Rassistische Gewalt gegen eine Familie eskaliert in Baden-Württemberg

Rassisten vor der Haustür

Im beschaulichen Weil am Rhein in Baden-Württemberg wird eine Familie seit Jahren aus rassistischen Motiven attackiert. In den vergangenen Wochen eskalierte die Situation.

Im Juni wurde die Frau niedergeschlagen. Angefangen hatte alles etwas harmloser. Es begann mit häufigen Sachbeschädigungen am Auto. Dann befanden sich Müll und Essensreste im Briefkasten. Hinzu kamen Klingelstreiche und Kot auf dem Wagen. Seit 2013 wird eine Familie in Weil am Rhein im baden-württembergischen Landkreis Lörrach terrorisiert. Auf ­Anraten der Polizei installierte sie im vergangenen Jahr eine Kamera am Auto und ermittelte so den Täter: Alle Delikte wurden von einem Nachbarn verübt, der die Familie wegen der schwarzen Hautfarbe des Vaters bereits regelmäßig rassistisch beschimpft hatte. Anfang 2016 erwirkte die Familie schließlich ein Annäherungsverbot gegen den Nachbarn, später wurde diesem auch der Mietvertrag gekündigt. Das hielt den Mann jedoch nicht davon ab, die Familie weiterhin zu beleidigen. Am 9. Juni eskalierte die Lage. Der Schwiegersohn des gekündigten Nachbarn schlug die Mutter der Familie auf offener Straße und in Anwesenheit ihres sechsjährigen Sohns krankenhausreif, sie ist für mehrere Monate krankgeschrieben. Dabei soll er gerufen haben: »Ich hole meine Kumpels von der Pegida.« Am nächsten Tag versammelten sich erstmals Rechtsextreme auf dem Platz vor dem Haus der Familie im Stadtteil Friedlingen. Über Wochen erfolgten immer wieder solche Treffen. Unter den Anwesenden waren bekannte Nazis wie der NPD-Stadtrat Andreas Boltze und Andreas W., Vorsitzender des Weiler Ortsverbands der Partei »Die Rechte«, wie unter anderem die Badische Zeitung berichtete. Trotz mehrfacher Platzverweise durch die Polizei belästigten die Rechtsextremen weiterhin die Familie. Nach der Attacke auf die Mutter organisierten Unterstützerinnen aus der Umgebung einen Begleitschutz für sie und die beiden Kinder, die sich nicht mehr allein auf die Straße trauten. Am 3. Juli erschien ein Artikel über die Situation der Familie in der lokalen Wochenzeitung Der Sonntag. Wenige Tage später sprach ein Gericht ein Annäherungsverbot für neun Personen aus der rechtsextremen Gruppe aus. Schließlich wurde auch der Gemeinderat der knapp 30 000 Einwohner zählenden Stadt tätig. Bis auf Boltze unterstützten alle Gemeinderäte eine Erklärung gegen Gewalt und für Toleranz. Zudem begann der Staatsschutz, in der Sache zu ermitteln. Auf einer Kund­gebung der »Linksjugend« solidarisierten sich etwa 50 Menschen mit der Familie. Kathrin Ganter, eine der beiden Autorinnen des ersten Presseartikels, merkt im Gespräch mit der Jungle World jedoch kritisch an: »Öffentlichkeit und Politik hätten die Chance gehabt, dieses Problem früher zu erkennen und ernst zu nehmen.« Nach dem relativ großen Presseecho beruhigte sich die Lage für die Familie etwas, die Zusammenrottungen blieben eine Woche lang aus. In der Nacht auf den 11. Juli brannte dann jedoch das Auto W.s, des Funktionärs von »Die Rechte«. Noch am Morgen versammelte sich die Gruppe wieder vor dem Haus der Familie. Auf der Facebook-Seite »Kathrin Ganter boykottieren« machte W. die Journalistin und »ihre Lügenpresse« für den Vorfall verantwortlich. Weiter schrieb er, dass er sie zur Verantwortung ziehen wolle. Dass es sich bei solchen Aussagen nicht um leere Drohungen handelt, hatten zwei Personen aus W.s Umfeld bereits einige Tage zuvor bewiesen, als sie in der Redaktion des Sonntag aufgetaucht waren. Ganter war glücklicherweise nicht anwesend. Das Problem eines starken rechts­extremen Milieus in der Region ist nicht neu. 2009 geriet Weil am Rhein schon einmal in die