Deerhoof im Gespräch über ihr neues Album »The Magic«

»Ohne Humor wären wir arbeitsunfähig«

Die ewigen Underdogs von Deerhoof haben sich für ihr jüngstes Album »The Magic« in ein verlassenes Büro in der Wüste New Mexicos zurückgezogen.

Yoko Ono, Laurie Anderson, Half Japanese, Mike Watt, Xiu Xiu, Questlove, Lightning Bolt, The Flaming Lips, Marlene Marder, Wilco, David Byrne, ­Joanna Newsom, Arto Lindsay, Busdriver … – Die Liste der Künstler, mit denen die Musiker von Deerhoof im Laufe ihrer über 20jährigen Band­geschichte zusammengearbeitet haben, ist ebenso beeindruckend wie bezeichnend. Von No Wave bis HipHop: Deerhoof stehen für das nicht Kategorisierbare, eine Offenheit gegenüber diversen musikalischen Einflüssen und Traditionen.
1994 gründeten Greg Saunier und Rob Fisk (der die Band 1999 wieder verließ) Deerhoof als improvisierendes Noise-Duo in San Francisco, nahmen das Album »Dirt Pirate Creed« und einige Singles auf, bis 1995 die Sängerin und Bassistin Satomi Matsuzaki einstieg und auf dem offiziellen Debütalbum »The Man, the King, the Girl« Popmelodien zum Lärm hinzutraten. Dieser Kontrast zieht sich durch alle Alben der Band, Deerhoof balancieren stets auf dem schmalen Grat zwischen Pop und Abgründen, in denen Noise, Punk, Neue Musik und Free Jazz miteinander verschmelzen.
Allerdings wirkt die Verknüpfung unterschiedlichster Stile niemals bemüht oder aufgesetzt, sondern verspielt und humorvoll, wenn auch vorgetragen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit, die man benötigt, um als Band über 20 Jahre durchzuhalten und dabei einerseits von der Musik zu leben und sich andererseits die DIY-Strukturen der Punk-Szene auf die Fahne zu schreiben – die letzten beiden Deerhoof-Alben sind in Deutschland auf dem geschmackssicheren Leipziger Label Altin Village & Mine erschienen.
Konzerte wie Alben von Deerhoof sind geprägt von der Lust am Experiment und der Abwechslung. Mal gewinnt die Improvisation die Oberhand und die Stimme Satomi Matsuzakis verschwindet hinter Noise-Wänden, mal steht die Suche nach dem perfekten Popsong im Vordergrund. Wie kaum eine andere Band haben Deerhoof die Nische zwischen Avantgarde und Pop nicht nur besetzt, sondern auch neu definiert. Daneben entstanden Soundtracks zu Filmen, Remixe und Albenproduktionen für gleichgesinnte Bands sowie Kompo­sitionen unter anderem für das Kronos Quartett.
Anlässlich ihrer jüngsten Veröffentlichung geben Greg Saunier (Drums / Gesang) und John Dieterich (Gitarre) Auskunft über ihre Arbeit. Die Band befindet sich derzeit auf Tour. Mal wieder.
Madonna besang in »La Isla Bonita« die Insel San Pedro. Auch ihr habt euch diesem Sehnsuchtsort 2014 mit eurem Album »La Isla Bonita« gewidmet. Für euer jüngstes Album war ein verlassenes Büro in der Wüste New Mexicos bedeutsam. Wie wichtig sind Orte für eure Musik?
Greg Saunier: Für mich sind physische Orte nicht so wichtig. Es ist absurd: Wir reisen um die Welt, bekommen aber nie wirklich etwas zu sehen. Jede Stadt sieht gleich aus: wie das Innenleben eines Rock-Clubs. Und auch der physische Aspekt unserer Musik ist eigentlich gar nicht so wichtig. In der Regel schreibe ich meine Songs eher im Kopf, statt mit ­allen in voller Lautstärke im Proberaum zu jammen. Oft proben wir komplett ohne Amps oder Drums, und es macht gar keinen großen ­Unterschied.
John Dieterich: Als wir in New Mexico aufgenommen haben, sah es fast so aus wie im alten Keller unseres Bandkollegen Ed Rodríguez oder in unserem ehemaligen Proberaum in Oak­land: ein paar Mikrophone, ein Computer und wir. Wir hatten von unserem Haus aus sogar einen wirklich schönen Blick auf die Berge.
Sieben Tage habt ihr gebraucht, um »The Magic« aufzunehmen. Was war der magischste Moment?
J. D.: Am magischsten ist vermutlich der Song »Patrasche«, denn man hört gleichzeitig den Moment, in dem er komponiert und aufgenommen wurde. Allen anderen Songs lässt sich immer noch anmerken, dass sie einen Produktionsprozess durchlaufen ­haben. Aber dieser Song hört sich an wie ein Blick in die Welt unserer Bandkollegin Satomi, als hätte sie sich unter einer Decke versteckt und wir dürften zuhören, was sie dort tut.
Wie sind die anderen Songs auf »The Magic« entstanden? Habt ihr improvisiert, systematisch gearbeitet oder Ideen zusammengeschmissen?
G. S.: Jeder Song hat seine eigene ­Geschichte. Wir arbeiten tatsächlich als vier Komponisten zusammen, die sich gegenseitig ihre Ideen vorstellen. Wenn alle das Gefühl haben, ­einen Song zu hören, den wir gemeinsam spielen könnten, versuchen wir es. Im Laufe der Zeit können sich Songs stark verändern – es gibt da nicht wirklich ein System. Bei Deerhoof gibt es nur Konsensentscheidungen, genauso teilen wir unsere Einkünfte exakt zu gleichen Teilen auf. Apropos »Patrasche«: Das war ursprünglich ein Demo, das Satomi vor ein paar Jahren auf ihrem Handy aufgenommen hat. Ich habe es als Anhang einer alten E-Mail wiedergefunden und fand es berührend genau so, wie es war.
