Sarah Speck im Gespräch über Familienernährerinnen, Wäschewaschen und Yoga

»Doppelbelastung erscheint als das Problem der Frau«

Sarah Speck arbeitet am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Dort forscht sie zum Wandel der Geschlechterordnung. Gemeinsam mit Cornelia Koppetsch verfasste sie 2015 die Studie »Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist – Geschlechterkonflikte in Krisenzeiten«. ­Sarah Speck ist Mitglied des Herausgeberinnenkollektivs »Kitchen Politics« und seit vielen Jahren in feministischen Zusammenhängen aktiv.

Für Ihre Studie »Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist« haben Sie Daten zu heterosexuellen Paarhaushalten in Deutschland erhoben, in denen die Frau das Familieneinkommen erwirtschaftet. Übernimmt der Mann in solchen Paarkonstellationen die Hausarbeit?
Unsere Ausgangsfrage war: Was passiert, wenn sich in heterosexuellen Paarbeziehungen die Einkommensverhältnisse umkehren und es dadurch zu neuen Geschlechterarrangements kommt? Wir haben diese vor dem Hintergrund einer veränderten Erwerbsgesellschaft, der Neuordnung des Kapitalismus und der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen gestellt. Die meisten Migrantinnen und Frauen lebten und arbeiteten schon immer in prekären, ungesicherten und schlecht entlohnten Verhältnissen. Derzeit werden aber auch die Arbeitsverhältnisse von Männern der Mittelschicht prekarisiert. Selbst in Deutschland, in Bezug auf Geschlechterverhältnisse bekanntlich ein vergleichsweise konservativer Staat, haben wir eine statistische Zunahme von Frauen, die das Haupteinkommen verdienen. Das betrifft inzwischen rund zehn Prozent der Paarhaushalte. In allen westlichen Industrieländern können wir eine Zunahme dieses Anteils beobachten, in den USA und England betrifft es bereits eine deutlich größere Zahl, nämlich 30 bis 40 Prozent der Paarhaushalte. Überall vollziehen sich signifikante Umwälzungen des Ernährermodells, es stellt vielerorts kein Leitmodell mehr dar und auch in der Praxis ist es oft nicht mehr existent.
Woran liegt das?
Das hat etwas mit den Bildungserfolgen von Frauen zu tun und mit Errungenschaften der Frauenbewegungen. Frauen sind inzwischen auch in höheren Positionen angelangt und haben dadurch teils höhere Einkommen. Vor allem ist die Erosion des Ernährermodells aber Ergebnis der Prekarisierung der Arbeitswelt, das heißt klassische männliche Berufe werden immer unsicherer, in der Industrie, im Fachhandwerk et cetera, und der Dienstleistungssektor, der tendenziell weiblich ist, wächst. Dadurch kommt es vermehrt zu diesen Konstellationen, in denen Frauen mehr verdienen als ihre Partner.
Wir haben untersucht, wie sich die Geschlechterordnung im gegenwärtigen Kapitalismus, also im Kontext sich wandelnder materieller Verhältnisse, verändert – konkret: wie Paare darauf reagieren. Den Fokus legten wir auf Mikropolitiken des Alltags, weil wir davon ausgingen, dass die Alltagshandlungen der Paare sich von ihren Leitbildern unterscheiden, sie also nicht immer das tun, was sie sagen. Hier haben wir genauer hingesehen. Die meisten Paare geben vor, sich Haus- und Sorgearbeit 50/50 zu teilen, machen dies aber gar nicht. Auf dieser verborgenen Ebene finden latente Aushandlungsprozesse statt.
Wir haben verschiedene soziale Milieus verglichen, weil wir davon ausgingen, dass sich diese Aushandlungen unterschiedlich abspielen. Unterschiedliche Vorstellungen von guter Arbeit, differierende Leitbilder in Bezug auf Geschlechterverhältnisse, Paarbeziehungen, Männlichkeit und Weiblichkeit führen zu unterschiedlichen Reaktionen auf die prekäre Erwerbssituation des männlichen heterosexuellen Partners beziehungsweise auf die weibliche Ernährerin.
Sie kamen zum überraschenden Ergebnis, dass ein erfolgreicher Rollenwechsel gerade nicht in akademischen, liberalen Milieus, sondern eher in wertkonservativen Familien funktioniert.
