Eine Frankfurter Künstlergruppe erklärt Liebesschlössern den Krieg

Erklärt eure Liebe woanders

Mit Liebesschlössern bezeugen sich Paare ihre Zuneigung. Eine Frankfurter Künstlergruppe hat nun dazu aufgerufen, die Schlösser zu entfernen.

Woher genau der Brauch kommt, ist unklar. In Europa verbreitete er sich vermutlich über Serbien und Italien – und ist vor allem in den vergangenen 20 Jahren zu einem internati­onalen Phänomen geworden. Kaum eine Großstadt kommt mehr ohne Liebesschlösser aus, die Pärchen vornehmlich an gutbesuchten, touristisch erschlossenen Orten anbringen, um ihre Zuneigung öffentlich zu bezeugen. Am häufigsten sind die kleinen Schlösser an Brückengeländern zu finden. Wegen der romantischen Aussicht und der starken Symbolik, um die es geht: Brücken stehen für Verbindungen und ein Schloss kann durchaus als Sinnbild auf Ewigkeit angelegter Treue dienen – zumindest wenn es gut verriegelt und der Schlüssel den Fluten überantwortet ist.
Besorgten sich die Liebenden anfangs ihr Schloss noch im Baumarkt, um es mit ihren Namen zu beschriften, wird der Trend längst vermarktet. Für ein paar Euro lassen sich Liebesschlösser über das Internet bestellen – auch in größeren Stückzahlen: Schlösser in Herzchenform mit Rosengravur, eingefrästen Verlobungsringen oder, gerade für die entschlosseneren Pärchen interessant, einem eingravierten Kinderwagen.
Werden Liebesschlösser in vielen Städten aus tourismusökonomischen Gründen durchaus begrüßt, sehen sich manche Verwaltungen zum Handeln genötigt. Denn die Schlösser wuchern an historischen Geländern entlang, verursachen Korrosion oder werden mit zunehmender Zahl zu schwer. In Berlin und Venedig hat man den Brauch deshalb verboten, in anderen Städten wurden die Schlösser entfernt. Ausgerechnet in Paris, der Stadt der Liebe, stürzte vor zwei Jahren ein historisches Brückengeländer am Pont des Arts ein. Deshalb fordern Verbotstafeln an Pariser Brücken seit kurzem: »Erklärt eure Liebe woanders.«
Der Schlösserbefall setzt sich indes fort. Unter dem Ächzen der Brücken und Seufzen zahlreicher Kritiker, die in den Vorhängeschlössern nichts als Kitsch und die öffentliche Inszenierung spießiger Konformität erkennen wollen. Auch der Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule sind sie ein Dorn im Auge. Unter dem Titel »Stahlbad ist 1 Fun« rufen die Künstlerinnen und Künstler dazu auf, die Schlösser von der städtischen Brücke Eiserner Steg zu entfernen. Auf jedes geknackte Exemplar hat die Gruppe ein »Kopfgeld« von einem Euro ausgesetzt. Das Metall soll im Anschluss eingeschmolzen, zu einem neuen Objekt geformt und ausgestellt werden. Was in ihrem Atelier zu sehen sein wird, wollten die Künstlerinnen und Künstler der Jungle World nicht verraten.
Dass die Schlösser für ein Liebessymbol gehalten werden, nennt die Gruppe »widerlich«, »lemminghaft«, »unerträglich« und spricht von »kleinbürgerlicher Ästhetik« und »Streetart in reaktionär«. Schlösser versinnbildlichen ihrer Meinung nach einen Besitzanspruch in romantischen Zweierbeziehungen, sie seien »moderne Keuschheitsgürtel«, ein »massenhafter Ausdruck von Zwangsliebe und Liebeszwang«.
Die repressiven Mechanismen der Liebe wurden immer wieder benannt und vor allem aus feministischer Perspektive kritisiert. So hoffnungslos die Romantik auch manchmal zu sein scheint, dass sie von Interessen und Machtbeziehungen durchzogen ist, gehört zu den ideologiekritischen Allgemeinplätzen. Kaum jemand dürfte heute noch ernsthaft behaupten, die Liebe sei gänzlich von der Sphäre des Marktes entkoppelt und einzig von rückhaltloser Hingabe und Gleichheit geprägt.
