muslime waren oder aus einem islamisch geprägten Land stammen, hilft atheistischen Flüchtlinge bei der Wohnungssuche und bei ihrem Asylverfahren. Viel sei schon bewegt worden, sagt die Vorsitzende Mina Ahadi. Dass etwa die strafrechtliche Verfolgung von Apostasie in Ländern wie Iran oder Saudi-Arabien, die dort mit dem Tod bestraft werden kann, als Fluchtgrund anerkannt wurde, sei ein Verdienst des Zentralrats. »Die Behörden meinen es gut mit uns«, sagt Ahadi und verweist auf eine gestiegene Sensibilität für die Belange von Atheisten in den Asylbehörden.
Nur müsse die Politik ein Zeichen setzen. »Den ankommenden Asylsuchenden muss von Anfang klar gemacht werden, dass in Deutschland andere Gesetze herrschen als in ihren Heimatländern und in Flüchtlingsheimen niemand wegen seines Unglaubens bedroht oder verletzt werden darf«, so Ahadi. Nicht zuletzt böten atheistische Flüchtlinge auch eine Chance, anders über Integrationspolitik nachzudenken – und in den Neuankömmlingen nicht automatisch Muslime zu sehen. »Diese modernen und säkularen Menschen können Deutschland helfen. Wir haben die Chance, die Sachen zu ändern, die in der Integration falsch gelaufen sind.« Für den iranischen Atheisten Naseri heißt das vor allem, öffentlich auf religionsfreie Asylsuchende aufmerksam zu machen. »Unsere Stimmen müssen gehört werden.«