Ja, das war teilweise überraschend. Wir haben im Prinzip drei Milieus idealtypisch dargestellt: Das Handwerks- und Facharbeitermilieu, das urbane akademische Milieu und das familistische Milieu, das seine Lebensführung vor allem an Familie und Gemeinschaft ausrichtet.
Tendenziell orientiert sich das traditionelle Handwerks- und Facharbeitermilieu weiterhin am Leitbild des männlichen Familienernährers. Wird hier die Frau zur Familienernährerin, betrachten die Paare das als temporären Ausnahmezustand. Durch Umschulung oder berufliche Neuorientierung versuchen sie, die »rechte Ordnung« wieder herzustellen. Gelingt dies nicht, droht soziale Exklusion. Diese Paare versuchen oft über Statussymbole wie Auto oder Handy zu signalisieren, dass alles in gewohnten Bahnen verläuft. Eine Übernahme von Reproduktionsarbeit von Seiten des Mannes kommt hier nicht in Frage, aber das Machtgefüge verschiebt sich dennoch. Viele Frauen, die deutlich mehr verdienen, beanspruchen genau deshalb, auch über Ausgaben zu bestimmen. Wir haben das »Modernisierung wider Willen« genannt, weil sich das Leitbild der Paare nicht verändert.
Das urbane akademische Milieu der Kreativen und Selbstverwirklicher orientiert sich am Leitbild partnerschaftlicher Gleichheit, bekommt es aber am wenigsten hin, diese Ideale in der Praxis umzusetzen. Diese Paare sind postmaterialistisch eingestellt und tun deshalb so, als sei das höhere Einkommen der Frau nicht von Bedeutung, weil Geld keine Rolle spielen soll. Was zählt, ist Selbstverwirklichung im Beruf, Authentizität und eine gute, an ästhetischen Prinzipien orientierte Lebensführung. Auch bei deutlichen Einkommensunterschieden teilen sie sich gemeinsam anfallende Kosten 50/50. Aber der Anspruch, sich Haus- und Sorgearbeit 50/50 zu teilen, wird überhaupt nicht eingelöst. Zwar engagieren sich die Männer hier teils auch als ­Väter, aber das Management des Alltags und des Großteils der Haus- und Sorgearbeit bleibt in den Händen der Frauen. Solche Paare sehen die Hausfrauenehe als rückschrittlich an und werten Hausarbeit allgemein ab. Das heißt aber vor allem, dass sie nicht der Rede wert ist, sondern an bezahlte Hausarbeiterinnen abgegeben oder als persönliche Neigung beziehungsweise persönlicher Sauberkeitsstandard de­thematisiert wird. Eine Übernahme von Sorge- oder Hausarbeit durch den prekär beschäftigten Mann, der tendenziell mehr Zeit hat, kommt nicht in Frage. Die Männlichkeit dieser Männer würde stark beschädigt, würden sie mehr Haus- und Sorgetätigkeiten übernehmen. Männlichkeit ist hier nicht so sehr an hohen Verdienst gebunden, aber an Selbstverwirklichung im Beruf. Je prekärer sie sind, scheint es, umso mehr entfliehen diese Männer dem Haushalt in ihre Bürogemeinschaften und Ateliers. Ihre Frauen unterstützen das oft, weil sie selbst Männer attraktiv finden, die »ihr Ding« machen und nicht »abhängig« zu Hause sitzen. Das heißt, sie selbst haben großen Anteil daran, dass sie lieber beides stemmen: Einkommen zu sichern und die Haus- und Sorgearbeit zu übernehmen.
Alternative Männlichkeitsentwürfe spielen also kaum eine Rolle?
