Das Buch des Popkritikers Hua Hsu, »A Floating Chinaman«

A Chinaman in New York

Hua Hsu ist Literaturprofessor und einer der bedeutendsten Pop­kritiker der USA. In seinem Buch »A Floating Chinaman« widmet er sich den Debatten über China in den dreißiger Jahren und porträtiert H. T. Tsiang, einen exzentrischen Proto-Beatnik.

Das Empfangspersonal des Museum of Chinese (MOCA) in America nahe der Canal Street in Manhattan wirkt überfordert. Die Tickets sind ausverkauft, es gibt eine Warteliste, ja, ein Buch könne man bekommen, da vorne sei die Warteschlange. Hua Hsu, Literaturprofessor, Popkritiker beim New Yorker und Sportenthusiast, wird aus seinem Debüt »A Floating Chinaman« lesen.
Ein paar Stufen durch das schummrig ausgeleuchtete Treppenhaus nach unten, dann betritt man einen bestuhlten Kellerraum mit niedriger Decke. Die Wände wurden mit chinesischen Lampion-Girlanden dekoriert, in der Ecke steht eine ausrangierte Telefonzelle. Auf den Stühlen haben bereits einige von Hsus Musterstudenten Platz genommen, die keinen Zweifel daran lassen, wer hier im Anschluss die ersten Fragen stellen wird. Dazwischen ein paar der verdientesten Musikjournalisten New Yorks – unter anderem Jeff Mao, Dave Tompkins, Joseph »Jazzbo« Patel vom Fader und Ed Park, Mitbegründer des Believer-Magazins, der den Abend moderiert. Hsu trägt als einziger im Raum einen Anzug und scheint erleichtert, dass sein Buch, von dem jeder hier schon viele Jahre gehört zu haben scheint, endlich erschienen ist.
In den USA schreibt derzeit kaum jemand so präzise, humorvoll und frei von Eitelkeiten über Sport und Musik wie Hua Hsu. Hsus Eltern kamen in den siebziger Jahren zum Studium in die USA, aufgewachsen ist er im Silicon Valley. »Als Kind hat mein Vater mich immer mit in den Plattenladen genommen – ich war daher der Meinung, Musik könne nicht besonders cool sein. Sport dagegen hat mich immer fasziniert. Etwa mit zwölf oder 13 Jahren habe ich Musik für mich entdeckt und gemerkt, dass es im Rap und im Sport oft um dasselbe geht. Es sind immer die gleichen Erzählungen von Hürden, die es zu überwinden gilt«, sagt er.
»A Floating Chinaman« handelt von den Zwischenkriegsjahren, als sich das Bild der US-Amerikaner von China wandelte und öffentlich über die transpazifischen Beziehungen debattiert wurde. Zu behaupten, Hsu hätte seine Leidenschaft für Musik in »A Floating Chinaman« hinter sich gelassen, wäre nicht ganz richtig. Schon in den Kapitelüberschriften begegnet man unter anderem den Talking Heads, Wire sowie Har­lems schillerndem HipHop-Wirrkopf Cam’ron.
Ursprünglich als Dissertation geplant bei dem deutschen Amerikanisten Werner Sollors und Louis Menand, ebenfalls langjähriger Autor des New Yorker, begann Hsu seine Arbeit an »A Floating Chinaman« nicht allein aus Interesse an den dreißiger Jahren. Den heute 38jährigen beschäftigte die Frage, wie aus vielen konkurrierenden Meinungen schließlich Deutungshoheit und Wissen entstehen. Immer dabei: Battle-Rap.
»Tagsüber recherchierte ich all diese Leute, die in den dreißiger Jahren starke Meinungen über China vertraten. Abends fuhr ich nach Hause und hörte die frühen 50 Cent-, G-Unit- und Dipset-Mixtapes, die Anfang des Jahrtausends angesagt waren. Sie alle hatten es so aggressiv auf andere Rapper abgesehen, dass die Rivalität sie zu besseren Künstlern machte. Im Sport herrscht das gleiche Prinzip: Michael Jordan brauchte immer einen starken Rivalen, sogar als er einsam an der Spitze stand, um sein volles Potential auszuschöpfen. Ich bemerkte, dass unter den Chinaexperten in den dreißiger Jahren, dieser Elite, die sich über die Massenkultur erhob, eine ähnliche Dynamik herrschte. Daraufhin suchte ich nach Momenten, in denen die Experten einander direkt angingen oder geradewegs dissten. Persönliche Gereiztheit scheint das Streben nach Schönheit und Wahrheit zu befördern.«
Für die Journalisten, Diplomaten und anderen Chinaexperten war bald der Begriff »China Hands« gebräuchlich. Ihnen stellt Hsu H. T. Tsiang gegenüber, den titelgebenden »Floating Chinaman«. Tsiang war ein chinesischer Proto-Beatnik, ein Schriftsteller, Schauspieler und Kommunist auf Parteilinie, der sich als Austauschstudent in den USA den Idealen proletarischer Kunst verschrieben hatte. Er interessierte sich für die Kehrseite des amerikanischen Traums und schrieb über das chinesische Leben am unteren Ende der Gesellschaft – kaum beachtet von den überwiegend weißen China Hands und mittlerweile auch literaturgeschichtlich beinahe in Vergessenheit geraten.