Dem Feminismus ist unter anderem zu verdanken, dass die eheliche Bindung in großen Teilen der Welt beidseitig kündbar ist und Frauen darüber hinaus zumindest teilweise über ihre Arbeitskraft insoweit verfügen können, als dass sie ihren Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten in der Lage sind. Der Feminismus hat also dazu beigetragen, dass die lebenslange eheliche Verbindung durch serielle Monogamie abgelöst wurde und außerehelicher Sex per se keine Anstößigkeit mehr ist. Wer diesen Fortschritt ausklammert, weil er das Ewigkeitsversprechen eines mit der Zeit anrostenden Schlosses allzu ernst nimmt, dem ist eh nicht zu helfen.
Die App Tinder ist nur der prominenteste Ausdruck dafür, dass es mit der lebenslangen Liebe nicht weit her ist. Und so bietet die Frankfurter Künstlergruppe auch noch eine weitere, der ersten allerdings widersprechende Deutung der Schlösser an: »Zwei haben sich gesehen, taxiert und einander für wert befunden; dann wird das Ding zugemacht, als Trophäe an eine Brücke geklatscht.«
Nicht eine Person verfüge also über die andere, sondern jedes Individuum häufe seine Partnerschaften gezielt an. Das Schloss wäre nach dieser Lesart eine Trophäe, eine öffentliche Inszenierung der eigenen sexiness, ein Beweis »erotischen Kapitals« im Sinne von Eva Illouz. Die israelische Soziologin hat in ihren Werken beschrieben, wie sich die Partnerwahl in der Spätmoderne ökonomischen Abwägungen angleicht. Die Partnerwahl wird nicht nur durch den Blick nach innen und in die Ratgeberliteratur vermeintlich rational begründ- und kalkulierbar. Die Wahl des für adäquat gehaltenen Gegenübers dient bestenfalls auch zur Steigerung des eigenen Selbstwerts.
Aber niemand steigt mit seiner Affäre auf eine Brücke, um dort mit einem Vorhängeschloss ewige Verbundenheit kundzutun. Oder fast niemand. Es geht doch gerade darum, zu zeigen, dass es sich um weit mehr als ein heimliches Abenteuer von kurzer Dauer handelt. Der Soziologe Kai-Olaf Maiwald versteht die Schlösser deshalb als eine »Selbstinstitu­tionalisierung« von Paaren. Das Liebesschloss sei auch gegenüber Dritten eine Zurschaustellung dauerhafter Verbundenheit.
Jedes Pärchen weiß um die Brüchigkeit des Liebesversprechens. Aus diesem Grund wird der Schlüssel in den Fluss geworfen. Wenn er sich nicht mehr in ihrem Besitz befindet, die Kündigung der Verbindung also nicht gezielt vonstatten gehen kann, dann ist man auch ein bisschen weniger schuld, wenn es in die Brüche geht. Maiwald nennt das Anbringen von Liebesschlössern eine »Reaktion auf die Fragilität moderner Paarbeziehungen«.
Mit dem Versprechen von Keuschheit, Besitzansprüchen oder Gedanken an die Ewigkeit haben die Liebesschlösser wenig zu tun. Vielmehr vergegenwärtigen sie die Sehnsucht nach Sicherheiten, die angesichts neoliberaler Forderungen nach Eigenverantwortung abhanden gekommen sind. Ob das Schloss ewig an der Brücke hängen wird, ist nicht entscheidend. Schließlich geht es ohnehin bereits im Moment des Anbringens in der Masse halbherziger Liebesbekundungen unter. Die Liebesschlösser sind zwar einfallslos, aber die Kritik an ihnen ist auch nicht sonderlich originell: Sie gönnt den Kleinbürgern ihr spießiges Glück nicht.