Ärmer als die Demokratie erlaubt

Wie viel sind westliche Werte wert? Ein E-Mail-Wechsel mit der Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten.

An meinem Geburtstag schrieb sie mir das erste Mal. Zuerst hielt ich es für einen Irrtum oder Betrug. Ich überprüfte den Absender. Und staunte nicht wenig: Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten höchstselbst, hatte mir geschrieben. Und hatte mir Wichtiges mitzuteilen: »Danke, dass du Teil dieser Kampagne bist, Leo. Ich bin begeistert, dich in meinem Team zu haben«, schrieb sie mir. Nun gut, direkt beworben hatte ich mich nicht, doch wie jedermann sonst hatte ich einen gesunden Groll gegen Donald Trump; zudem erhoffte ich mir einen Posten als mindestens stellvertretende Spokesperson Hillarys.
Welcher Fan der westlichen Wertegemeinschaft wäre von solchen Sätzen nicht hingerissen: »Es ist Zeit, für Lohnerhöhungen und eine Reform des Einwanderungssystems einzutreten. Es ist Zeit, unsere Waffengesetze zu ändern und unser Erziehungssystem bezahlbar zu machen. Es ist Zeit, sicherzustellen, dass alle Menschen gleichen Anteil am politischen Prozess und an der Gesellschaft haben, egal welchen Geschlechts, welcher Rasse oder sexueller Ausrichtung.« Wer weiß? Vielleicht stand mir sogar eine Träne im Auge.
Dass ich kein US-amerikanischer Staatsbürger war, schien mir zweitrangig. Schon frühere Präsidenten hatten sich Expertise aus dem Ausland geholt, hatten sich von Einwanderern beraten lassen. In meiner Phantasie sah ich mich in der Rolle eines zweiten Henry Kissingers, sah mich mächtige Kampagnen schmieden, mit Warlords und Diplomaten verhandeln. Eine Bürde, die ich im Namen der Menschheit auf mich zu nehmen bereit war.
Doch schon die nächste E-Mail Hillarys dämpfte die Begeisterung. »Leo, ich will vollkommen ehrlich zu dir sein. Wir brauchen dich, und wir brauchen dich heute.« Besonders aber, so führte sie aus, brauche sie einen Dollar von mir – »could you chip in?« Leider hatte ich zum benannten Zeitpunkt keinen Dollar, wie ich Hillary nicht ohne Bedauern mitteilte. In der nun folgenden E-Mail spezifizierte die Kandidatin: »Ich muss sichergehen, dass die Wähler die Wahrheit über Trump erfahren« – der einzige Weg schien wiederum über das schon erwähnte Chip-in-Verfahren und damit besagten Dollar zu führen.
Meine Unfähigkeit, einen Dollar herbeizuschaffen, sorgte jenseits des Atlantiks für Irritationen. »Leo, Hillary braucht dich jetzt mehr als je zuvor«, schrieb mir kurz darauf kein geringerer als Barack Obama. »Now let’s get this done«, mach schon, schnauzte mich der scheidende Präsident schon einigermaßen gereizt an. Offenbar hat man im Weißen Haus völlig falsche Vorstellungen von meiner finanziellen Lage. Ich ließ das nächste Dutzend demokratischer Bettelbriefe zunächst liegen, bis mich eine E-Mail mit dem Betreff »Thank you« erreichte. »Leo, ich möchte dir dafür danken, einer der ersten Leos auf unserer Liste zu sein. Als ein besonderes Dankeschön hat mein Designerteam diesen personalisierten Sticker für dich hergestellt. Check it out!« Ich checkte: Es war ein Sticker mit der Aufschrift »Leos for Hillary«. Zu haben gegen eine Schutzgebühr von, was wohl, einem Dollar.
Für mich war dies der Moment, mich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen. Westliche Werte, gut und schön – aber dafür einer Bettelpräsidentin Geld zu überweisen? Die anscheinend bei der gesamten Menschheit mit dem Hut herumgeht? Nein. Einen Politberater Leo Fischer wird man künftig in Washington nicht mehr sehen. Auch ich habe meinen Stolz. Wenn schon nichts anderes, so hat Trump wenigstens eigenes Geld.