Aus der Birkenstocksandale ist ein Modeobjekt geworden. Styleverbrechen oder Schönheit des Praktischen?

Die können was!

»Ich habe Birkis getragen.« Bekenntnisse einer Stylesünderin.

Ja, ich trage Birkenstock. Jetzt ist es raus. Bis vor kurzem musste ich mir über diese Tatsache kaum Gedanken machen. Es waren Schuhe. Manche mochten sie, andere nicht, die überwältigende Mehrheit hatte schlicht keine Meinung zu meinen Schuhen.
Nicht so heutzutage. Heute stehen diese Schuhe »für einen »Way of Life«, den wir ablehnen«, wie ich mich kürzlich von meiner Peergroup belehren lassen musste. Potzblitz! Zum Glück bin ich zu alt, um mir Vorschriften in Sachen Bekleidung machen zu lassen. Ich bin auch zu alt, um auf der Straße versehentlich für einen Hipster gehalten zu werden.
Ich persönlich trage das Modell Gizeh, in Silber, gekauft vor vielen Jahren. Der kleine Metallknopf oben auf dem Zehensteg ist mittlerweile völlig verrostet, weil ich diese Schuhe schlicht überall mit hingeschleppt habe. Sie sind mit mir in kleinen Nussschalen übers Meer gezuckelt und morgens zum Bäcker geschlurft, haben größere Mengen urbanen Feinstaub aufgenommen, mich betrunken nach Hause getragen, tropische Regengüsse mit ihrer Korksohle aufgesogen und brandenburgische Sommergewitter ausgestanden. Ein »Way of Life«, an dem es in meinen Augen nicht viel auszusetzen gibt.
Mein erster Schuhmarkenhype ist lange her, aber ich erinnere mich gut daran. Ich war vielleicht 14 Jahre alt und hatte gerade den Punk für mich entdeckt. Und ein Punkermädchen, das etwas auf sich hielt, trug damals nur einen Schuh: Dr. Martens. Pure ­Rebellion in Schuhgestalt.
Punkrock hin oder her, es waren natürlich meine Eltern, die mir, wie wohl den meisten Vierzehnjährigen, Schuhe kauften. Und die waren wenig begeistert. Um nicht eine weitere Shoppingtour zum Familiendrama ausarten zu lassen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die richtigen Schuhe in der Einkaufstüte landeten, lenkte ich also den Blick meines Vaters auf die hohe Qualität meines Kultobjektes: stabil, gesund, langlebig – grundsolides Schuhwerk für den Nachwuchs, geradezu der Bausparvertrag unter den Schuhen. Und so bekamen mein Vater und ich in nur einem Paar Schuhe, was wir beide brauchten: Fuck you und No Future für mich, Fußbett für Papa. Das Prinzip Birkenstock ist das Gleiche. Fashion für die einen, Fußbett für die anderen. Alle können in der Sandale sehen, was sie wollen.
Warum also die starke Ablehnung? »Style-Sünde!« schnappatmet die szene­interne Fashionpolizei. In Zeiten, in denen sich Vollbärte oder Schnäuzer, zu kurze weiße Plaste-Shorts und Kassengestelle aus den frühen Achtzigern hartnäckig im Straßenbild halten, ein gewagtes Argument. »Alberner Hype«, rümpfen die Möchtegern-Non-Hipster die Nasen. Und gehen zum Yoga. Das war vor ein paar Jahren auch noch Hippieshit.
So uncool man diese Schuhe finden mag, was ich unter rein ästhetischen Gesichtspunkten durchaus nachvollziehen kann, so cool finde ich, was sie können. Zum Beispiel kann man mit ihnen den ganzen Tag durch die heißen Straßen einer Stadt streifen und nachts noch feiern gehen, während andere jammernd die schmerzenden Füße hochlegen müssen. Wahrscheinlich hatten sie diese fiesen Plastik-Flip-Flops an, mit diesen Gummimöppeln, die einem die Haut zwischen den Zehen wegrubbeln, und die trotzdem alle tragen. Warum werden diese Dinger eigentlich nicht so leidenschaftlich gehasst? Ein unbequemes Billigprodukt, vermutlich nicht unter den menschenfreundlichsten Bedingungen her­gestellt und gerne mal mit Nationalflagge ­verziert, das hier für lächerlich viel Geld in den Läden steht?
Die Birkenstock-Sandale ist nicht das Problem, genauso wenig wie Yoga. Im Gegenteil, Löwenatmung und Herabschauender Hund sind bei allem Hype äußerst funktionale Übungen. Die Tatsache, dass plötzlich alle etwas toll finden, worüber früher kollektiv die Nase gerümpft wurde, macht ja die Sache an sich nicht schlechter. Es ist der Hype, der lächerlich ist, nicht der Schuh. Auch wenn sie jetzt plötzlich Birkis genannt werden, sind sie doch in erster Linie einfach praktisches Schuhwerk. Die Form folgt hier aber sowas von der Funktion. Nur jetzt eben auch in Neon. Und damit vielleicht einem Trend, na gut. Im Gegensatz zu sinnfreien Fensterglas-Brillen beispielsweise haben sich die Modeopfer doch mal etwas Sinnvolles ausgesucht.