Für die meisten US-Amerikaner war China zwischen den beiden Weltkriegen zunächst gleichbedeutend mit den rassistischen Zerrbildern eines Charlie Chan und Fu Manchu. Der Chinese Exclusion Act von 1882 war noch immer gültig und bedeutete in der Geschichte einer »Nation of Immigrants« eine historisch einmalige Beschneidung der Einwanderungsrechte einer einzelnen Bevölkerungsgruppe. 1943, nach dem Eintritt der USA in den Krieg gegen Japan, wurde die restriktive Politik gegenüber chinesischen Arbeitern – und solchen, die dafür gehalten wurden – durch eine Quotenregelung ersetzt, aber erst 1965 vollständig aufgehoben.
Gleichzeitig wurde der Frontier-Gedanke in den dreißiger Jahren wieder aufgegriffen und die Anschauung, ein bislang unberührter chinesischer Markt könne erschlossen werden, wurde populär. 1937 prägte der Journalist und vormals in China tätige Kaufmann Carl Crow mit seinem Buch »Four Hundred Million Customers« die Vorstellung einer am anderen Ende der Welt gelegenen Hoffnung für die Wirtschaft der USA, die sich gerade erst von der Großen Depression erholte. Ihre literarische Entsprechung fanden solche Erschließungsphantasien in Alice Tisdale Hobarts Roman »Öl für die Lampen Chinas« (1935), der stark von Hobarts eigener Biographie als Ehefrau eines Ölunternehmers geprägt war.
In diesem von Ignoranz und wirtschaftlichen Zukunftsspekulationen gefärbten Klima entdeckt Hsu einen Kampf der Experten um die Meinungshoheit über die transpazifischen Beziehungen. Die herausragenden Namen der Debatte waren Pearl S. Buck und Henry Luce.
Buck, Nobel- und Pulitzer-Preisträgerin, hatte mit ihrem internationalen Bestseller »Die gute Erde« (1931) die US-amerikanische Vorstellung von China geprägt wie kaum jemand vor ihr. Genau wie Buck wuchs auch Luce, der wohl einflussreichste Medienmagnat seiner Zeit und Gründer von Magazinen wie Time, Life, Fortune und Sports Illustrated, als Kind US-amerikanischer Missionare in China auf. Die persönliche Bindung zu Asien, gemischt mit abweichenden politischen Interessen machte Luce zu Bucks lebenslangem Widersacher in Sachen China-Expertise. Die persönliche Fehde gipfelte in Bucks’ Roman »Geschöpfe Gottes« (1951), dessen selbstherrliche Hauptfigur Lane unschwer als Luce zu erkennen war.
H. T. Tsiang kam 1926 in die USA, studierte zunächst an der Stanford-Universität und wechselte ein Jahr später an die Columbia nach New York. Sein überschaubares literarisches Werk beginnt 1929, nur sechs Monate nach seinen ersten Gehversuchen in englischsprachiger Lyrik, mit dem selbstverlegten Gedichtband »Poems of the Chinese Revolution«. Es folgen der Briefroman »China Red«, die Erzählungen »The Hanging on Union Square« und »And China Has Hands« sowie das propagandistische Theaterstück »China Marches On«. Der Gedichtband sticht insofern heraus, als er wohlwollend besprochen wurde und mit »Chinaman, Laundryman« ein bedeutsames Stück über die prekären Verhältnisse chinesischer Lohnarbeiter enthält.
Doch das ohnehin geringe Interesse an Tsiangs Schriften schwindet schnell. Auch für seinen ersten Roman »China Red« findet er keinen Verlag. Die positiven Rückmeldungen von Kritikern und Verlegern bezeichnen Tsiangs Prosa bestenfalls als »interessant«, unter ihnen ist Theodore Dreiser, dessen, wie sich später rausstellt, lauwarme Ermunterung aus der Feder seiner Sekretärin stammt. Tsiang fühlt sich von seinen Mitstreitern im proletarischen Kunstbetrieb hintergangen und beginnt, negative Kritiken auf die Umschläge seiner Bücher zu drucken. Ein Affront gegen die hochkulturelle Aura des Buchs, vor allem aber ein guter Gag.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Autoren in den dreißiger und vierziger Jahren ihre Bücher selbst gedruckt und per Hand verkauft haben – wie glücklose Rapper vor dem Fat-Beats-Plattenladen«, sagt Hsu und lacht. »Ich wusste nichts von dieser Art früher Underground-Ökonomie. Ich habe einige seiner Werke in Antiquariaten gefunden, aber die Original­umschläge haben gefehlt. Also habe ich ein paar Ausgaben online bestellt. Zu meiner Überraschung hatten die Originalfassungen diese ganzen negativen Besprechungen auf dem Rückumschlag. Gerade vor dem Hintergrund der vierziger Jahre fand ich das völlig verrückt.«
Tsiangs Frustration über den Literaturbetrieb treibt ihn zu immer weiteren Formexperimenten. »The Hanging on Union Square« ist eine Milieustudie: Auf den Straßen Manhattans wird die tragische Figur Mr. Nut buchstäblich vom System in den öffentlich inszenierten Selbstmord getrieben und behält trotzdem das letzte Lachen. Hier bedient Tsiang sich zum ersten Mal einer Methode, die in der postmodernen Metafiktion zum Standardwerkzeug gehört – er macht sich selbst zur komischen Nebenfigur und nervt als manischer Autor Passanten mit seinen selbstgedruckten Romanen. Hsu vergleicht »The Hanging on Union Square« mit den schwerer zugänglichen Werken John Coltranes, deren Finesse sich erst bei eingehender Beschäftigung erschließt.