Doch. In diesem Milieu bilden Männer häufig »Coolness« als Muster der Resouveränisierung ihrer Männlichkeit aus. Das funktioniert im Grunde so, dass Postmaterialismus und Selbstverwirklichung gegen das berufliche Engagement der Frau ausgespielt werden. Die Männer selbst inszenieren sich als gelassen und unabhängig von Erfolgsansprüchen der Gesellschaft – sie sind eben cool und machen vor allem »ihr Ding«. Deshalb ist dies auch als alternatives Männlichkeitsmuster zu verstehen, das allerdings vor allem in Abgrenzung zur Partnerin gelingt: Der höhere Verdienst wird vermeintlichen Charaktereigenschaften wie Ehrgeiz zugeschrieben. Den Frauen wird nun nicht mehr nur ein Putzfimmel, sondern auch Karrierismus unterstellt. Da weder Karriere noch Haus- und Sorgearbeit wirklich notwendig scheinen, funktioniert das dann gewissermaßen als kulturell verlängerter Hysterievorwurf – mach dich doch mal locker. Doppelbelastung erscheint dann als das Problem der Frau, dem mit Entspannung oder vielleicht Yoga Abhilfe zu verschaffen ist.
Der in gewisser Hinsicht sympathische kapitalismuskritische Gestus der Künstlerkritik ist in diesen Paardynamiken fatal: Selbst wenn die Frauen wollen, können sie die Ungleichheit gar nicht thematisieren, weil es immer nur um Charaktereigenschaften, nie aber um Hausarbeit und Arbeit überhaupt geht. Das ist paradox: Gerade weil diese Paare dem Gleichheitsparadigma anhängen, reproduzieren sie Ungleichheit.
Im Gegensatz zum kreativen Milieu der Selbstverwirklicher funktioniert ein Rollenwechsel am ehesten im wertkonservativen Milieu. Warum?
Ja, im familistischen Milieu der christlich orientierten Mittelschicht haben wir Männer gefunden, die nicht nur einen Großteil der Hausarbeit übernehmen, sondern sich auch positiv als Hausmänner verstehen. Hier herrscht eine starke Familien- und Gemeinschaftsorientierung vor, die Menschen arbeiten oft in sozialen Berufen, als Beamte oder Lehrer, die Familien sind kinderreich.
Auch hier übernehmen die Männer nicht das volle Aufgabenspektrum, das früher die Hausfrau geleistet hat. Typischerweise bleibt das Wäschewaschen in den Händen von Frauen oder Frauen machen am Feierabend trotzdem noch recht viel. Aber die Männer übernehmen einen Großteil der Erziehung. Das funktioniert, weil wir in diesem Milieu eine starke Orientierung auf Familie und Gemeinschaft und weniger eine auf Selbstverwirklichung im Beruf haben. Dies führt zu einer Form der familiären Solidarität, in der alle ihren Beitrag zur Gemeinschaft leisten, ob nun als Haupternährerin oder in Form von Reproduktionsarbeit. Diese wird nicht abgewertet, sondern wie das Familien­einkommen auch als wichtiger Beitrag zum Aufbau der Familie begriffen. Die Paare lösen sich hier also tendenziell von klassischen Geschlechterrollen, was allerdings nicht konfliktfrei verläuft. So wird beispielsweise die Aufgabe des Mannes oft ­vermännlicht, indem seine Tätigkeit als »Manager« hervorgehoben wird. Gleichzeitig renovieren und bauen diese Männer unwahrscheinlich viel und übernehmen zahlreiche Ehrenämter außer Haus, in Schule und Kirche.
Wie ließe sich der Widerspruch zwischen Leitbild und Praxis lösen?
Gerade weil sich Leitbilder und Praxis so sehr unterscheiden und es insbesondere jenen Milieus, die gleichberechtigte Partnerschaften anstreben, nicht gelingt, muss eine materialistisch-feministische Kritik sich die Ökonomien des Alltags ansehen. Das Paradigma von 50/50 scheint unter den gegenwärtigen Bedingungen kaum zu erreichen, weil prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmen, Einkommen nun einmal unterschiedlich hoch und die Partner ungleich belastet sind. Während das 50/50-Modell daran scheitert, ermöglicht die Solidarität der Gemeinschaft offenbar einen innovativeren Umgang. Dies könnte auch in Bezug auf kollek­tive Lebensformen wie WGs interessant sein, wo viele Konflikte verschleiert werden, indem man sie auf unterschiedliche Sauberkeitsstandards reduziert. Es geht darum, wieder mehr über Reproduktionsarbeit und natürlich Geschlechterverhältnisse zu reden, statt sie unsichtbar zu machen, kleinzurechnen oder zu dethematisieren.