Die Verhandlungen über die Anerkennung des deutschen Völkermords in Namibia

Eile nach der langen Weile

Vertreter der Bundesregierung und der deutsche Botschafter in Namibia wollen den Völkermord an den Herero und Nama anerkennen – aber nur ein bisschen.

Plötzlich drückt Deutschland auf die Tube: Mehr als ein Jahrhundert nach dem Ende des Völkermordes an den Herero und Nama mahnte Ruprecht Polenz einen baldigen Abschluss der Gespräche an. Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete ist seit 2015 als Sonderbeauftragter für die deutsch-namibischen Regierungsverhandlungen über den gemeinsamen Umgang mit der deutschen Kolonialvergangenheit in Namibia eingesetzt. Ins gleiche Horn stieß der deutsche Botschafter in Namibia, Christian Schlaga.
Polenz und Schlaga hatten während Polenz’ Namibia-Besuchs im Juli mitgeteilt, dass man spätestens bis zur Bundestagswahl 2017 zu einer Einigung kommen müsse. Andernfalls, so die Drohung, seien bei einem möglichen Regierungswechsel alle bis dahin erreichten Ergebnisse vom Tisch. Sie wiesen die namibische Seite auch darauf hin, dass Bundespräsident Joachim Gauck im Frühjahr kommenden Jahres aus dem Amt scheide. Die Gespräche müssten bis Ende des Jahres abgeschlossen sein, wenn seine offizielle Entschuldigung für den Völkermord bis zum Ende seiner Amtszeit im März 2017 erfolgen solle. Polenz machte zudem deutlich, dass Deutschland keine direkte Entschädigung an die Nachfahren der Opfer und Widerstandskämpfer zahlen wird.
Jahrzehntelang haben Bundestag und Bundesregierung die Auseinander­setzung mit dem Völkermord in der ehemaligen Kolonie »Deutsch-Südwest« vermieden. Das Thema war zwar immer wieder Gegenstand von Anfragen und Anträgen im Parlament, doch bis heute gibt es keine offizielle Entschuldigung und keine Anerkennung des Völkermords, geschweige denn Entschädigungszahlungen. Bei Pressekonferenzen und in Antworten auf Parlamentsanfragen gibt es seit Sommer 2015 allenfalls eine verdruckste Verwendung des Begriffs Völkermord. Die bedeutet zwar eine Abkehr von dem Standpunkt, dass die Bundesregierung die Gewalt deutscher kaiser­licher Truppen nicht als Völkermord bewerte, wie es noch 2012 in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen hieß. Gleichwohl betont die Bundesregierung nun, dass die Präambel der UN-Völkerrechtskonvention auch auf die historische Dimension des Begriffs verweise und ein Völkermord deshalb »in einer historisch-politisch geführten öffentlichen Debatte« auch in einem »nichtrechtlichen« Sinn definiert werden könne. Insofern würden keine Rechtsfolgen für Deutschland entstehen, heißt es.
Die militärische Besetzung, die Kriegsverbrechen vor allem zwischen 1904 und 1908 und speziell der Völkermord an den Herero und Nama wurden meist verharmlost und nicht beim Namen genannt. Informationen und Forschungserkenntnisse über das Vorgehen der »kaiserlichen Schutztruppe« liegen bereits seit langem vor – auch schon, bevor Namibia 1990 die Unabhängigkeit erlangte. Und erst ab diesem Zeitpunkt gab es für die betroffenen Communities überhaupt die Möglichkeit, sich in Verbänden zu organisieren und zu beginnen, die Folgen von kolonialer Eroberung, Ausbeutung, Versklavung, transgenerationeller Traumata, Apartheid und Rassismus aufzuarbeiten.
Gegen die koloniale Eroberung des südwestlichen Afrika durch das deutsche Kaiserreich ab 1883 setzten sich die Herero und zeitweise auch die Nama besonders entschlossen zur Wehr. Ihren Widerstand beantwortete Generalleutnant Lothar von Trotha mit standrechtlichen Erschießungen und den Vernichtungsbefehlen von 1904 und 1905. Nach der Schlacht am Waterberg 1904 wurden die Herero in die Omaheke-Wüste getrieben.
