Rechte und prorussische Propagandisten versuchen, Gegner einzuschüchtern

Die Trolle haben Ausgang

Beim Recherchebüro Correctiv, bei der Amadeu-Antonio-Stiftung und vor dem Redaktionsgebäude der Berliner Tageszeitung »Der Tages­spiegel« tauchten in den vergangenen Wochen Aktivisten der extremen Rechten und prorussische Propagandisten auf. Sie versuchen, Journalisten sowie gegen Nazis engagierte Institutionen einzuschüchtern und damit Werbung in eigener Sache zu betreiben.

Es sei die »Jüdin und ehemalige Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane«, die nun als »Facebook-Stasi« aktiv sei – die Hetze gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung und ihre Vorsitzende Anetta Kahane nimmt zuweilen antisemitische Züge an. Die nach Amadeu Antonio Kiowa, der im Herbst 1990 in Eberswalde von Neonazis ermordet wurde, benannte Stiftung setzt sich seit 1998 gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein. Zu den bekanntesten Kampagnen gehören die Portale »Mut gegen rechte Gewalt« und »no-nazi.net«. Die bundesweiten »Aktionswochen gegen Antisemitismus« gehen ebenfalls auf eine Initiative der Stiftung zurück. Auch hate speech im Netz bekämpft die Stiftung.
Gerade deswegen ist sie seit Monaten verstärkt Angriffen von rechts ausgesetzt. Sofia Vester, Pressesprecherin der Stiftung, interpretiert die Attacken als »Aufbäumen von Menschen, die etwas dagegen haben, dass deutsche Gesetze auch im Internet gelten«. In der Regel verklären die rechtsextremen Hetzer ihre Beiträge auf Facebook, Twitter oder in den Kommentarspalten von Zeitungen und anderen Medien als Kampf für die Meinungsfreiheit. Doch rassistische Postings gegen Geflüchtete, Hetze gegen Muslime oder Vergewaltigungsdrohungen hätten nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sagt Vester im Gespräch mit der Jungle World.
Die Angriffe gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung haben in den vergangenen Monaten an Intensität zugenommen. Viele der Vorwürfe wiederholen sich: Etwa der Topos von der Stiftung als Zensurbehörde, die im Auftrag des Bundesjustizministeriums oder des Verfassungsschutzes agiere und angeblich Facebook-Posts lösche. Oder die Skandalisierung Jahre alter Tweets der früheren Piratenparteipolitikerin Julia Schramm, die Mitarbeiterin der Stiftung ist (und auch für die Jungle World schreibt). Oder die Vergangenheit der Stiftungsvorsitzenden Anetta Kahane als »inoffizielle Mitarbeiterin« der DDR-Staatssicherheit. Gerade den Stasi-Vorwurf nutzen Rechtsextreme in letzter Zeit besonders gern. Dabei hatte Anetta Kahane ihre »IM«-Tätigkeit bereits in ihrer 2004 veröffentlichten Autobiographie thematisiert. 2012 bat sie bei dem Politikwissenschaftler und Stasi-Forscher Helmut Müller-Enbergs um ein Gutachten über die Zeit als »informelle Mitarbeiterin« von 1974 bis 1982. Müller-Enbergs kam dabei zu dem Schluss, dass Kahane in dieser Zeit niemandem geschadet habe.
Doch das ist den Rechten egal. Besonders die »Identitäre Bewegung« (IB) hat sich auf die Amadeu-Antonio-Stiftung eingeschossen. Im April wurde die Eingangstür der Stiftung mit Plakaten beklebt. »Hier betreten sie den Überwachungsstaat« war darauf zu lesen. In einem Flugblatt zur Aktion forderte die IB dazu auf, man solle sich »wehren«. Kurz danach tauchten auf rechtsextremen Internetseiten Fotos der Stiftungsmitarbeiter und eine Namensliste auf. Alles Weitere »ergebe sich von selbst«, wenn man die Adressen der Mitarbeiter habe – ein kaum verhüllter Aufruf an das rechte Publikum zur Gewalt. Eine weitere IB-Aktion folgte am 20. Juli. Ein Mitglied der »Identitären« klingelte bei der Stiftung, gab sich als Lehrer aus, der an Broschüren interessiert sei. Als ihm geöffnet wurde, drangen drei »Identitäre« in Uniformen der Nationalen Volksarmee in das Büro der Stiftung ein, ein weiterer filmte die Aktion. Die »Identitären« wollten Anetta Kahane »eine Urkunde für ihre besonderen Verdienste bei der Aufrechterhaltung des multikulturellen Meinungsmonopols« verleihen. Ihre Urkunde mussten sie behalten, die Männer wurden hinausgedrängt.
Durch solche Aktionen werde man »gezwungen, weniger offen zu sein« und genauer nachzusehen, wer vor der Tür stehe, ärgert sich Vester. Es gehe den rechten Kampagnebetreibern um »Rufschädigung, Einschüchterungen und eine Erschwernis der alltäglichen Arbeit«.
