Brutal zwischen Hippies gepogt

Berlin Beatet Bestes. Folge 350. Dance-Camp.

»Denk an deinen Frame.« »Ja, achte auf deine gerade Körperhaltung und nimm die Schultern zurück.« »Und mach kleinere Schritte und halte die Füße immer unter deinem Körper.« Gemeinsam korrigieren unsere Mitbewohner einen Anfänger, um Fehler schon früh zu vermeiden. Wie jeden Sommer bin ich mit meiner Freundin wieder im schwedischen Herräng Dance-Camp, in das Tausende Swing-Begeisterte jedes Jahr kommen, um Unterricht zu nehmen und bis morgens früh zu tanzen. In dem Haus, in dem wir mit zehn Leuten wohnen, reden wir jeden Tag über nichts anderes als Tanzen. Wir wissen viel darüber und sind, ähnlich wie Kampfsportler, stolz auf unsere Präzision.
Zum Glück ist die mit dem Paartanz verbundene Kontrolle seit den frühen sechziger Jahren aus dem allgemeinen Tanz verschwunden. Leider hat seitdem aber auch die Qualität des Solotanzes beständig abgenommen. Jungen Frauen genügt es heutzutage, im Club als erste die Tanzfläche zu betreten. Ein Bier in der Hand und die Handtasche noch umgehängt, ziehen sie die Blicke der Jungs schon auf sich, wenn sie nur ein wenig die Hüften bewegen. Rudimentäre Tanzkenntnisse besaß eine große Zahl von Tänzern zuletzt in den späten siebziger Jahren, als Discofox populär war.
Nicht zufällig trat zur gleichen Zeit einer der größten Kollektivtänze seinen Siegeszug an: der Pogo. Ich kann mich noch genau erinnern, wann ich zum ersten Mal einen Punk gesehen habe, der Pogo getanzt hat, 1980 im Freizeitheim Buxtehude bei einer Band, die sich Große Koalition nannte. Philip war riesig und sprang, da keine anderen Punks anwesend waren, allein durch die versammelte Menge von Hippies und Gymnasiasten. Es sah brutal aus und war auch brutal gemeint. Pogo war überwiegend ein Solo-Kampftanz junger Männer, die sich außerhalb des Pit von Feinden umgeben sahen. Eine Fortsetzung der täglichen Auseinandersetzungen auf der Straße und auf Demos. Dieser primitive Tanz ist seitdem nicht nennenswert komplexer geworden. Eine Unterhaltung über die Handhaltung beim Jackenzerr-Pogo habe ich jedenfalls nie gehört. Allerdings ist 30 Jahre später aus dem Solotanz ein kollektiver Kuschelpogo geworden. Die Masse, die sich beim Auf- und Niederhüpfen und Aneinanderrempeln spürt, ist mittlerweile auf keinem echten Rockkonzert mehr wegzudenken. Außer bei einem Konzert von Grönemeyer.