Die Großdemonstration der AKP-Anhänger in Köln

Die Stimme des Volkes

Bis zu 40 000 Erdoğan-Anhänger demonstrierten am Sonntag in Köln. Es war ein Stelldichein der deutschtürkischen Nationalisten und Islamisten. Die Menge forderte die Wiedereinführung der Todesstrafe und feierte den türkischen Präsidenten.

Die Deutzer Brücke über den Rhein macht einen Bogen, erst steigt sie an, dann verläuft sie gerade und fällt schließlich linksrheinisch wieder ab. Und so ist beim Überqueren der Brücke zunächst nur das dumpfe Dröhnen der Boxen zu hören. Kirmes, ein Konzert? Nein, auf dem Kirmesplatz an der Deutzer Werft haben sich Zehntausende Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP, der kemalistischen CHP und der ultranationalistischen MHP versammelt. Die Polizei gibt die Zahl der Demonstranten mit 30 000 bis 40 000 an.
Die Deutzer Brücke ist abgesperrt. Neben mehreren Hundertschaften der Polizei stehen dort zwei Wasserwerfer und ein Räumpanzer. Für Demonstranten, egal ob für oder gegen Erdoğan, wie auch für Anwohner ist die Brücke bis zum Abend gesperrt. Die Polizei ist nervös: Scharfschützen auf den Dächern rund um die Pro-Erdoğan-Kund­gebung, ein Spezialeinsatzkommando, das den türkischen Sportminister Akif Çağatay Kılıç bei seiner An- und Abreise zur Demonstration begleitet.
Çağatay Kılıç war der höchstrangige Redner auf dem Kirmesplatz und hatte einen Brief von seinem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mitgebracht. Der Staatspräsident selbst durfte nicht via Videoleinwand zu seinen Fans sprechen, das Bundesverfassungsgericht hatte das von der Polizei verhängte Verbot bestätigt. Çağatay Kılıç musste also Erdoğans Grüße übermitteln. Die Türkei sei nach dem Putschversuch und dessen Niederschlagung stärker als zuvor, so die Botschaft. Die Nacht des 15. Juli habe die Einheit der Nation bewiesen und diese Einheit gelte es jetzt weiter auszubauen – auch durch die Türken »fern der Heimat« in Deutschland. Die vom Sportminister verlesene Rede Erdoğans wurde von den Demonstranten bejubelt. Immer wieder besangen sie zu rhythmischer Musik den türkischen Präsidenten. Solche Hymnen gibt es für viele türkische Politiker, doch die Erdoğan-Begeisterung hat etwas Besonderes. Demonstranten trugen gerahmte Bilder ihres Präsidenten, auf vielen Plakaten wurde ihm gehuldigt. Auf einem Schild war zu lesen, er sei die »Stimme des Volkes«.
Çağatay Kılıç ist gebürtiger Siegener, aber kein geborener Redner. Viel Begeisterung kam während seiner eigenen Ansprache nicht auf. Das mag ­allerdings auch daran liegen, dass der AKP-Sportminister relativ sachlich blieb. Die doppelte Staatsbürgerschaft für Deutschtürken sei wichtig, sagte er. Deutschland solle darüber nachdenken, wie viel türkischstämmige Menschen in das Land gesteckt hätten. Bei der Abreise von der Kundgebung sei es wichtig, dass die Demonstranten ruhig blieben, um ihre »deutschen Nachbarn« nicht zu stören.
Die Menge jubelte vor allem, wenn Çağatay Kılıç »unseren Präsidenten« Erdoğan lobte oder Deutschland kritisierte. Die Bundesrepublik habe auch ein Demokratiedefizit – die NSU-Morde und das Verbot der Liveübertragung bei der Demonstration seien Beweise dafür, so der Sportminister. An das Verbot hielt man sich bei der Kundgebung übrigens nicht durchgängig. ­Gegen Mittag, als erst wenige Tausend Teilnehmer auf dem Platz waren, wurde die Rede eines türkischen Politikers übertragen. Die Polizei veranlasste ein Ende der Übertragung und wies die Veranstalter der Kundgebung darauf hin, dass weitere Verstöße gegen diese Auflage zum Abbruch der Versammlung führen könnten.
Ein ganz spezieller Redner bei der Kundgebung war Martin Lejeune. Der Hamas-Versteher war der prominenteste Deutsche auf der Bühne. Lejeunes Botschaften sind einfach: Die deutsche Öffentlichkeit, Politiker und Medien besudelten das türkische Volk mit Schmutz. Die Medien sollten endlich aufhören mit ihrer »einseitigen und tendenziösen Berichterstattung gegen die Türkei, gegen das Volk der Türkei«. Die Armenien-Resolution des Bundestages sei einzig gegen den Islam gerichtet. Und die Putschisten in der Türkei sollten eine »gerechte Strafe« bekommen.
