Die deutsch-türkischen Beziehungen sind stabil

Das bisschen Terror

Der BND und die Bundesregierung haben die Türkei als »zentrale Aktionsplattform« für den Jihadismus bezeichnet und so erneut für Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern gesorgt. Doch versöhnliche Töne ließen nicht lange auf sich warten.

Die türkische Regierung kommt nicht gut weg. »Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt«, schreibt die Bundesregierung. Weiter heißt es unter Berufung auf Informa­tionen des Bundesnachrichtendienstes (BND): »Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft, Anm. d. Red.), die Hamas und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident Erdoğan unterstreichen deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern.«
Die Aussagen entstammen der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen (Linkspartei) zur »möglichen Einflussnahme des türkischen Präsidenten Erdoğan in Deutschland über Organisationen wie UETD und Ditib«. Die eigentlich als vertraulich eingestuften Passagen über das Verhältnis der Türkei zum Jihadismus hatte die ARD vergangene Woche öffentlich gemacht.
Die Einschätzung wurde auch in der Türkei schnell bekannt. Das türkische Außenministerium beschwerte sich in einer Erklärung darüber, dass »seit ei­niger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben, indem unser Staatspräsident und unsere Regierung ins Visier genommen werden«. Türkische Regierungsvertreter neigen zwar generell zu hitzigen Reaktionen, etwa wenn ihrem lammfrommen Präsidenten eine sexuelle Vorliebe für Ziegen unterstellt wird, oder wenn jemand den Genozid an den Armeniern tatsächlich als solchen bezeichnet. Die nun publik gewordene Einschätzung durch die Bundesregierung beziehungsweise den BND kann jedoch auch in der Türkei niemanden überrascht haben.
Denn Erdoğans Sympathien für die Hamas sind öffentlich bekannt. Nicht umsonst durfte Khaled Mashal, der Anführer der Hamas, das politische Hauptquartier seiner Organisation 2014 nach Istanbul verlegen, als es ihm in Damaskus zu ungemütlich wurde. Die Türkei nahm 2013 auch etliche führende Muslimbrüder aus Ägypten auf, die nach der Machtübernahme durch das dortige Militär geflohen waren. Auch die türkische Hilfe für Jihadisten in Syrien darf als gesicherter Fakt gelten. Im Mai verurteilten türkische Gerichte zwei Journalisten der Tageszeitung Cumhuriyet wegen Geheimnisverrats zu mehrjährigen Haftstrafen. Diese hatten im vergangenen Jahr eine Lastwagenladung voller Waffen fotografiert, die der türkische Geheimdienst offenbar für Kämpfer in Syrien vorgesehen hatte. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linkspartei) verwies in einer Pressemitteilung kürzlich darauf, dass die Bundesregierung bereits 2014 in einem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Dokument angegeben habe, von jihadistischen Ausbildungslagern in der Türkei und der Behandlung verwundeter syrischer Jihadisten in türkischen Krankenhäusern zu ­wissen.
Die Bundesregierung hat also nichts Neues ausgeplaudert. Warum dann die Aufregung? Wohl nicht wegen der Informationen selbst, sondern wegen der Verletzung der internationalen Gepflogenheiten: Ein Staat mag sich zwar nachrichtendienstlich über die schmutzigen Machenschaften eines verbündeten Staates informieren. Ausplaudern sollte er seine Erkenntnisse aber nicht.
Angesichts der neuerlichen Verstimmungen bereitet der Bundesregierung die Zukunft des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei noch größere Sorgen als zuvor. Wie der Spiegel berichtete, hält das Bundesfinanzministerium ein Scheitern des Flüchtlingsabkommens für möglich und arbeitet deshalb an einem Plan B, der neben dem Einsatz der EU-Grenzschutz­agentur Frontex die Sicherung der »vollumfänglichen Kooperation Griechenlands« vorsieht, »auch unter Anwendung finanziellen Drucks«.
