Die Deutschen wollen die achtziger Jahre zurückhaben

Gestern ist das schönere Heute

47 Prozent der Deutschen wünschen sich zurück in die Achtziger. Doch war es unter der Herrschaft von Helmut Kohl und Modern Talking wirklich besser?

Eigentlich war es ja schon immer offensichtlich: Das beste Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, wenn nicht gar aller Zeiten, waren die Achtziger. Das scheint nun auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zu bestätigen, derzufolge sich fast die Hälfte aller Deutschen – genauer: 47 Prozent – in die Dekade von Helmut Kohl und Vokuhila zurücksehnt. Dieses Ergebnis hätte man voreilig zum Anlass für ein Loblied auf eine Zeit nehmen können, in der die Welt schön übersichtlich zweigeteilt war, die Jugend Punk statt Freiwild und Helene Fischer hörte, an Gymnasien noch Arbeiterkinder anzutreffen waren, und, ganz wichtig, das Wassereis, also dieses im Plastikschlauch zum Aufreißen mit den Zähnen, nur zehn Pfennig kostete.
Aber Sie ahnen es: Es ist nicht auszuschließen, dass diese Sicht der Dinge ein ganz klein wenig nostalgisch eingefärbt wäre. Und offenbar gehören die meisten Journalisten, die über die Umfrage berichten, zur selben Alterskohorte und wollen also auch gar nicht weiter in die Tiefe gehen. Immerhin fanden ja auch 43 Prozent der Befragten die siebziger und die neunziger Jahre besser als die heutigen Zeiten, und so richtig aufschlussreich wird es, wenn man die Antworten nach Altersgruppen sortiert: Die über 60jährigen sehen die Siebziger besonders rosig, die größten Fans der Achtziger findet man unter den 40- bis 59jährigen, und von 39 Jahren abwärts sind die Neunziger das beliebteste Jahrzehnt. Kurzum, all das besagt vor allem etwas wenig Überraschendes: Am positivsten sehen die meisten Menschen die Zeit von ihrer Kindheit bis zum jungen Erwachsenenalter. Über die allgemeine Lebensqualität der jeweiligen Ära ist durch solche Umfragen wenig zu erfahren.
Tatsächlich aber war früher vielleicht nicht alles, aber doch einiges besser – wobei mit »früher« das Jahr 2015 gemeint ist. In der Vorgängerumfrage erzielte nämlich die Aussage »Früher war alles besser« eine Zustimmung von 26 Prozent, in diesem Jahr ist diese drastisch auf 41 Prozent gestiegen. Dabei war das allgemeine Chaos auf dem Globus vor zwölf Monaten höchstens geringfügig kleiner als derzeit, Terrorismus, Klimawandel und Abstiegsängste sind auch nicht erst gestern über die Welt gekommen und das Flüchtlings­thema, das im vergangenen Jahr die Schlagzeilen dominierte, ist sogar – nein: nicht verschwunden, aber nach dem Motto »Aus den Augen, aus dem Sinn« – wieder an die Grenzen Europas verdrängt worden. Was hingegen tatsächlich schlimmer geworden ist, ist die Hysterie der öffentlichen Debatte und damit einhergehend die allgemeine Wahrnehmung der gesellschaftlichen Lage. Und das wiederum ist dann auch für diejenigen beängstigend, die sich von diesem Klima nicht anstecken lassen wollen.
Dann vielleicht doch lieber mit Doc Browns DeLorean zurück in die guten alten Achtziger, als man nur Modern Talking, Waldsterben und die defekten Computerchips der Atomwaffensysteme fürchten musste.