Proteste gegen ein Minenprojekt in Guatemala

Widerstand ist spitze

In der Nähe der Kleinstadt San Pedro Ayampuc in Guatemala protestieren Einwohner mehrerer Gemeinden seit Jahren gegen ein Minenprojekt, da sie Umweltschäden befürchten. Die Goldmine wurde ohne die vorherige Befragung der Bevölkerung in Betrieb genommen, was dem guatemaltekischen Recht widerspricht. Der Protest der Bewegung »La Puya« zeigt nun offenbar Wirkung.

An der gelben Schranke ist das verwitterte Papier zu sehen, mit dem der Bürgermeister von San Pedro Ayampuc die Stilllegung der Mine El Tambor im Januar dieses Jahres angeordnet hat. Auch die Reste des gelben Absperrbandes hängen noch an der stabilen Metallkonstruktion, die in ihrer Halterung ruht. Doch trotz der Verordnung des Bürgermeisters und mehrerer Gerichtsurteile sei hinter der Schranke weiter Gold gefördert worden, sagt Alejandro Reyes. »Das Unternehmen hat es nie interessiert, was die Richter sagen«, ärgert sich der 50jährige mit dem markanten Cowboyhut. Die Strategie sei es, »weiterzumachen, bis die letzte Instanz ihm untersagt, hier Gold, Silber und andere Metalle zu fördern«.
»Solange werden wir hier aktiv sein«, ergänzt er. Seit dem 1. März 2012 protestieren Anwohnerinnen und Anwohner, als Widerstandsbewegung »La Puya« (»Die Spitze«) organisiert, gegen die Mine. Damals wurde in den frühen Morgenstunden schweres Gerät auf der Buckelpiste von San Pedro Ayampuc zur Mine El Tambor transportiert. »Erst da wurde uns klar, was hier ablief«, erklärt César Catalán. Der 67jährige aus dem Dorf La Choleña war damals mit dabei und erinnert sich noch genau, wie eine Frau mit ihrem Wagen den Zufahrtsweg versperrte und sich weigerte, ihn zu entfernen. So gab sie das Signal zum Widerstand. Andere Menschen kamen hinzu, die meisten aus den umliegenden Dörfern, und verhinderten schließlich mit der Blockade der Straße, dass die Baumaterialien auf das Areal der Mine transportiert werden konnten. Es war der Startschuss für die einen Tag später beschlossene Gründung des aus Holz, Planen und etwas Zement gebauten Widerstandscamps, das seither die Straße säumt, deren Abzweigung zur Mine El Tambor führt.
Unter falscher Flagge
»Die Mine hat sich hier unter Vorspiegelung falscher Tatsachen angesiedelt. Es hieß, man habe das Land gekauft, um Landwirtschaft zu betreiben, Kaffee anzubauen«, erinnert sich César Catalán. Doch es ging den Investoren nicht um Kaffeebohnen, sondern um die Gold- und Silbervorkommen, die sich zwischen den beiden Kleinstädten San Pedro Ayampuc und San José del Golfo unter der Erde befinden. Die Städte liegen nur rund 30 Kilometer nordwestlich von Guatemala-Stadt, ein großer Teil ihrer Bewohner lebt von kleinbäuerlicher Subsistenzwirtschaft – so auch Catalán und viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Die Mine El Tambor, gegen die sie sich wehren, wird vom guatemaltekischen Unternehmen Exploraciónes Mineras gemanagt. Dahinter steht allerdings das US-ame­rikanische Ingenieursbüro Kappes, Cassiday & Associates mit Sitz in Reno im Bundesstaat Nevada. Der Ingenieur Daniel William Kappes und sein guatemaltekischer Kompagnon Héctor Jacinto Medina haben das Minenprojekt ­initiiert, das für die Region wenig Gutes verheißt.
»Mit Zyaniden soll das Gold vom Gestein getrennt werden und zwei riesige Becken wurden schon angelegt«, erläutert Felicia Muralles Llamas, genannt Doña Licha. Sie ist einer der Köpfe des Widerstands von »La Puya«, war mehrmals in Guatemala-Stadt, um mit den Richtern und Anwälten zu sprechen, und genießt dank ihrer herzlichen, hilfreichen Art großen Respekt bei den Minengegnern. Eine Tränengas­granate, die vor ihrer Brust explodierte, hat sie nicht davon abhalten können, sich weiter zu engagieren, und wie so viele andere ist sie mit der gesamten Familie einmal pro Woche 24 Stunden vor Ort. Dann übernachten sie in einer der beiden Baracken, kochen in der provisorischen Küche und vertreiben sich die Zeit mit Stricken, Spielen und Vorlesen. Oder sie besteigen den bewaldeten Hügel, von dem aus man einen Blick auf die Mine hat.