Dass sie sich in dieser Sache in einer komfortablen Verhandlungsposition befindet, scheint der türkischen Regierung bewusst zu sein. »Die täglichen Grenzübertritte fielen von 7 000 im vergangenen Jahr auf unter 100«, sagte der türkische EU-Minister Ömer Çelik vergangene Woche im Interview mit dem Handelsblatt, um anschließend zu warnen: »Ohne das Abkommen stünde Europa vor einer weiteren Flüchtlingskatastrophe.« Die gilt es nach Ansicht der Bundesregierung zu verhindern, weshalb die Türkei weiterhin die Drecksarbeit an der EU-Außengrenze erledigen soll. Nicht umsonst durfte Regierungssprecher Steffen Seibert öffentlich bekunden: »Weder Deutschland noch Europa haben Veranlassung, dieses sinnvolle Abkommen in Frage zu stellen.«
Die zahlreichen Wirtschaftsabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei stehen wegen der Böhmermann-Affäre, dem Streit um die deutsche Resolution zum Genozid an den Armeniern und um die Reaktion auf den Putschversuch sowie wegen der deutschen Aussagen zum Terrorhelfer Türkei ohnehin nicht zur Disposition. Das deutsche Kapital sorgt sich dennoch ums Geschäft – was keiner Bundes­regierung gleichgültig sein kann. Die Aussichten deutscher Unternehmen in der Türkei für 2017 seien »nur noch gedämpft positiv«, sagte Volker Treier, Hauptgeschäftsführer für internationale Angelegenheiten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, vor zwei Wochen der Welt am Sonntag. »Wir betrachten die aktuellen Entwicklungen in der Türkei mit Sorge«, ließ Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, kürzlich die Welt wissen. Schließlich ist Deutschland der wichtigste Handelspartner, im Vergleich zu 2014 stieg der Wert der in die Türkei exportierten Waren 2015 um 16 Prozent auf 22,4 Milliarden Euro. Die Zahl der Unternehmen in der Türkei mit deutscher Kapitalbeteiligung liegt mittlerweile bei mehr als 6 500. Die besorgten Aussagen von Vertretern des deutschen Kapitals können deshalb auch als Aufforderung an die Bundesregierung interpretiert werden, für Ruhe im Verhältnis zur Türkei zu sorgen – das Land als »zentrale Aktionsplattform« für Jihadisten zu bezeichnen, ist da eher kontraproduktiv.
Ebenso groß ist das Interesse der Türkei an ungestörten Wirtschaftsbeziehungen. Von 2014 auf 2015 vergrößerte sich die Summe der türkischen Exporte nach Deutschland um über acht Prozent auf 14,4 Milliarden Euro. Die größte Summe ausländischer Investitionen kommt aus Deutschland, die größte Zahl an Touristen ebenfalls, 5,5 Millionen waren es 2015. Zwar verwies der türkische EU-Minister Çelik im Handelsblatt auf die »robuste Wirtschaft« seines Landes. Die Verwerfungen durch den Putsch und die Reaktion auf ihn sind aber größer, als Çelik zugeben mag, was nicht zuletzt die Herabstufung der Türkei durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s zeigt. Über kleine verbale Ausfälle des wichtigsten Handelspartners hinwegzusehen, empfiehlt sich in einer solchen Lage.
Angesichts der wechselseitigen Interessen verwundert es nicht, dass relativ schnell nach der Aufregung über die Aussagen der Bundesregierung versöhnliche Töne von beiden Seiten zu hören waren. »Die Türkei ist als Nato-Mitglied ein wichtiger Partner«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einem Interview. Es bestehe eine »besondere Verbindung«, da mehr als drei Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland lebten. Und überhaupt: »Ein gutes Verhältnis ist einem angespannten vorzuziehen.« Anfang September möchte sich Merkel dann auf dem G20-Gipfel in China persönlich mit Erdoğan treffen, um die Beziehungen wieder zu verbessern. Als Partner für ein Treffen empfahl sich auch der türkische Premierminister Binali Yıldırım. »Wenn ich eingeladen werde, bin ich da«, sagte er der SZ und beschwichtigte: »Die Türkei hat keine schwerwiegenden Probleme mit Deutschland.«
Und selbst dem BND scheinen türkische Behörden dessen Aussagen nicht übelzunehmen. So wandte sich der türkische Geheimdienst nicht mit einer Rüge, sondern mit einer Bitte an die deutschen Kollegen. Da etliche Anhänger der Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung als verantwortlich für den Putsch bezeichnet wird, ins Ausland geflohen seien, sei die Hilfe des BND notwendig. Dieser solle auf »Entscheidungsträger und Gesetzgeber in Deutschland einwirken«, gegen die Gülen-Anhänger tätig zu werden und diese auszuliefern, berichtete der Spiegel.