Das neue Integrationsgesetz sieht 80-Cent-Jobs für Flüchtlinge vor

Arbeitszwang für Flüchtlinge

Mit dem kürzlich verabschiedeten Integrationsgesetz werden auch 100 000 neue Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge geschaffen. Statt einem Euro sollen Asylsuchende aber nur 80 Cent bekommen. Wer ablehnt, wird bestraft.

»Deutschland kann das«, heißt eine offizielle Website der Bundesregierung. »Integration, die allen hilft«, verspricht die Informationsseite. Eingelöst werden soll dieses Versprechen durch das von Bundestag und Bundesrat Mitte Juli verabschiedete Integrationsgesetz. Ziel des Gesetzes ist der Bundesregierung zufolge unter anderem, die Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
Das Gesetz war auf heftige Kritik aus den Oppositionsparteien und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gestoßen. Denn statt auf Qualifizierung und Ausbildung setzt die Bundesregierung auf ein Instrument, mit dem bereits Hartz-IV-Empfänger gegängelt werden. Ab 1. August sollen 100 000 zusätzliche sogenannte Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung geschaffen werden. Die Betroffenen erhalten keinen Arbeitslohn, sondern lediglich die Aufwandsentschädigung. Anders als bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs sollen Flüchtlinge allerdings nur 8o Cent pro Stunde erhalten.
Begründet wird dieser Betrag mit den geringeren Aufwendungen bei Fahrtkosten oder Arbeitskleidung, wenn die Flüchtlinge direkt in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschafts­unterkünften arbeiten. Diejenigen, die bereits bisher einer solchen Arbeit nachgehen, tun dies tatsächlich meist in den Unterkünften selbst, zum Beispiel bei der Essens- oder Kleiderausgabe. Künftig sollen jedoch nur noch 25 Prozent der Billigjobs in den Unterkünften entstehen. Für Brigitte Pothmer, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90 /Die Grünen, ist das ein Widerspruch: »Die Begründung für die reduzierte Aufwandsentschädigung trifft also für 75 Prozent beziehungsweise 75 000 der 100 000 Plätze von vornherein gar nicht zu.«
Zwar können diejenigen, die höhere Ausgaben haben, mehr Geld erhalten, die Mehrausgaben müssen jedoch im Einzelnen nachgewiesen werden. Bisher erhielten Flüchtlinge ebenso wie die anderen etwa 80 000 sogenannten Ein-Euro-Jobber in Deutschland zumeist 1,05 Euro die Stunde. Die jetzt beschlossene Schlechterstellung kritisierten sowohl der deutsche Städtetag, der die 80 Cent für »unzureichend« hält und für eine Beibehaltung der bisherigen Bezahlung eintritt, als auch zahlreiche Sozialverbände. So plädiert die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, in der sich Verbände wie die Caritas oder das Deutsche Rote Kreuz zusammengeschlossen haben, »aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung« dafür, weiter 1,05 Euro an alle zu bezahlen.
Das neue Arbeitsmarktprogramm beruht wie auch andere Maßnahmen des Integrationsgesetzes keineswegs auf Freiwilligkeit. Die Bundesagentur für Arbeit darf Flüchtlinge zu »zumutbaren« Jobs verpflichten, und ebenso wie bei Integrationskursen wird eine Verweigerung mit Sanktionen bestraft. So können Betroffenen die Sozialleistungen gekürzt werden, wenn sie sich weigern, eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen. Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hält dies für nicht verfassungskonform. Das Vorhaben, die Leistungen auf das physische Existenz­minimum zu reduzieren, entspreche nicht den Vorgaben des Bundesver­fassungsgerichts zum menschenwürdigen Existenzminimum. Die neugeschaffenen Arbeitsgelegenheiten stehen zudem nicht einmal allen Asylsuchenden offen. So werden Inhaber einer aufenthaltsrechtlichen Duldung ebenso ausgeschlossen wie Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.
Kritisiert wird das Programm jedoch nicht nur wegen seines Zwangscharakters und der niedrigeren Bezahlung von Flüchtlingen. Die Nationale Armuts­konferenz, ein Zusammenschluss von Fachverbänden, Selbsthilfeorganisa­tionen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), hält das im Gesetz vorgesehene Arbeitsmarktprogramm generell für ungeeignet. Es greife zu kurz und zwinge Menschen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse, ohne ihnen eine echte Perspektive zu bieten. Die Armutskonferenz befürchtet außerdem, dass damit der Billiglohnbereich vergrößert wird.
Betrachtet man die bisherige Entwicklung im Bereich der Ein-Euro-Jobs, ist das nicht abwegig. So zeigen zahlreiche Studien, dass die Billigjobs sowohl reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängen als auch ihr vorgegebenes Ziel verfehlen, die Vermittelbarkeit von Erwerbslosen in den sogenannten ­ersten Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, kommt zu dem Schluss, dass im Zuge der Beschäftigung von Ein-Euro-Jobbern reguläre Beschäftigung in nicht zu vernachlässigendem Umfang verdrängt wird. Als eine Ursache gelten vor allem die Nichteinhaltung der Förderungsgrundsätze für Arbeitsgelegenheiten, die »wettbewerbsneutral«, »zusätzlich« und »im öffentlichen Interesse« sein müssen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Bundesrechnungshof in einem ­Bericht von April 2008. Bei zwei Drittelen der geprüften Arbeitsgelegenheiten sei mindestens eine Förderungsvoraussetzung nicht erfüllt gewesen, in acht von zehn Fällen sei die Tätigkeit nicht zusätzlich gewesen. Die Hälfte der geprüften Maßnahmen habe nicht im öffentlichen Interesse gestanden.
Eine Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsförderung aus dem Jahr 2010 zeigt, dass Erwerbslose mit einem Ein-Euro-Job nicht schneller eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden. Im Gegenteil, die Hartz-IV-Empfänger, die einem Ein-Euro-Job nachgingen, hatten nach einem Jahr sogar seltener eine reguläre Beschäftigung als vergleichbare Langzeitarbeitslose ohne Ein-Euro-Job. Ein deutliches Indiz dafür, dass die geringen Qualifikationen, die durch einen solchen Billigjob erworben werden, den Erfordernissen des »ersten Arbeitsmarktes« nicht genügen.
»Diese Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge bieten keine Qualifikationsmöglichkeiten. Sie sind auch nicht dazu geeignet, die deutsche Sprache zu erlernen«, kritisiert Pia Zimmermann, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Die Grünen, als Regierungspartei noch beteiligt an der Einführung der Ein-Euro-Jobs, sehen in der Schaffung der Billigjobs für Asylsuchende wenig Sinn und fordern stattdessen ein umfassendes Qualifizierungsprogramm. »Die Flüchtlinge wollen keine Beschäftigungstherapie. Sie wollen ­etwas lernen, und sie wollen arbeiten«, so Brigitte Pothmer. Auch der DGB steht den Plänen der Bundesregierung ablehnend gegenüber. »Für eine sta­bile Integration in den Arbeitsmarkt braucht es reguläre Arbeitsplätze und ausreichende Qualifizierungsmöglichkeiten«, sagte Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand. In einem Interview mit der Taz warnte Buntenbach davor, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen. »Anerkannte Geflüchtete sind – wie andere Arbeitnehmer mit und ohne Migrationsgeschichte – beim Zugang zu Beschäftigung gleich zu behandeln. Jede Schlechterstellung lehnen wir ab, sie dürfen nicht in Dumping-Bedingungen abgedrängt werden«, so Buntenbach. Bisherige Ein-Euro-Jobber müssen allerdings schon lange mit diesen Bedingungen zurechtkommen.