In ihr wird seit Ende 2015 gefördert, sowohl im Tagebau als auch in einem Stollen, den die 70 bis 80 Arbeiter der Mine in einen der Berge getrieben ­haben. Dafür hatte das Unternehmen eine Lizenz, die vom Ministerium für Bergbau und Energie (MEM) für das Bergbauprojekt Progreso VII Derivada, so der offizielle Name, ausgestellt wurde. Allerdings wurden die betroffenen Gemeinden niemals konsultiert, wie es die von Guatemala unterzeichnete Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorschreibt. »Darauf beziehen wir uns«, erklären Reyes und Doña Licha unisono. »Wir verteidigen die Zukunft unserer Kinder, denn wenn die Mine hier 20 Jahre fördert, wird es später wie eine Mondlandschaft aussehen und alle Wasserquellen werden vergiftet sein«, befürchtet die Mutter zweier Töchter. »Wir haben jetzt schon mit Wasserproblemen zu kämpfen, die Mine könnte sie weiter verschärfen und die Kontaminierung der Quellen wäre eine Katas­trophe für uns«, schildert sie mit ruhiger Stimme die Folgen für die Subsistenzwirtschaft und häkelt dabei ein Kleidungsstück.
Es fehle an Regen, klagen die Kleinbauern, zu denen auch Doña Lichas Mann Mario del Carmen Llamas gehört. Er bewirtschaftet vier Manzanas, rund 28 000 Quadratmeter, und die Erträge sind bereits rückläufig. Im Protestcamp döst er gerade in einer Hängematte, während seine Tochter ein paar Meter weiter oben, neben dem kleinen Altar, auf der Bühne sitzt und sich mit einem der jüngeren Protestierenden unterhält.
Die pazifistische Widerstandsbewegung besteht aus rund 120 Menschen, die alle sechs Tage eine 24-Stunden-Schicht im Widerstandscamp ableisten. Manchmal sind sieben, manchmal 30 Menschen vor Ort, einige davon sind Indigene. Sie berufen sich auf das Recht zum friedlichen Widerstand und den betreiben sie ausgesprochen geschickt. »Wir sind uns einig, lassen uns nicht provozieren oder kriminalisieren«, erklärt Alejandro Reyes mit fester Stimme.
Fadenscheinige Umweltstudien
Dass die Angst der Kleinbauern vor Kontaminierung nicht von der Hand zu weisen ist, hat der US-amerikanische Hydrologe und Geochemiker Roberto Moran bestätigt. Er hat die Umweltgutachten des Unternehmens unter die Lupe genommen. Es seien die schlimmsten, die er in 42 Berufsjahren analysiert habe, sagte Moran dem guatemaltekischen Online-Magazin Plaza Pública vor rund zwei Jahren. Das hat dafür gesorgt, dass die Widerstandsbewegung »La Puya« weiteren Zulauf bekam, einige ihrer Mitglieder bezeichnen sich seitdem als Umweltschützer, so auch Julio Alvarado.
»Gold kann man nicht essen und eine gesunde Umwelt nicht ersetzen«, sagt der Sozialarbeiter, der gemeinsam mit Reyes in einem Jugendprojekt in San Pedro Ayampuc arbeitet und nur gelegentlich vor Ort ist. »Ich wohne rund 25 Kilometer entfernt und bin nur dabei, wenn es etwas Besonderes gibt oder wenn ich eine Fahrtmöglichkeit habe«, sagt der stämmige Mann mit der grauen Baseballkappe.
Am 5. und 6. Januar war er etwa dabei, als die Minengegner gemeinsam mit Vertretern aus dem Rathaus, Anwälten und Anwohnern zur Mine fuhren, um sie dichtzumachen. »Das war ein kleiner Sieg für uns. Wir sind zu einer Gräte im Schlund der Regierung geworden«, sagt der 38jährige lächelnd. Die Mine wurde damals nach dem Dekret des Bürgermeisters geschlossen, der Jubel der Minengegner war nach mehr als drei Jahren des Ausharrens und des Protests groß. Ein fehlender Bauantrag sei das Vehikel gewesen, um den Investoren die Grenzen aufzuzeigen, so Alvarado. Die Mine habe trotz einer richterlichen Verfügung vom Juli 2015, den Ausbau der Mine zu stoppen, die Arbeiten weiter forciert – ohne Bauantrag. Der Erfolg der lokalen Verantwortlichen, beraten von Anwälten aus Guatemala-Stadt, war jedoch nur vorläufig, denn rund 24 Stunden später öffneten die Anwälte des Bergbauunternehmens die Schranke wieder – nach einer einstweiligen Verfügung des Verfassungsgerichts.