Als viele Demonstranten riefen: »Wir wollen die Todesstrafe!«, waren sie damit auf Lejeunes Linie. Im Sommer 2014 jedenfalls befand er die öffentliche Hinrichtung von 18 angeblichen Kollaborateuren durch das Hamas-Regime im Gaza-Streifen als »ganz legal« und die finanzielle Betreuung der Hinterbliebenen als »sehr sozial«. Lejeune ist spätestens seit seiner Konversion zum Islam vor einem Monat tief ins salafistische Milieu verstrickt. Vor knapp zwei Wochen ließ er sich auf ­einer Pressekonferenz in Düsseldorf darüber aus, welch gute Arbeit der is­lamistische Hilfsverein »Ansaar International« leiste. Dieser wird unter anderem von den Verfassungsschutzbehörden in Nordrhein-Westfalen und Bayern beoachtet. Bei Lejeunes Anti-Israel-Kundgebung in Berlin am 8. Juli waren bekannte Salafisten zu Gast. Dass eine Figur wie Lejeune bei der Kund­gebung in Köln auftreten durfte, ist auch ein Beleg dafür, wie isoliert die AKP-nahe »Union Europäisch-Türkischer Demokraten« (UETD), die zu der Kundgebung aufgerufen hatte, in der deutschen Gesellschaft ist.
In der deutschtürkischen Gemeinde sieht das anders aus. So waren in Köln auch Fahnen mit dem Konterfei Atatürks zu sehen, genauso wie die drei Halbmonde der »Grauen Wölfe« und Symbole der türkisch-nationalistischen Rocker vom »Boxclub Osmanen Germania«, die ebenfalls zur Kund­gebung aufriefen. Mit Journalisten reden wollten allerdings nur wenige der Teilnehmer, viele scheinen gegenüber den Medien dieselben Ressentiments zu pflegen wie deutsche Rechte. Da ist von einer »gesteuerten Presse« die Rede und davon, dass diese »die Wahrheit« nicht schreiben dürfe.
Deutsche Rechtsextremisten waren in Köln ebenfalls auf der Straße. Die Kleinstpartei »Pro NRW« hatte zusammen mit mehreren Pegida-Ablegern zu einer Demonstration aufgerufen. Man wollte »den islamistischen Autokraten vom Bosporus stoppen« und zeigen, dass Köln »noch immer eine deutsch-christliche Domstadt ist«. Auch um diese Demonstration gab es im Vorhinein eine juristische Auseinandersetzung. Die Kölner Polizei sah die Gefahr, dass gewalttätige Hooligans sich an ihr beteiligen könnten, und wollte lediglich eine Kundgebung ohne Demonstrationszug zulassen. Das Oberverwaltungsgericht in Münster sah diese Gefahr nicht und erlaubte »Pro NRW« einen Demonstrationszug.
Die »deutsch-christliche« Herrlichkeit am Dom fiel dann allerdings erstaunlich klein aus. In einer Ecke des Bahnhofsvorplatzes trafen sich etwa 250 Rechtsextreme, drumherum hatte die Polizei ihre Fahrzeuge quer gestellt, Gitter aufgebaut und einen Wasserwerfer postiert. Jeder Teilnehmer wurde vor Beginn der Kundgebung in einem Zelt durchsucht. Dabei stellte die Polizei Quarzsandhandschuhe und die Alkoholvorräte einiger Teilnehmer sicher. Was dann folgte, war das übliche Programm bei rechtsextremen Demonstrationen. Reden über das Abendland, die »Islamisierung« und das Leid, in der »Merkel-Diktatur« leben zu müssen. Eine Demonstration folgte darauf nicht. Die Handschuhe und der Alkoholpegel einiger Neonazis reichten der Polizei, um den Weg durch die Kölner Altstadt letztlich doch zu untersagen und die Kundgebung aufzulösen. Auch der »Sitzstreik« einiger Neonazis bewog die Polizei nicht dazu, diese doch noch marschieren zu lassen. Die Rechtsextremen wurden zurück in den Hauptbahnhof gedrängt und mussten unverrichteter Dinge wieder abreisen.
Gegen die deutschen und die türkischen Rechten demonstrierten etwa 1 500 Menschen. »Köln gegen rechts« veranstaltete eine Demonstration und das aus den Nachwuchsorganisationen von SPD, FDP, Grünen und Linkspartei bestehende Bündnis »Erdowahn stoppen!« protestierte gegen die »Säuberungen« und den autoritären Kurs in der Türkei. Bis auf ein kurzes Aufeinandertreffen von linken Kurden und »Grauen Wölfen« blieb es bei beiden Aktionen ruhig.
Vor dem Kundgebungssonntag hatten Politiker noch vor einer Eskalation gewarnt. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und zahlreiche weitere Politiker riefen dazu auf, keine »innenpolitischen« Konflikte der Türkei in Köln auszutragen. Doch die Erdoğan-Anhänger blieben friedlich, die Zahl der Nazis blieb gering und die radikale Linke desinteressiert. Das wäre wahrscheinlich auch ohne Panikmache und juristisches Tauziehen so gewesen und hätte der Kundgebung der Erdoğan-Anhänger eine angemessenere Öffentlichkeit beschert. Allein in Nordrhein-Westfalen leben rund eine Million türkischstämmige Menschen – die meisten von ihnen blieben zu Hause.