Porträt

Distinktionsgemüse

Wer den italienischen Movimento 5 Stelle (M5S) nicht als rechtspopulistische Bewegung ansehen und die Hoffnung auf eine progressive Politik der Fünf-Sterne-Bewegung nicht aufgeben will, verweist auf Chiara Appendino. Die 31jährige sympathisierte erst mit der linken Partei SEL, schloss sich dann aber dem M5S an und gewann im Juni die Turiner Kommunalwahlen. Vorige Woche hat die neue Bürgermeisterin Turins ihr Programm vorgestellt und einen kulinarischen Schwerpunkt gesetzt: Fundamentales Anliegen der Stadt werde es sein, die vegane und vegetarische Ernährung zu fördern, um die Umwelt und die Gesundheit zu schützen und eine »Kultur des Respekts« zu verbreiten. Ähnlich dem autofreien Sonntag soll die Bürgerschaft eingeladen werden, einen Tag in der Woche kein Fleisch zu konsumieren. Regionale Fleischerei- und Zuchtunternehmen deuteten die Ankündigung als »Kriegserklärung«, sie hatten bereits im Mai gegen die »vegetarische Mode« mit einer öffentlichen Grilldemonstration zum »Aufstand der Koteletts« gerufen. In den sozialen Netzwerken wurde Appendinos Initiative ironisch kommentiert. Die italienische Esskultur ist Klischee und Markenzeichen zugleich.
Appendino hat Ökonomie studiert, sie weiß um die Bedeutung des Agrar- und Nahrungsmittelsektors und kennt den Standortvorteil Turins: In der ehemaligen Autostadt geht es schon lange um »gutes, sauberes und faires« Essen. Carlo Petrini gründete 1986 südlich von Turin die Slow-Food-Bewegung. Inzwischen hat sich diese globalisiert und richtet in der Stadt regelmäßig große Fachmessen aus. Oscar Farinetti eröffnete seine erste »Eataly«-Filiale 2007 in Turin. Das Esskaufhaus für mediterrane Küche hat sich zu einer internationalen Kette entwickelt und zum Partyservice für die Demokratische Partei. Für den M5S ist die Promotion der veganen und vegetarischen Küche deshalb auch ein medienwirksames Distinktionsmerkmal. Gleichzeitig ist der Veggie-Day pure Symbolpolitik. Die Wählerschaft des M5S muss nicht fürchten, künftig auf das Gourmetfleisch der Piemonteser Fassona-Rinder verzichten zu müssen. Beppe Grillo, der selbsternannte »Garant« der Bewegung, hat sich in seinem Blog als »Fleischfresser« geoutet: »Ich fühle mich nicht schuldig. Fleisch essen gehört zu meiner Natur.«