J. D.: Jeder von uns hatte viel zu viele Songs geschrieben, wir hatten also eine ganze Menge Material zur Auswahl. Als wir in Albuquerque waren, hatten wir Entwürfe für fast 50 Lieder und wir haben uns einen Tag genommen, sind sie alle durchgegangen und haben bei jedem einzelnen entschieden, ob es sich für uns alle richtig anfühlt. Als wir dann eine Auswahl getroffen hatten, sind wir ins Studio und haben uns dort wiederum einen nach dem anderen vorgenommen. Die Songs selbst waren großteils fertig, wir haben nur noch ein wenig mit Sounds und der Form gespielt, zwischen Bissen von Frühstücks-Burritos und Ausflügen auf die Gipfel der Sandia Mountains.
»The Magic« klingt, als hättet ihr euch vom Druck befreit, ein Album nach dem anderen aufnehmen zu müssen …
G. S.: Eigentlich übt niemand auf uns Druck aus, Alben zu produzieren. Im Gegenteil, die Label bitten uns manchmal, eher etwas langsamer zu machen. Aber wir lieben es, zusammen Platten aufzunehmen, und wir müssen auf Tour gehen, um zu überleben.
J. D.: Wir betrachten jedes Album als neues künstlerisches Projekt. Zur Entstehung eines Albums gehört jedes Mal ein Reflexionsprozess: Wo standen wir, wo wollen wir hin? Das ist das Komplizierte daran, ein ­Album zu machen: Man redet und streitet, manchmal versuchen wir Hunderte Stunden lang herauszufinden, was wir Besonderes oder Einzigartiges zu sagen haben. Wenn wir dann alle tatsächlich zusammen in einem Raum sind und Musik machen, ist der schwierige Teil überstanden, es macht Spaß und fühlt sich leicht an. Am anstrengendsten ist es, vorher herauszufinden, warum man überhaupt noch ein Album produzieren will.
Charakteristisch für Deerhoof ist, dass unter den schönen Melodien eine eigene Welt an Referenzen versteckt ist, verschiedenste musikalische Traditionen aufeinandertreffen, von Punk und Hardcore über Noise und Jazz bis hin zu klassischer Avantgarde. In welchen Traditionen seht ihr eure Band?
G. S.: Wir pflegen einige Traditionen, aber das sind weniger musikalische Kategorien. Da geht es mehr darum, wie wir zusammenspielen, was auf der Bühne passiert. Wer das Auto fährt und wer die Hotels bucht. Wer Kombucha trinkt und wer Tee.
J. D.: Wir ziehen aus allen erwähnten Traditionen Inspiration, auf sehr ­unterschiedliche Weise. Sogar in einem einzelnen Song können viele verschiedene Ideen versteckt sein, die man nicht unbedingt hört, die aber in der Musik verborgen sind. Ed ist stark inspiriert von westafrikanischem Drumming und liest viel über Polyrhythmik, also experimentiert er zum Beispiel mit seiner Gitarre viel mit diesen Ideen. Was man am Ende hört, ist dann aber ein verdammt cooler Gitarren-Part, der nicht zwangsläufig an westafrikanische Musik erinnert, weil er sich nicht bei einem bestimmten Instrument, Harmonien oder Melodien bedient, sondern eher von einer besonderen Herangehensweise an die Rhythmik geprägt ist. Während sich in solchen Fällen musikalische Einflüsse noch relativ klar benennen lassen, ist es meistens schwieriger, die Verweise und geborgten Ideen isoliert zu betrachten.
Humor scheint ebenfalls ein wichtiger Aspekt bei Deerhoof zu sein, sowohl musikalisch als auch textlich. Welche Bedeutung hat Albernheit für eure Musik?
G. S.: Es ist eine grausame Welt. Ohne Humor wären wir arbeitsunfähig.
J. D.: Wir haben viel Spaß, wenn wir zusammen spielen, aber das bringt ja noch nicht zwangsläufig Humor in die Musik. Wir versuchen, sensibel für die lustigen Momente zu sein, für kleine Unfälle, die etwas Humorvolles in den Arbeitsprozess bringen. Es ist heutzutage sehr einfach, die eigene Persönlichkeit aus den Performances rauszuhalten. Aber es ist eben lustiger, bestimmte Eigenheiten zu übertreiben. Vielleicht sind Songs lediglich ein Vehikel, um zu zeigen, wer man ist oder wie man die Welt gern hätte.
Eure Alben wirken wie sehr geschlossene Werke. Wie geht ihr mit dem nachlassenden Interesse am Album als Kunstwerk um?
G. S.: Mein persönliches Interesse an einem Album als Kunstwerk lässt keineswegs nach. Vielmehr wächst es immer weiter.
J. D.: Es stimmt schon, wir setzen voraus, dass unsere Alben auch als ­Alben gehört werden. Aber manche wollen nur einen ganz bestimmten Song. Das ist alles völlig in Ordnung. Wir sind froh, wenn überhaupt jemand unsere Musik hört.

Deerhoof: The Magic (Altin Village & Mine)