Mit Einschüchterungsversuchen kennt sich auch Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner aus. Am 29. Juli stand die ehemalige »Pegida«-Frontfrau Tatjana Festerling mit zehn Mitstreitern vor der Redaktion des Tagesspiegel. Festerling und ihre Kameraden demonstrierten an diesem Tag flashmobartig auch vor dem Kanzleramt, dem Reichstag und dem Brandenburger Tor. Sie riefen Parolen gegen den Islam und zwei als vermummte Terroristen verkleidete Rechte hielten Attrappen ab­geschnittener Köpfe in die Höhe. Vor der Tagesspiegel-Redaktion zeigte Festerling ein Plakat, auf dem Meisner als »Edelnutte« bezeichnet wurde. Auf Youtube nannte Festerling den Journalisten den »größten Denunzianten im Land«. Meisner wollte die Hetze gegen sich nicht aufwerten, twitterte sachlich über die Aktion und berichtete über ein Ermittlungsverfahren gegen Fest­erling wegen der Aktion vor dem Reichstag. Die Demonstrationen im dortigen »befriedeten Bezirk« hätte im Voraus vom Bundesinnenministerium genehmegt werden müssen.
Es habe eine »andere Qualität«, wenn die rechte Hetze nicht mehr ausschließlich im Internet stattfinde, sondern »vor der Haustür des Arbeitgebers«, sagt Meisner der Jungle World. Auf ihrer Website schreibt Festerling beinahe täglich über den Journalisten. »Meisner, we will watch you!«, heißt es dort oder, dass der Tagesspiegel-Redakteur eine »Klatschpappe« sei. In einem ihrer jüngsten Postings wünschte sich Festerling, dass das britisch-deutsche »Journalisten-Duo« Graham Phillips und Billy Six auch einmal im Büro von Meisner vorbeischaue.
Phillips und Six waren Anfang vergangener Woche in die Redaktion des Recherchebüros Correctiv eingedrungen und verlangten dort ein Gespräch mit Marcus Bensmann. Dieser hatte gemeinsam mit seinem Kollegen David Crawford Indizien gesammelt, die dafür sprechen, dass der malaysische Linienflug MH-17 im Juli 2014 von russischen Soldaten aus dem Separatistengebiet im Osten der Ukraine abgeschossen wurde. Die Reportage von Crawford und Bensmann gilt als stichhaltig und erhielt 2015 den renommierten Grimme-Online-Award für eine »große Rechercheleistung«.
Doch Phillips und Six scheinen ohnehin mehr an Propoganda als an Recherche interessiert zu sein. Phillips arbeitete für den russischen Sender »Russia Today« sowie für »Zvezda«, einen Kanal, der zum russischen Verteidigungsministerium gehört. In der Ukraine drehte Phillips Videos, in denen er von prorussischen Separatisten gefangene Soldaten befragte, wie viele Zivilisten sie denn getötet hätten. Six betätigte sich vor allem im Nahen Osten. Als Korrespondent der neurechten Zeiztung Junge Freiheit hofierte er den früheren libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi und bezeichnete Massaker unter dessen Herrschaft als »Märchen«. In Syrien wurde Six kurzzeitig von Assad-treuen Truppen inhaftiert. Auf Bestreben des russischen Außenministeriums wurde er wieder freigelassen.
Phillips’ und Six’ Nähe zur russischen Propaganda ist unverkennbar. Daher rührte auch ihr Interesse an der MH-17-Geschichte. In der Correctiv-Redaktion dauerte es nicht lange, bis Phillips die anwesenden Redakteure als »Lügenpresse« beschimpfte. Nur zu dritt war es schließlich möglich, ihn aus den Redaktionsräumen zu schieben. Six stand ein wenig ratlos daneben. Correctiv-Reporterin Annelie Neumann, die mithalf, Phillips aus der Redaktion zu bugsieren, berichtet der Jungle World, wie überrascht sie gewesen sei, dass »die Internet-Trolle jetzt in der Realität auftauchen«. Gerade, dass Phillips die ganze Zeit filmte, empfand Neumann als störend. In der Redaktion gebe es sensible Dokumente, diese hätten abgefilmt werden können, wenn Phillips und Six weiter in die Redaktion eingedrungen wären. Markus Grill, Correctiv-Chefredakteur, will sich aber nicht einschüchtern lassen. Man werde weiter »eine Politik der offenen Tür« betreiben und zu Lesungen und Diskussionen in die Redaktion einladen. Zugleich deutet Grill an, dass man sich bei Correctiv in Zukunft stärker mit prorussischer Propaganda auseinandersetzen werde. Der ungebetene Besuch habe da nochmal einen Anstoß gegeben, sagt er der Jungle World.
Egal, ob bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, beim Tagesspiegel oder bei Correctiv – unter dem Deckmantel des Kampfs für die »Meinungsfreiheit« versuchen rechte und verschwörungstheoretische Propagandisten, das Diskussionsklima zu vergiften. Diese Versuche verlagern sich nun zusehends aus dem Internet auf die Straße oder in die Büros von Kritikern.