Susanne Schröters Buch »Gott näher als der eigenen Halsschlagader« über fromme Muslime in Deutschland

Mann, Frau, Islam

Vier Jahre lang hat die Ethnologin Susanne Schröter über 100 deutsche Muslime nach ihrem Religionsverständnis befragt.

Wiesbaden hat ein eher verstaubtes Image als ehemalige Kurstadt, in der Beamte und Rentner den Ton angeben. Doch als Kommune des Rhein-Main-Gebiets hat die hessische Landeshauptstadt bereits seit Jahrzehnten einen vergleichsweise hohen Migrantenanteil. Eine »Türkenstraße« gab es hier schon in den siebziger Jahren und mit dem Abschluss einer Integrationsvereinbarung zwischen der Stadt und den muslimischen Gemeinden hat Wiesbaden vor ein paar Jahren sogar kommunalpolitisch etwas Neues probiert. Die im nahen Frankfurt lehrende Ethnologin Susanne Schröter, die an der Goethe-Universität das Forschungszentrum »Globaler Islam« leitet und es zu einer Art Think Tank zu Fragen der Integration von Muslimen ausbaut, hat drei Jahre lang Moscheen in Wiesbaden besucht und dort mit den Gläubigen Gespräche geführt. Mit der ethnologischen Methode der »dichten Beschreibung« – einer Wiedergabe zentraler Gesprächsinhalte und der genauen Beschreibung der Gesprächssituation und der Räumlichkeiten – sucht sie in ihrem im Campus-Verlag erschienenen Buch »Gott näher als der eigenen Halsschlagader« Einblicke in das Milieu sich selbst als »fromm« definierender Muslime zu gewinnen. Dabei sind es vor allem die Gespräche mit Musliminnen, die im Vordergrund stehen und auch das interessanteste Material liefern. Schröter wendet sich damit einer Bevölkerungsgruppe zu, über deren Sicht auf das Leben und auf ihre Religion vergleichsweise wenig bekannt ist. Es geht nur am Rande um die medienwirksamen salafistischen Eiferer mit ihren Zottelbärten, die sich kaum zufällig Schröters Kommunikationsversuchen beharrlich widersetzt haben. Die Frank­furter Ethnologin hat eher mit unauffälligen, durchschnittlichen, sich selbst aber ausdrücklich als religiös definierenden Muslimen und Musliminnen gesprochen.
Das Ergebnis ihrer Befragungen ist mehr als zwiespältig, geht es doch vor allem immer um die Geschlechtertrennung und ihre alltagspraktischen Konsequenzen: von der »korrekten« islamischen Kleidung bis zum Umgang der Ehepartner miteinander. Laut Schröter beantworten gläubige Musliminnen in Deutschland die Frage nach einem kontroversen Koranvers zum ehelichen Umgang gerne mit der Auslegung, dort sei nicht das »wirkliche Schlagen« von Ehefrauen durch ihre Männer gemeint, sondern es gehe vielmehr um ein Schlagen »wie bei einem Kind, wenn es die ganze Zeit rumläuft und nicht zuhört«. Nahezu manisch zentrieren sich die Diskussionen immer wieder um die Bedeutung des Kopftuchs, das nicht zuletzt wichtig ist, um in vielen Moscheegemeinden und im religiösen Milieu überhaupt akzeptiert zu werden, wie die Frauen deutlich machen. Daneben sind die Frauen beharrlich bemüht, ihrer Gesprächspartnerin zu erklären, warum der Islam für Frauen positiv ist. Frauen seien im Islam »Perlen«, die man eben mit einer Muschelschale schützen und behüten müsse, heißt es dann; das andere gerne angeführte Bild ist das der Frau als »Blume«.
Einige Klischees werden bei diesem genauen Zuhören widerlegt, es wird deutlich, dass die Hinwendung zur einer intensiven Religiosität von vielen Frauen als eigene Entscheidung angesehen wird. Nicht selten sind die Frauen erst im mittleren Alter religiöser geworden, oft nach der Geburt der Kinder. Mitunter kann diese neue Religiosität auch im direkten Widerspruch zu den Wünschen der Ehemänner stehen, gerade wenn es um das Tragen von Kopftüchern geht. Ebenso werden Praktiken wie die Vetternehe und arrangierte Heiraten von den Frauen verteidigt. Dabei offenbart sich eine Welt voller Widersprüche, vor allem wenn es um jüngere Frauen mit höherem Bildungsabschluss geht. Einerseits legitimieren die Angehörigen dieser Gruppe besonders beredt eine religiös begründete Geschlechtertrennung, fürchten aber andererseits um die eigenen Ausbildungs- und Berufschancen, sollten sie an einen »falschen« Ehemann geraten. Die Wahrscheinlichkeit, dann weder ein Studium vollenden zu können noch einen Beruf ergreifen zu dürfen, ist in diesem Milieu sehr hoch, zumal wenn die Ehemänner aus den Ursprungsregionen der Familie importiert werden. Insgesamt konstatieren sowohl Schröter wie ihre Gesprächspartner eine wachsende Religiosität der jüngeren Generation von Muslimen. Mitunter sind es die Töchter, die beginnen, für die Einhaltung religiöser Regeln in der Familie zu ­sorgen.