Schlagzeilen, als in der Wohnung von Thomas Baumann, dem damaligen Leiter des Lörracher Stützpunkts der Jungen Nationaldemokraten, 22 Kilogramm Chemikalien und Bauteile für Rohrbomben gefunden wurden. In E-Mails und Online-Foren hatte er das autonome Zentrum KTS in Freiburg und die regionale Zentrale des DGB als potentielle Anschlagsziele genannt. Auch in jüngster Vergangenheit gab es mehrere gewalttätige Vorfälle in der Region. Ende 2015 wurde in Schopfheim, ebenfalls im Landkreis Lörrach, ein Jugendlicher beim Verlassen des autonomen Jugendzentrums »Café Irrlicht« angegriffen und mit einem Schuss aus einer Gaspistole im Gesicht verletzt. Seit Jahren kommt es zu Angriffen auf Besucher und Betreiber des Zentrums, der rechtsextreme Hintergrund der Taten wird von behördlicher Seite meist ignoriert. Häufig wird in typischer Verwendung des Extremismuskonstrukts von Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen gesprochen. Diese Ignoranz hat auch den Fall der Familie in Weil am Rhein in diesem Ausmaß erst ermöglicht. Wenn beispielsweise Volker Hentschel, der Vorsitzende des Weiler Stadtteilvereins Friedlingen, sagt, von rechten Tendenzen sei bisher öffentlich nichts zu spüren gewesen, geht das an der Wirklichkeit vorbei. Die rechtsex­treme Szene in Südbaden verfügt über gute Kontakte und hat ihren Mittelpunkt derzeit in Weil am Rhein. Mit Flashmobs und Demonstrationen sind Rechtsextreme in jüngster Zeit vermehrt öffentlich aufgetreten. Dass die Vorfälle daher nicht vollkommen überraschend kamen, räumt auch Anette Huber, Hauptamtsleiterin der Stadt Weil am Rhein, ein: »Ganz aus heiterem Himmel ist das nicht passiert. Wir haben ja einen NPD-Stadtrat und im Herbst gab es mehrere Pegida-Demonstrationen. Danach war es allerdings bis zum Juni ruhig.« Mit weiteren Personen hatte W. im Herbst die Gruppe »Friedlicher Widerstand« gegründet, die sich ähnlich wie Pegida gegen die derzeitige Asylpolitik richtet. Marcel* vom of­fenen Antifa-Treffen Schopfheim, das die angegriffene Familie unterstützt, fasst die Entwicklung so zusammen: »Auf dem Platz vor dem Haus der Fa­milie trifft sich heute derselbe Personenkreis, der sich im November zum ›Friedlichen Widerstand‹ zusammengefunden hat und damals größten Wert darauf legte, ›nicht rechts‹ zu sein. Heute treten sie offen rechts und gewalttätig auf. Die Gruppe ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell solche Entwicklungen gehen können und wie unglaubwürdig der Anstrich des ›besorgten Bürgers‹ häufig ist.« Marcel kritisiert zudem das Verhalten der Stadt: »Jetzt, da es viel Aufmerksamkeit für den Fall gibt, positioniert sich der Gemeinderat gegen rechts und auch der Oberbürgermeister sagt, wie schlimm das alles sei und dass man etwas dagegen tun müsse. Als wir jedoch im November gegen Pegida auf die Straße gegangen sind, hat sich der Gemeinderat erst sehr spät geäußert, dabei dann den linken Protest kritisiert und dessen Spaltung vorangetrieben. Jetzt auf einmal hört man von der gleichen Seite, dass man zusammenstehen und etwas gegen rechts tun müsse.« Wie ernst es Weil am Rhein mit dem Bekenntnis gegen rechts ist, wird sich am 24. September zeigen. Zum »Tag der Europäischen Völker« wird unter dem Motto »Heimat, Kultur und Identität« eine Demonstration stattfinden, Treffpunkt ist der Platz vor dem Haus der Familie. Anmelder ist ausgerechnet W., der sich wegen des Annäherungsverbots überhaupt nicht dort aufhalten darf. Wie damit umzugehen sei, werde von Seiten der Stadt noch geprüft, so Huber. Es werde jedoch »nach dem ganz normalen Verfahren in einem solchen Fall vorgegangen«. Antifaschistische Gruppen aus der Region organisieren bis auf Weiteres Begleitschutz für die Familie. * Name von der Redaktion geändert.