Flucht, Terror und Panikmache. Die Flüchtlingsdebatte ist zu einer über Sicherheit geworden

Verbaler Terror

Die neu entflammte Flüchtlingsdebatte nach den Anschlägen der vergangenen Wochen hat wenig mit den aktuellen Vorkommnissen zu tun, dafür umso mehr mit Ressentiments und Ideologie.

»In unserer Nachbarschaft herrschen Terror und Krieg«, so Angela Merkel Ende Juli in ihrer Sommeransprache. Man fragt sich, wo die Bundeskanzlerin derzeit wohnt. Offenbar in der Nähe von Berlins Innensenator Frank Henkel, für den »Gewaltexzesse von Flüchtlingen« bereits »Alltag« sind. Nach den drei aufeinanderfolgenen Anschlägen in Bayern Ende Juli hat der Krieg in Deutschland Einzug gehalten, vor allem verbal. Die Terrorismusdebatte hat sich nun vollends mit der Flüchtlingsfrage vermengt.
Merkel will mit einem Neun-Punkte-Plan der Bedrohung durch Terrorismus beikommen. Ein »Frühwarnsystem« soll die Radikalisierung von Flüchtlingen rechtzeitig erkennen, dazu sollen verstärkte Überwachung, mehr Befugnisse für Geheimdienste und Bundeswehr und vereinfachte Abschiebungen für Sicherheit sorgen. Mit der Ankündigung asylrechtlicher Verschärfungen passt sie sich der Stimmung im Land an, während ihre Wiederholung des »Wir schaffen das« und die Ablehnung rechter Stimmungsmache eine klare Absage an den deutschen Mob ist, der sich zur Zeit bisher noch vor allem im Internet austobt. Nach den Anschlägen konnte man dort unter dem hashtag #merkelsommer ein weiteres Mal sehen, wie dünn die zivilisatorische Decke in Deutschland ist. Massenhaft gelikter eliminatorischer Fremdenhass, gepaart mit ekelerregendem Zynismus. Vielerorts scheint man froh zu sein, dass die eigene Panikmache vor der sogenannten Masseneinwanderung nun angeblich empirisch unterfüttert wurde. »Ist Ihnen Deutschland nun bunt genug, Frau Merkel?«, so die AfD-Vorsitzende Frauke Petry auf Twitter. Der für Vernichtungsphantasien notwendige Mangel an Empathie trifft die Opfer der Attentate ebenso. Aber im Krieg, den auch die »besonnene« Kanzlerin beschwört, hat Mitleid keinen Platz. Und wer die Feinde in diesem bisher einseitig erklärten Krieg sind, daran wird kein Zweifel gelassen. André Poggenburg, Landesvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, twitterte »Terror durch Migration«, während Frank Henkel (CDU) vom »Import völlig verrohter Personen« sprach. Sahra Wagenknecht wiederum bewies ein weiteres Mal, dass es CDU oder AfD gar nicht braucht, um die Anschläge im Sinne nationalistischer und rassistischer Erklärungsmuster zu deuten.
Die falsche Debatte
Es geht in der Debatte nicht darum, aus welchen Motiven die Täter handelten, sondern woher sie kamen. »Spiegel Online« veröffentlichte zu dem Anschlag von Ansbach einen Artikel, der sich mit den Schwierigkeiten bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber beschäftigte, so als ob dies eine Strategie gegen islamistische Gotteskrieger sein könne.
Die Realität sieht anders aus: 720 Jihadisten (und wenige Jihadistinnen) sind laut Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren ausgereist, um in Syrien und im Irak in den Heiligen Krieg zu ziehen, freiwillig. Die waren längst vor dem sogenannten Merkelsommer hierzulande ansässig, wie offenbar auch die beiden Attentäter aus Bayern. Dies entlarvt Forderungen nach schärferen Grenzkontrollen oder das Gerede von der »Sicherheitslücke Kanzleramt« (Jan Fleischhauer in seiner Kolumne »Schwarzer Kanal«, 1. August), die durch die temporäre Aufhebung der Grenzkontrollen eine Mitschuld trage, als populistisches Gerede. Auch wenn es wohl tatsächlich Teil der Taktik des »Islamischen Staats« (IS) ist, Attentäter über Flüchtlingsrouten nach Europa einzuschleusen, sind nicht die Fluchtbewegungen das Problem, sondern die Islamisten, die sich dieses Phänomen zunutze zu machen suchen. Wären die Terroristen als Touristen ins Land gekommen, würde man die Schlag­zeile »Die Attentäter waren Touristen« vergeblich suchen, ebenso wie Forderungen nach Begrenzung des Tourismus.
»Flüchtling« ist zu einer Chiffre geworden, einer mit sexualisierter Gewalt und islamistischen Terrorismus verbundenen kulturellen Zuschreibung, hinter der die Verschiedenheit und die Geschichten der Millionen In­dividuen verschwinden.
Linke und liberale Stimmen halten dem entgegen, dass die Lösung nicht Abschottung, sondern nur die Bekämpfung der globalen Probleme sein könne. Sie verweisen auf die Fluchtursachen, an denen Deutschland – sei es durch Waffenexporte oder seiner Rolle in der Weltpolitik – einen nicht geringen Anteil habe. So richtig die Aussage ist, so wenig hat sie mit den aktuellen Vorkommnissen zu tun. Stattdessen macht sie sich die falsche Debatte zu eigen und zementiert die Gleichsetzung von Flucht und terroristischer Gefahr. Denn weniger Flüchtlinge bedeutet eben nicht eine Abnahme der Gefahr islamistischer Anschläge.
