Würzburg nach der Axtattacke

Nach der Axtattacke

Nach dem vermutlich jihadistisch motivierten Anschlag von Würzburg versuchen Rassisten und Neonazis, die Attacke als Bestätigung ihres Weltbildes zu verkaufen. Es gibt aber auch Stimmen, die sich für Solidarität mit Flüchtlingen einsetzen.

»Wir lieben den Frieden« und »Sie handeln nicht in meinem Namen« steht auf den Plakaten der knapp 30 Männer, die auf dem Würzburger Marktplatz demonstrieren. Es sind Asylsuchende aus Syrien und sie wollen damit ein Zeichen setzen gegen den jihadistischen Anschlag in einem Regionalzug bei Würzburg. Sie wollen sich distanzieren.
Das war am Mittwoch vergangener Woche. Zwei Tage zuvor hatte der zunächst als 17jähriger Flüchtling aus ­Afghanistan beschriebene Angreifer namens Riaz A. mit einem Beil und ­einem Messer insgesamt fünf Menschen verletzt, vier davon schwer, ehe Polizisten ihn erschossen. Ermittler ­bezweifelten später Namen, Alter und Herkunft des Täters. Am Tag nach der Tat veröffentlichte der »Islamische Staat« (IS) über seine Nachrichtenagentur Amaq ein Bekennervideo des Mannes.
»Die geflüchteten Jugendlichen hier sind natürlich schockiert und betroffen«, berichtet ein Mitglied des »Helferkreises für Flüchtlinge in Ochsenfurt« im Gespräch mit der Jungle World. Ochsenfurt ist ein kleiner Nachbarort von Würzburg, in dem auch der Attentäter bis Anfang Juli untergebracht war. Die Jugendlichen aus seinem Umfeld betrachteten ihn als ihren Freund. Von einer islamistischen »Radikalisierung« hätten sie nichts bemerkt. Vielmehr sei er ein »ruhiger, stiller Schüler« gewesen, so auch die einhellige Meinung unter den Lehrerinnen und Helfern.
Trotz des Schocks wollen die Flüchtlingshelfer wie auch die städtischen Politiker weiter am »Ziel der Integration« arbeiten. Diese Absicht habe bereits zu einer erheblichen Zunahme anonymer Drohbriefe und Anfeindungen geführt, sagte ein Helfer, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will, der Jungle World. Die feindselige Stimmung gegen Asylsuchende schlug in sozialen Netzwerken hohe Wellen, bereits während der Anschlag noch in Gange war. Neben allerlei unwahren Behauptungen und Geschichten über den Tathergang fielen vor allem ras­sistische Bemerkungen über Muslime und Geflüchtete auf. Die Organisation »Helferkreis für Flüchtlinge in Ochsenfurt« ruft deshalb dazu auf, sich an die »Seite der vielen Geflüchteten« zu stellen, die Angst vor Verallgemeinerungen und Konsequenzen hätten, »die manche in unserer Gesellschaft nun aus dem Geschehenen ziehen«.
Einen differenzierten und dezidiert solidarischen Standpunkt versuchte die Gruppe »Flüchtlingssolidarität Würzburg« einen Tag nach dem Anschlag zu vertreten. Rund 40 Antifaschistinnen und Antifaschisten folgten dem Aufruf »Solidarität gegen den Terror – von ­Afghanistan bis Würzburg«. Die islamistischen Anschläge seien als »ein Krieg gegen das freie Leben, die Liebe, die Lust« zu verstehen. Es dürfe keinen »Verrat an den Betroffenen durch ein noch rigoroseres Abschieberegime« geben. Stattdessen warben die Demonstrierenden für »Solidarität mit all jenen, die seit Jahren gegen diese Barbarei ankämpfen, und explizit auch mit ­jenen, die vor der Gewalt nach Europa fliehen«. Die Gruppe forderte Prä­ventionsprogramme gegen den Islamismus in Geflüchtetenunterkünften und der Gesellschaft.