Der Kritiker und langjährige Tsiang-Advokat Floyd Cheung beschreibt das Vorgehen Tsiangs mit dem Begriff »nalai zhuyi«, einem in der chinesischen Literatur geläufigen Prinzip, sich an allem zu bedienen, was nützlich ist. Auch »And China Has Hands«, Tsiangs zugänglichstes Werk, vermischt Prosa mit Versform und Anspielungen auf real existierende Personen. Ziel seines Spotts ist diesmal Pearl S. Buck, über die Tsiang sich zuvor bereits erhoben hatte: Sein unveröffentlichter Roman »Shanghai New­york Moscow – An Odyssey of a Chinese Coolie« sei wie »The Good Earth«, sagte er. Nur viel besser.
Dabei seien Hsu zufolge weder Tsiang noch Buck herausragende Stilisten. Bucks Erzählungen über die Mühen der chinesischen Farmer auf den Reisfeldern seien zwar nett zu lesen und entstammten sicherlich einer für damalige Verhältnisse antirassistischen Geisteshaltung, wären aber schlichtweg schwelgerisch, langweilig und aus der Zeit gefallen.
»A Floating Chinaman« bezieht seine Dynamik und seinen Humor aus Tsiangs Werk. Hsu begeht aber nicht den Fehler, den Autor zu einem vergessenen Helden der Counterculture zu stilisieren. In Hsus Rekonstruktionen ist Tsiang witzig, polemisch, ideologisch unbelehrbar und, dank seiner Missachtung literarischer Konventionen, den Zeitgenossen im Greenwich Village der zwanziger und dreißiger Jahre in einigen Aspekten voraus. Gleichermaßen wird er als zur Selbstüberschätzung neigend, paranoid und zutiefst japanfeindlich beschrieben.
Wegen seiner aufrührerischen Schriften ist Tsiang Ende der dreißiger Jahre von Abschiebung bedroht und verbringt eine Weile auf Ellis Island. Kurz nach seiner Entlassung verlässt er New York und geht nach Hollywood, um fortan als Schauspieler in Kleinstrollen sein Geld zu verdienen.
Auf der von Freunden organisierten Buchvorstellung im MOCA wurde Hsu von Ed Park als »Professor, Autor, neuerdings Vater und immer schon DJ« vorgestellt. Kein Wunder also, dass Hsu seinen bedeutendsten Recherchefund mit seinen Erfahrungen als Plattensammler vergleicht. »Es hatte etwas vom Heiligen Gral«, sagt Hsu scherzhaft. »Ich war in L.A., um Freunde zu besuchen. Im Asian American Studies Center der UCLA stieß ich durch Zufall auf den Nachlass der kürzlich verstorbenen Historikerin Josephine Fowler. Sie erforschte Aktivisten mit Migrationshintergrund, die vom FBI beschattet wurden – kistenweise Überwachungsakten verschiedener Schriftsteller aus Lateinamerika und Asien. Dort fand ich einige Dinge über Tsiang, die ich bereits kannte. Aber der Ordner war so dick, dass ich irgendwann begriff, dass dies seine vollständige FBI-Akte sein musste. Ich konnte nicht fassen, was ich vor mir hatte. Die meisten Zeugnisse seiner Zeit in Hollywood fand ich kurz darauf in der Bücherei der Oscar-Academy. Dieser Trip nach L.A. war ein echter Durchbruch.«
In »A Floating Chinaman« beschreibt Hsu den Inhalt der FBI-Akte auch als Sieg für Tsiang. Die Beamten erwiesen sich als die akribischen Leser, die Tsiang zeit seines Lebens herbeigesehnt hatte. Sie diskutierten Stil und Motive und forschten in Tsiangs Werk nach revolutionären Ideen. Am Ende kam das FBI zu dem Ergebnis, Tsiang wirke nicht grundsätzlich wie ein »schlechtes oder subversiv motiviertes Individuum«. Hinsichtlich seines politischen Gefahrenpotentials könne man sich bedenkenlos für einen Verbleib Tsiangs in den USA aussprechen. Eine tragikomische Wendung, an der Tsiang selbst wohl seine helle Freude gehabt hätte.
Hua Hsu: A Floating Chinaman. Fantasy and Failure across the Pacific. Harvard University Press, Harvard 2016, 288 Seiten, 27 Euro