Schröters materialreiches Buch führt dem Leser ein grundsätzliches Dilemma aller Integrationsbemühungen vor Augen, das einen großen Teil intensiv gläubiger Muslime betrifft: Dem Leben in ­einer mehr oder minder bewusst säkularen westlichen Gesellschaft mit dem Ideal der Geschlechtergleichheit steht eine Auffassung des Islam entgegen, die die Geschlechter deutlich voneinander abgegrenzt wissen will. Solange für größere Gruppen von Muslimen Vorstellungen von Geschlechtertrennung als unhinterfragbarer Bezugspunkt dienen, wird es mit der Rolle des Islam – wobei hier ausschließlich interessiert, was Gläubige faktisch darunter verstehen – in westlichen Gesellschaften große Schwierigkeiten geben, ganz gleich, wie weit man den Begriff der »Integration« auch immer fassen mag. Mit ihrer empathischen Gesprächsführung gelingt es der Wissenschaftlerin, aufzuzeigen, wie stark sich die befragten Musliminnen im Berufsleben unter Druck ­gesetzt fühlen, auf eine islamische Kopfbedeckung zu verzichten.
Aber auch hier wird jenseits der Frage nach der Toleranz oder Intoleranz der deutschen Gesellschaft die Unmöglichkeit erwiesen, bestimmte religiös begründete Vorstellungen wie die strikte Trennung der Geschlechter in der Öffentlichkeit mit dem Leben in einer säkularen Gesellschaft zu vereinbaren. Etwa wenn der Wunsch nach dem Kopftuch letztlich auf Geschlechterapartheid zielt. Eine Gesprächspartnerin gibt auf Nachfrage zu, dass sie es eigentlich ablehnt, mit männlichen Kollegen zusammenzuarbeiten, dies aber notgedrungen akzeptiert. Ein weiterer Konfliktbereich ist das Verhältnis zu Nichtmuslimen. Auf völliges Unverständnis trifft die Wissenschaftlerin bei einem Vater, den sie fragt, ob er sich einen deutschen oder nichtmuslimischen Schwiegersohn vorstellen könne. Die Frage alleine wird als absurd und damit rein provokativ wahrgenommen. Oftmals wird sogar die Vorstellung, dass ein Angehöriger einen muslimischen Partner aus einem anderen Land wählt und in die Familie einbringt, als ungehörig angesehen.
Susanne Schröter hat ihr Buch mit viel Anteilnahme und Offenheit geschrieben. Und sie bemüht sich in dem kurzen, die Diskussionen um den Islam zusammenfassenden Einleitungskapitel wie in dem abschließenden Betrachtungen zur Integrationspolitik am Beispiel Wiesbadens sehr deutlich um Sachlichkeit. Ihre Sympathien liegen bei den befragten jungen Frauen, die versuchen, mit ihrem Glauben, ihren Unsicherheiten und trotz familiärer wie kulturbedingter Bürden ihren Weg in einer tendenziell ablehnend empfunden Umwelt zu finden. Zu den Vorzügen des Buches gehört es, dass Schröter sich in keine politisierende Kunstsprache flüchtet und Konflikte nicht verschweigt, sondern diese präzise beschreibt. Ihr Buch ist auch ein Sieg der Realität über die oft zu beobachtende Ideologielastigkeit postkolonialer Studien, eine Absage an kulturrelativistische Schwärmerei und schematische Rassismusmodelle. Den so hippen Vorstellungen vom »Fashion Islam« steht sie deutlich distanziert gegenüber. Für ihre Gesprächspartnerinnen und deren ­Lebenswirklichkeit spielen solche vermeintlich progressiven Diskurse aus akademischen Sphären schlichtweg keine Rolle. Hier glaubt man dagegen noch in einem ganz basalen Sinn an religiöse Wahrheiten und Vorschriften.
Es ist gerade diese Herangehensweise, die die Lektüre des Buchs manchmal so niederschmetternd wirken lässt. Die Autorin zeigt einerseits die Bemühungen der gläubigen Muslime, dazuzugehören, macht aber andererseits den weiten Weg sichtbar, der bis zum Erreichen des Ziels noch zurückgelegt werden muss. Etwa wenn es um die Vorstellungen von Jugendarbeit in den muslimischen Gemeinden geht. Da werden ein paar muslimische Pfadfinder von den deutschen Stellen als große Hoffnung umworben, während die Gruppe bei strenggläubigen Muslimen Misstrauen erzeugt, ist man sich hier schließlich immer noch nicht sicher, ob Musikhören nicht gänzlich zu verdammen ist. Oder im Fall der Ahmadiyya-Gemeinde, die bereits in verschiedenen Gremien vertreten ist und eine beachtliche Medienpräsenz hat, allerdings in Fragen der Geschlechtertrennung nach innen kompromisslos ist, wie Schröter klar beschreibt. Sie selbst setzt die Hoffnung auf die Etablierung des Faches Islamische Theologie an deutschen Universitäten und die kommenden Generationen in Deutschland nach wissenschaftlichen Standards ausgebildeter muslimischer Religionslehrer. Dass eine aus der politischen Linken kommende Professorin ihre Hoffnung in aufgeklärte Theologie setzt, das ist wohl auch ein Zeichen der Zeit.
Susanne Schröter: »Gott näher als der eigenen Halsschlagader«.
Fromme Muslime in Deutschland. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2016, 402 Seiten, 34,99 Euro