Das hat Alejandro Reyes zwar geärgert, doch die höchste juristische Instanz müsse »den Fall jetzt auch endgültig klären«, sagt er. Deshalb fährt er immer wieder nach Guatemala-Stadt, um mit Richtern, Anwälten, Vertretern sozialer Organisationen und Journalisten zu sprechen. »La Puya ist längst ein international beachteter Fall. Das liegt nicht nur daran, dass wir pazifistisch agieren und von den internationalen Friedensbrigaden (PBI) begleitet werden, sondern auch daran, dass der Fall typisch ist und zum Präzedenzfall werden könnte«, so Reyes. Fälle, in denen indigene und nichtindigene Gemeinden oder soziale Organisationen nicht gefragt wurden, bevor große Bergbau- oder Infrastrukturprojekte initiiert werden, gibt es in Guatemala und anderen Ländern zuhauf. Mit der Kriminalisierung von indigenen Gemeinden und deren Wortführern habe die »Kanzlei für Menschenrechte« in Guatemala-Stadt in den vergangenen Jahren vielfach zu tun gehabt, so Michael Mörth. Der deutsche Menschenrechtsanwalt lebt und arbeitet seit rund 20 Jahren in Guatemala und ist gerade mit einem anderen Fall befasst: dem Bau eines Wasserkraftwerks im Norden Guatemalas, wo Gemeindevertreter im Gefängnis landeten, weil sie sich den Plänen der Investoren und der guatemaltekischen Regierung widersetzten. Nun wird der Fall vor Gericht verhandelt und die Chancen stehen, ähnlich wie bei »La Puya«, nicht schlecht für die Gegner des Projekts.
Erste Erfolge
Der erst im Januar vereidigte Präsident Jimmy Morales hat sich bereits im Wahlkampf für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Guatemalas stark gemacht. Die beiden Fälle von erfolgversprechendem Widerstand sind ein Problem für ihn. Denn die von hohen Offizieren und nationalkonser­vativen Potentaten dominierte Regierung steht derzeit einem Justizapparat gegenüber, der sich nicht wie früher politisch vereinnahmen lässt.
Darauf hoffen auch die Minengegner. Sie haben in den vergangenen Monaten ein zweites Protestcamp direkt vor dem Ministerium für Bergbau und Energie aufgebaut, um den zuständigen Minister daran zu erinnern, dass ein internationales Bergbauunternehmen offen gegen nationales Recht verstoße. Das Camp und das wachsende mediale Interesse haben Wirkung gezeigt, denn gleich zwei Instanzen haben in den vergangenen Monaten der Widerstandsbewegung »La Puya« recht gegeben. Zuletzt der Oberste Gerichtshof (CSJ) am 29. Juni, der jedwede Aktivität in der Mine untersagte und das Ministerium für Bergbau und Energie aufforderte, dafür zu sorgen, dass die Bergbauaktivitäten wirklich eingestellt werden. Bis vor kurzem seien nachts noch Maschinen in die Mine transportiert worden und mehrfach sei bei Tageslicht ein Hubschrauber in der mit Zäunen gesicherten Mine gelandet, so Reyes. So könnten Gold und Silber aus der Mine abtransportiert worden sein. »Nun ist es deutlich ruhiger hinter der Schranke zur Mine geworden. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht«, ergänzt er.
Erste Voraussetzung dafür wäre, dass sich das Verfassungsgericht dem Urteil des Obersten Gerichtshofs anschließt. Danach müsste die Befragung der Menschen in der Region, ob sie mit oder ohne Bergbau leben wollen, durchgeführt werden. »Doch auch dieses Votum der lokalen Bevölkerung ist nicht bindend. Das letzte Wort hat die Politik«, erklärt Rechtsanwalt Mörth die komplizierte Rechtslage. Über die haben sich natürlich auch die Mitglieder von »La Puya« informiert. Nach vier Jahren Widerstand gegen ein Bergbauprojekt, das die Zukunft ihrer Familien gefährdet, wollen sie nicht aufgeben. Sie wollen weiterkämpfen bis zur Rücknahme der Konzession.