Am 11. August kamen dieses Jahr wieder mehrere Vertreter der Herero und Nama aus Namibia, Botswana und Südafrika zusammen, um am Jahrestag der Schlacht gemeinsam an den Widerstand und die Vertreibung zu erinnern. Selbstverständlich waren dort die deutsch-namibischen Verhandlungen Thema. Streitpunkt ist, dass die Opferverbände nicht bei den Regierungsverhandlungen vertreten sind. Das »Nama Technical Committee on Genocide« und die »OvaHerero and Ovambanderu Genocide Foundation« (OGF) fordern schon lange, an den Gesprächen beteiligt zu werden beziehungsweise eigene direkte Verhandlungen führen zu können. Sie kritisieren die Geheimverhandlungen der beiden Staaten ohne die Opferverbände und fragen sich, wie bei den bi­lateralen Gesprächen auch die Interessen der Nama und Herero in den USA, Kanada, Großbritannien, Botswana, Südafrika und in anderen Ländern berücksichtigt werden können.
Viele der flüchtenden Männer, Frauen und Kinder verdursteten damals in der Wüste. Noch heute finden sich ihre Gebeine im Geröll. Überlegungen und Maßnahmen, die Überreste würdig zu bestatten, beginnen gerade erst. Einige wenige konnten sich über die Grenze in andere europäisch besetzte Gebiete retten. Die überlebenden Herero in Namibia mussten ebenso wie gefangene Nama in – bereits damals so benannten – Konzentrationslagern Zwangsarbeit leisten; ein großer Teil von ihnen starb an Hunger und Krankheiten. Im verbleibenden Jahrzehnt deutscher Kolonialherrschaft wurden jene, die mit dem Leben davon gekommen waren, enteignet, in Reservate gesperrt, vergewaltigt und zur Arbeit gezwungen. Deutsche Unternehmen und Farmen konnten die versklavten Menschen für ihre Arbeitseinsätze in Minen, auf Weiden und an Eisenbahnlinien »bestellen«. Zu den Opfern gehörten auch Angehörige der Damara und San.
Nach jahrzehntelanger Verschleppung und Verharmlosung des Themas wundert man sich über die plötzliche Eile. Und über die Belehrung, wie der Versöhnungsprozess vonstatten gehen soll. Sie erweckt den Eindruck, dass Deutschland die Konditionen für eine Versöhnung zu diktieren versucht. Die Verlautbarung des deutschen Botschafters und des Sonder­gesandten ist inzwischen auf den öffentlichen Websites nicht mehr zu finden. Möglicherweise wurde sie entfernt, weil sie großen Unmut in Namibia erzeugt hat. Der namibische Präsident Hage Geingob entgegnete dem deutschen Sonderbeauftragten, dass es weder von »Respekt noch von der üblichen Höflichkeit« gegenüber der namibischen Seite zeuge, dieser einen Zeitplan zu diktieren, wo doch die Verhandlungen »gerade erst begonnen« hätten. Er bezeichnete den kategorischen Ausschluss von Reparationen durch die deutsche Seite als ernsthafte Gefährdung der aktuellen Verhandlungen.
Zuvor hatten sich Polenz und Geingob zu einem Gespräch getroffen. Polenz übergab Geingob ein persönliches Schreiben des deutschen Bundesprä­sidenten. Und Geingob legte ein Schreiben mit den namibischen Vorstellungen vor. Das Dokument wird Polenz zufolge bis zu seinem nächsten Namibia-Besuch im September geprüft. Bislang sei Gegenstand der Verhandlungen eine »deutsch-namibische Zukunftsstiftung« sowie Projekte der politischen Bildung und des Jugendaustauschs. Polenz erwähnte gegenüber Medien auch die Förderung weitere Infrastrukturmaßnahmen.
Der namibische Sonderbeauftragte und langjährige Botschafter Zedika Ngavirue sagte im Juni dem ZDF: »Dieses Land und seine Menschen, die Opfer, erwarten, dass der Völkermord erstens anerkannt wird und dass sich Deutschland zweitens dafür entschuldigt. Und dann wollen wir zum dritten, zum wichtigsten Punkt kommen: der Frage der Reparationen.«
Zuvor hatte der 82jährige Herero in der namibischen Zeitung New Era erläutert, dass die namibische Verfassung es nicht erlaube, das vor über 100 Jahren beschlagnahmte Land zurückzufordern. Da dies ausgeschlossen sei, müsse überlegt werden, wie das, was zerstört worden sei, für die Herero angemessen ersetzt werden könne.
Versuche in den USA lebender Herero, vor Gericht eine Entschädigung von den Deutschen Afrika-Linien, der Deutschen Bank und der Bundesre­publik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs einzuklagen, blieben bislang erfolglos. Inzwischen haben aber mehrere namibische Opferverbände, die nicht an den Regierungsverhandlungen teilnehmen, eine neue zivilrechtliche Klage vorbereitet. Sie soll beim Ständigen Schiedshof in Den Haag eingereicht werden. Dabei geht es um eine Entschädigung für den Verlust an Vieh, Land und Arbeitskraft.