Das verweist auf ein Dilemma der Debatte: Es gibt keinen wirksamen Schutz vor durchgeknallten Gotteskriegern, wie Ort und Opfer des Anschlages in Würzburg auf brutaler Weise veranschaulicht haben. In einem Regionalzug auf dem bayerischen Land mit einer Axt auf eine Urlauberfamilie aus Hongkong loszugehen, macht keinen Sinn, außer im religiösen Wahn der suizidalen Person selbst und der dahinterstehenden islamistischen Strukturen. Die Taktik des islamistischen Faschismus, durch Terror, der Gläubige wie Ungläubige gleichermaßen trifft und mit keinen konkreten Forderungen verbunden ist, möglichst viel Angst und Panik zu verbreiten, lässt sich nur bedingt rational fassen. Und sie lässt sich schwer bekämpfen, weder durch bessere Überwachung, noch durch schärfere Waffen- oder Einwanderungsgesetze, oder durch Integration, wie liberale Stimmen fordern. Zwar mag der Hinweis auf die gefährliche Mischung aus traumatischen Gewalterfahrungen vor und während der Flucht sowie Diskriminierung und Unsicherheit in Deutschland für eine psychologische Erklärung der Tat Sinn machen. Aber sie vernachlässigt den ideologischen Charakter des Islamismus, und vor allem bietet sie keine Antwort auf die konkrete Bedrohung.
Angesichts der Komplexität und Irrationalität werden die schwer nachvollziehbaren Taten in die vorhandenen Weltbilder eingepasst und als Beweis herangezogen, dass man ja schon immer recht gehabt hätte. Die Funktion der Debatte ist nicht ein gemeinsames Verstehen der Taten, sondern die kollektive Selbstbestätigung. Kultur und Herkunft werden zu Erklärungsmustern, die Ethnisierung des gesellschaftlichen Konfliktes dient als Verarbeitungsstrategie der Ohnmacht und des drohenden Orientierungsverlusts in einer bedrohlich wirkenden unbeständigen und krisenhaften Welt. Die Religion als totalitäres Identitätsangebot im islamistischen Weltbild hat eine sehr ähnliche Funktion.
Der Islamismus gehört zu Deutschland
Dass die Debatte um Flüchtlinge und Terrorismus wenig von Analysen, dafür umso mehr von Ideologie bestimmt wird, zeigt sich, wenn die Realität zu offensichtlich der eigenen Wahrnehmungsstruktur widerspricht. Als klar war, dass das Massaker in München keinen islamistischen Hintergrund hatte und der Täter sich weniger als Muslim, sondern vor allem als stolzer Arier sah, verschwand die Tat schnell hinter der aufgeregten Flüchtlingsdebatte. In der Rechten wurde »München« meist kommentarlos aus der täglich erweiterten Auflistung angeblicher Straftaten durch Flüchtlinge gestrichen, bisweilen verwies man noch trotz bayerischen Geburtsortes und deutschen Passes auf den »Migrationshintergrund« des Amokschützen. Interessanter jedoch ist die allgemeine Entpolitisierung der Tat. Der Umstand, dass der Täter Hitler und den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik bewunderte und seine Opfer ausschließlich Nichtweiße waren, war nur kurz ein Thema. Das ­Sicherheitskonzept der Bundesregierung bezieht sich ebenso wie die öffentliche Diskussion fast ausschließlich auf den »importierten« Terror, was nur Sinn macht, wenn man weiterhin die Mordserie des NSU nicht als solchen betrachtet und eben auch die Tat in München als Amoklauf eines verrückten unpolitischen Einzeltäters abtut.
Die geringe Präsenz des rechtsterroristischen Anschlages von München und der neun Todesopfer mit sogenanntem Migrationshintergrund offenbart, wie stark nationalistische Vorstellungen die Terrorismus-Debatte bestimmen. »Der beste Schutz vor Terrorismus ist, keine Terroristen ins Land zu lassen«, erklärte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU), dem eigentlich noch das neonazistische Oktoberfest-Attentat von 1980 mit 13 Toten und über 200 Verletzten in Erinnerung sein sollte. Die Antonio-Amadeu-Stiftung zählt im laufenden Jahr 93 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, fast jeden zweiten Tag eine. Dazu kommen nach Angaben des Bundeskriminalamts vier Sprengstoffanschläge und neun weitere Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz im Zusammenhang mit Angriffen auf Flüchtlinge. Wenn nun erst jetzt der »Schutz der Bevölkerung« gefordert wird, ist offensichtlich, welcher Teil der Bevölkerung damit gemeint ist.
Eine fortschrittliche Kritik an extrem rechten Ideologien – ob in Form des IS oder des bewaffneten weißen Verteidigers des Abendlandes – muss sich den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen. Auch nichtweiße Deutsche können einen völkischen Nationalismus vertreten und diesen brutal in die Tat umsetzen, wie München gezeigt hat.
Auch wenn die Attentäter von Würzburg und Ansbach jüngsten Recherchen zufolge vom IS instruiert waren, gehört eben nicht nur der Islam, sondern auch – wie die wachsende salafistische Szene ebenso wie die Hunderte ausgereisten IS-Kämpfer zeigen – der Islamismus zu Deutschland. Das ist nicht affirmativ zu verstehen, sondern als Grundlage einer Kritik, die die Re­alität der globalen Moderne anerkennt und damit auch die Tatsache, das globale Probleme stets auch die eigenen sind – und menschenverachtende Einstellungen unabhängig von Kultur und Herkunft ihrer Anhänger dort bekämpft werden müssen, wo sie auftreten.