Die NPD Bayern rief am Samstag unter dem Motto »Einwanderung tötet! Der Islam gehört nicht zu Deutschland« zu einer »überparteilichen« Kund­gebung »gegen Multikulti-Terror und Asylbetrug« auf. Genau 17 Neonazis folgten dem Aufruf, darunter Sigrid Schüßler aus Aschaffenburg, ehe­malige Bundesvorsitzende des »Rings Nationaler Frauen«, und Dan Eising vom Kreisverband Nürnberg der nazistischen Kleinpartei »Die Rechte«. ­Eising polterte in seiner Rede gegen »die Zionisten und US-Imperialisten«, die den Nahen Osten »okkupiert, destabilisiert und zerstört« hätten. Bei Geflüchteten handele es sich um »Soldaten«, deren »Mittel die Vergewaltigung und der Mord« seien. Gegen Ende seiner Rede fragte er, angeblich »lediglich metaphorisch«, warum die »Häuser der Bürgermeister« in »überfremdeten Orten« nicht brennen würden. Die Gruppe versammelte sich hinter einem Transparent gegen »Antideutschen Rassismus«. Mehrfach riefen die Demonstranten zum »Widerstand gegen die Politikerkaste« auf. Es gehe um die Rettung Deutschlands, das »nach Bombennächten« von »unseren von der Front und aus den Gefangenenlagern zurückgekehrten Soldaten« aufgebaut worden sei. Diese Soldaten, so ein lokaler NPD-Kader, hätten »trotz Trauma­tisierung«, im Gegensatz zu Geflüchteten heutzutage, niemanden verge­waltigt oder ermordet. Zwischen den Reden wurde Rechtsrock gespielt. Viel lauter jedoch waren die rund 300 Gegendemonstrantinnen und -demons­tranten.
Die »Alternative für Deutschland« (AfD) schließlich folgte am Sonntag mit ihrer »Demo gegen Extremismus«. Bei den vier Rednerinnen und Rednern und auf Transparenten ging es inhaltlich in eine ähnliche Richtung wie bei der NPD, wenn auch dezenter. Als Bühne diente ein LKW mit Schildern, auf denen »Stopp Merkel« und »Gegen Extremismus jeder Art« stand – verziert mit durchgestrichenen Logos »der Antifa«, des »Islamischen Staats« sowie einem durchgestrichenen ­Hakenkreuz. Davor versammelten sich rund 60 Anhängerinnen und Anhänger der AfD. Viele waren aus Thüringen und näherer Umgebung angereist, auch Mitglieder des lokalen Pegida-Ableger waren vertreten. Dem kurzzeitigen Besuch einzelner Neonazis mit »Franken wehrt sich«-Banner setzte der gereizte AfD-Sicherheitsdienst schnell ein Ende. Einige Security-Mitarbeiter lieferten sich immer wieder Auseinandersetzungen mit Antifaschisten oder tranken Bier.
Auf der Kundgebung hieß es, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und »das Altparteienkartell« seien schuld an den Angriffen von München und Würzburg, die als »schwere Folgen einer falschen Willkommenspolitik« dargestellt wurden. Der Islam sei mit dem Grundgesetz und den »deutschen Werten« nicht zu vereinbaren, eine Einwanderung muslimischer Menschen sei wahlweise zu regulieren, zu unter­binden oder auszusetzen. Den »Deutschland-Abschaffern« müsse »das Handwerk gelegt« werden. Nicht die AfD-Anhänger sollten Angst haben, sondern die Mitglieder der Bundesregierung, so der bayerische AfD-Landesvorsitzende Petr Bystron. Sobald seine Partei mehr Einfluss haben werde, würden die heutigen Regierungsmitglieder »zur Rechenschaft« gezogen werden. Bystron rief: »Gnade euch Gott, wir werden siegen und euch zur Verantwortung ziehen.«
Doch all diese Demonstrationen waren spärlich besucht. Gleichzeitig vergnügten sich viele Menschen in der gut besuchten Würzburger Innenstadt. Am Mainufer saßen junge Leute mit Bier, die Cafés und Eisdielen liefen auf Hochbetrieb, Restaurants mit Terrasse dürften eine umsatzstarke Woche ­erlebt haben. Und vielleicht war dieses Verhalten – ob bewusst oder nicht – eine adäquate Antwort auf den Terror: den schönen Seiten des Lebens zu frönen.