Alle reden vom Sommer, wir diskutieren. Liegen am Strand: hot or not?

You just keep me hanging on

Ein perfekter Tag kann mit wundervollem Tun ausgefüllt werden. Nur wollen muss man das.

Womöglich gehört der Spruch »Du kannst alles, wenn du nur willst«, der, aparterweise durchaus auch in unterschiedlichen Schreibweisen der Wörter »kannst« und »willst«, ungefähr vier Mal täglich begeistert in den sozialen Medien verbreitet wird, zum Widerlichsten, was sich die Freunde troglodytischer Lebensweisheiten je ausgedacht haben: Selbst schuld, wenn man was nicht kann, hat man nämlich nur nicht genug gewollt.
Immerhin passt der dumme Satz ziemlich perfekt zum generellen Motivationsterror, der, illustriert mit Bildern von über Berggipfeln kreisenden Raubvögeln oder aus unerfindlichen Gründen nicht von ihnen gefressenen, ­lustig vor sich hinhoppelnden Häschen, Leuten einredet, sie müssten sich nur trauen (oder wollen), und dann könnten sie alle ihre Ziele garantiert erreichen. Wobei natürlich eines nie als Ziel anerkannt wird, nämlich an einem Strand zu sein und dort nichts zu tun. Das ist also nichts, was diese Leute als persönlichkeitsmaximierende Tätigkeit anerkennen würden.
Dabei ist so ein perfekter Nichtstun-Tag ausgefüllt mit wundervollem Tun. Es geht damit los, dass man einen wunderschönen Platz entdeckt, weit weg von lautstarken Sporttreibenden, und sich genau so hingelegt hat, dass man aufs Meer gucken kann. Wellen beim, nunja, Herumwellen zuzuschauen ist nämlich ganz wichtig. Nachdem man sichergestellt hat, dass verlässlich Woge auf Woge folgt, kann man sich der Umgebung zuwenden, vor allem dem Sand, der idealerweise weiß und feingekörnig ist und sich gut anfühlt, wenn man mit den Zehen interessante Grabungsexperimente anstellt. Hat man die eigenen Füße genug ein- und ausgebuddelt, muss natürlich geguckt werden, ob man auf Wasser stößt, wenn man ein bisschen mit den Händen im Sand herummacht. Wenn das erledigt ist, kann man daliegen und atmen. Und in den blauen Himmel schauen.
Irgendwann ist es dann Zeit, sich auf den Bauch zu legen und entweder ein Buch zu lesen, das einen persönlich garantiert kein Stück weiterbringt, sondern einfach nur unterhaltsam ist, oder die Tierwelt zu beobachten. Nein, nicht die Wespen, die sind nämlich, weil man sich große Mühe beim Auswählen des idealen Platzes gegeben hat, hinten an der Pommesbude oder beim Eisstand. Wir reden von niedlichen, harmlosen kleinen Tieren wie lustigen bunten Käfern, denen man aus angeschwemmten Holzstückchen eine kleine Straße zum benachbarten Strandhafer bauen kann, damit sie sich im Sand nicht so abmühen müssen. Oder von Schmetterlingen, die mal kurz vorbeischauen und sich vergewissern wollen, ob man nicht doch eine zu groß geratene Blume ist. Und dann sind da natürlich die Möwen, die – oops, nein, geh von dem Käfer weg.
Da war doch noch was? Genau, die Wellen. Keinesfalls darf man am perfekten Tag zielgerichtet und schnellstmöglich bis zur Boje dort hinten auf ungefähr halber Strecke nach Amerika schwimmen, nix da. Ein bisschen in den Wellen herumspringen, gemütlich tauchen und nachschauen, was sich so alles auf dem Meeresgrund befindet, schöne Muscheln finden und ein wenig herumschwimmen reicht völlig aus. Und schon ist es Zeit für einen Imbiss, der aus ausgesuchten Leckerigkeiten und wundervoll temperierter Cola besteht, die nicht mit Sand zu panieren am perfekten Tag selbstverständlich mühelos gelingt. Anschließend muss man natürlich wieder herumliegen und Surfer beobachten. Oder, wenn keine da sind, die Wellen. Was machen eigentlich die lustigen bunten Käfer? Ah, gut, alles in Ordnung anscheinend, auf der kleinen Straße wird gemütlich herumspaziert, also weiter im Buch.
Oh, eine Wolke. Geh da weg.
Irgendwann ist er jedoch unweigerlich zu Ende, der perfekte Tag am Strand. Was nicht so schlimm ist, denn es folgt ja der perfekte Abend, an dem man einfach nur dasitzt, isst und trinkt und sich unterhält. Und schließlich schlafen geht, voller Vorfreude auf den morgigen perfekten Strandtag,
Gut, wenn man dann nach vielen, vielen perfekten Tagen wieder zurück nach Hause gefahren ist, hat man nicht viel zu erzählen. Aber weil man generell den Umgang mit Leuten meidet, die nach ihrem Urlaub begeistert von sportlichen Höchstleistungen, gemachten Erfahrungen und erlangter Motivation für Karriere und Gedöns sprechen, ist das auch vollkommen in Ordnung. Und man kann entspannt mit Freunden in Kneipen herumsitzen und schicke Pläne machen. Zum Beispiel für ein Bildchen, das man gern in sozialen Medien verbreiten würde. Unter einem sehr schön anzusehenden Foto von einem wunderhübschen Strand mit viel weißem, feinkörnigen Sand und entspannt vor sich hinwogenden Wellen würde dann stehen: »Du kannst auch nichts tun, wenn du nur willst.« Ha!